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       # taz.de -- Zoo und Tierpark wieder offen: Tauchen, spielen, balgen
       
       > Wie Kasuar und Hornrabe die ersten Besucher beäugen und warum man mit
       > Rosenkakadus keine Videokonferenz führen könnte.
       
   IMG Bild: Eisbären kommen alleine gut zurecht
       
       „Die Menschen haben Tiere nicht deswegen verehrt, weil sie gut zu essen,
       sondern weil sie gut zu denken sind,“ meinte Claude Lévi-Strauss. Im
       Westberliner Innenstadtzoo ist es zum ersten Mal lauter als auf den Straßen
       ringsum. Eine Robbe und viele Vögel machen Krach, ein Hahn kräht.
       Seltsamerweise kein Kindergeschrei. 2.000 Besucher dürfen jeweils für einen
       halben Tag rein. Im dreimal so großen Ostberliner Tierpark sind es 3.000.
       Dort bildete sich am Eingang eine lange Schlange, die aber gut gelaunt von
       einer jungen Frau mit Mundschutz betreut wurde.
       
       In Zürich war der Zoo einmal wegen einer Maul-und-Klauen-Seuche geschlossen
       worden, eine Studie ergab, dass sich bei den Tieren und dem Personal
       Depressionen entwickelten, die schließlich wie eine Glocke über allem
       hingen. Auch wenn die Tiere ansonsten eher zu viel Publikum vor der
       Absperrung ihrer Gehege-Bühnen hatten, einige Zoobesucher nahmen sie doch
       wahr – und sei es wegen eines Details. Als jedoch plötzlich gar keine mehr
       kamen, wurden sie erst unruhig und fingen dann an, sich noch mehr als sonst
       zu langweilen. Die Affen etwa hörten ohne Publikum auf, Kunststücke zu
       machen und überhaupt Ideen zu entwickeln.
       
       Ich gehörte nach der coronabedingten Schließung des Zoos mit zu den ersten
       Besuchern, in zoopsychologischer Hinsicht bin ich quasi ein
       Coronagewinnler. Vielleicht bilde ich mir es nur ein, aber viele Tiere
       schienen aufmerksamer gegenüber dem – übrigens noch spärlichen – Publikum
       zu sein. Einige, wie der australische Kasuar und der afrikanische Hornrabe,
       folgten mir am Gitter entlang, das hatten sie noch nie gemacht, im
       Gegenteil, sich meistens verborgen. Der „Panda-Garten“ ist geschlossen, das
       Publikum hat Verständnis. Gehen wir eben zum Eisbär.
       
       Es ist der Vater des kleinen Eisbären, der mit seiner Mutter im Tierpark
       lebt und schon fast so groß wie sie ist. Daneben gibt es in beiden Anlagen
       auch noch Eisbärskulpturen. Der männliche Eisbär springt ins Wasser. Dort
       schwimmt seltsamerweise eine Ente mit sieben winzigen Küken. Diese
       schwimmen um den Eisbäre herum, während ihre Mutter so weit wie möglich
       Abstand hält. Als ich mich übers Geländer beuge, fliegt sie hoch und
       verlangt direkt vor meiner Nase leise quakend Futter. Ich habe aber nichts.
       Sie bittet eindringlicher, fliegt dann aber nach unten aufs Wasser zu ihren
       Küken.
       
       Eisbären sind Einzelgänger 
       
       Mir bricht es das Herz. Wie ist sie bloß auf die Idee gekommen, im
       Eisbärbecken ihre Jungen aufzuziehen? Weiß sie nicht, dass männliche
       Eisbären sogar ihre eigenen Kinder fressen? Zwar steht an einer Infotafel,
       Eisbären seien Einzelgänger, aber gelegentlich fänden sie sich doch
       irgendwo in der Arktis zu großen Gruppen zusammen und viele weibliche
       Eisbären bekämen ihre Jungen fast kollektiv auf der russischen
       Wrangelinsel, ihretwegen sei die Insel 2004 zu einem „Weltnaturerbe“
       erklärt worden. Vielleicht kann die Ente mit ihren Küken sein
       Geselligkeitsbedürfnis, wie gering es auch sein mag, wenigstens ein
       bisschen erfüllen.
       
       Im Ostberliner Tierpark zieht die Eisbärin mit ihrem Kind die meisten
       Besucher an, und die beiden enttäuschen sie auch nicht, denn sie tauchen,
       spielen mit einer großen Kugel und balgen sich. Alle Gebäude sind
       geschlossen, viele Tiere schlafen in den Ställen oder dösen in der Sonne.
       
       Bei den australischen Rosenkakadus bemerke ich, dass man mit ihnen nie eine
       Videokonferenz machen könnte, denn wenn einer was sagt, fangen sofort auch
       alle anderen an zu quasseln. Ebenso die chilenischen Felsensittiche, aber
       von denen erwartet man nichts anderes. Drei große sizilianische Ziegen
       lassen ihre zwei Pfleger nicht harken, sie wollen gestreichelt werden. Ein
       Jungfernkranich hielt hinter dem Gitter mit mir Schritt. Er wollte so viel
       – und ich konnte gar nichts geben.
       
       Lebenslänglich isoliert 
       
       Zum ersten Mal sah ich, dass die madagesischen Kattas sich ihren langen
       geringelten Schwanz wie eine Stola um den Nacken legen können. Ein
       Schäferhund beobachtete fast atemlos ihre Klettereien auf einem Baum. Bei
       den japanischen Affen sah ich, dass sie umgekehrt die Hunde interessanter
       als die Menschen fanden. Drei asiatische Elefanten standen wie auf der
       Bühne und schauten die Menschen an.
       
       Sie sind wie auch alle anderen Zootiere lebenslänglich isoliert, besonders
       bedrückend empfinde ich das bei den Vögeln, denen man in ihren Volieren
       quasi ihr Element, die Luft, genommen hat. Der Nazidirektor des Zoos, Lutz
       Heck, erklärte einmal einer Besucherin, die sich als Tierschützerin um
       deren Wohl besorgte: „Wir bieten unseren Tieren lebenslängliche Versorgung,
       einen Arzt, wenn sie krank sind, freie Wohnung, Schutz gegen böse Feinde,
       kurzum, lebenslängliche Pension und Versicherung. Wie viele Menschen haben
       eine so gesicherte Zukunft vor Augen?“
       
       Jetzt, in der Coronazeit ohne Publikum, ging vielen Zoos das Geld aus,
       einige stellten bereits Schlachtlisten zusammen. Der Tierpark Neumünster
       versicherte, den beliebten Eisbär „Vitus“ würde man zuletzt schlachten“.
       
       6 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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