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       # taz.de -- Sportsoziologe über Coronakrise: „Ich sehe keine Alternative“
       
       > Sportsoziologe Bero Rigauer erklärt, die Coronakrise zeige die Fragilität
       > des Profisports. Dennoch ist er skeptisch, dass ein Wandel bevorsteht.
       
   IMG Bild: Basketball ohne Zuschauer vor Ort: Nikos Zisis (AEK Athen) wirft in Bonn gegen die Telekom Baskets
       
       taz: Herr Rigauer, der Sport ruht derzeit. Erleben wir so etwas wie eine
       Entschleunigung? 
       
       Bero Rigauer: Wenn ich sehe, was derzeit etwa [1][in der Fußballbundesliga]
       alles versucht wird, dass man mit Geisterspielen möglichst schnell wieder
       in den Spielbetrieb kommen möchte, dann kann ich eine Entschleunigung
       wirklich nicht erkennen.
       
       Sondern? 
       
       Wenn die Pandemie irgendwann überwunden wird, wovon ja wohl auszugehen ist,
       dann wird alles wieder werden wie bisher. Also eher Beschleunigung.
       
       Das kann ja auch heißen, dass es nicht bleibt, wie es war, sondern dass es
       schlimmer wird. 
       
       Der bisherige Trend setzt sich fort. Das gilt für viele gesellschaftliche
       Bereiche: die Politik, die Ökonomie, die Kultur und den Sport.
       
       Haben wir bei diesem Befund nicht vor allem den Profifußball der Männer im
       Blick? 
       
       Ja, aber das lässt sich auch am Beispiel anderer Profiligen beobachten. So
       hat die Basketballbundesliga entschieden, eine Zehner-Meisterschaft
       auszuspielen. Es geht um das alte Ziel: Meisterschaft und Geld.
       
       Zehn Klubs spielen weiter, sieben sind aus der Meisterschaft ausgeschieden.
       Das klingt eher danach, dass sich die finanzstarken Vereine halten. 
       
       Gewiss, Klubs wie Bayern München, Alba Berlin oder Baskets Oldenburg sind
       dabei. Aber auch beispielsweise Rasta Vechta macht weiter – mit einem Etat,
       der nicht ansatzweise an die der anderen heranreicht. Es sind gar nicht
       unbedingt nur die finanzstarken Klubs, die dabeibleiben können. Auch wenn
       man in die Fußballbundesliga schaut, sieht man, dass es da nicht nur die
       reichen Klubs sind, die sich halten. Vielmehr zeigt sich, wie fragil die
       Liga, wie fragil der Profisport ist.
       
       Wie kommt das? 
       
       Je mehr sich das Sportsystem – z. B. inhaltlich, organisatorisch und sozial
       – ausdifferenziert, desto aufwendiger wird seine materielle Reproduktion.
       Es geht Verbindungen mit anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen ein,
       insbesondere Politik, Ökonomie und Massenmedien, mit der Folge zunehmender
       finanzieller und programmatischer Abhängigkeit.
       
       Er hängt am Tropf? 
       
       Ja, so kann man sagen. Ein Bundesligist wie Baskets Oldenburg
       beispielsweise kann nicht von seinen Zuschauern leben. Er ist abhängig von
       anderen ökonomischen Faktoren. Das macht die Fragilität aus.
       
       Bei Geisterspielen gibt es ja weiterhin Zuschauer. Sie befinden sich nur
       nicht im Stadion. 
       
       Zuschauer sind tatsächlich ein Merkmal des Sports. Wenn [2][Geisterspiele
       jetzt via Fernsehen] übertragen werden, haben wir es mit einer digitalen,
       einer unterbrochenen Interaktion zu tun. Das hat Nachteile: Man kann noch
       so laut schreien vor dem Fernseher, die Athleten auf dem Rasen werden es
       nicht hören. Es ist eben der bloß digitale Konsum.
       
       Nun könnte man sagen, dass das ja zur Sportentwicklung gehört. Im
       Zivilisationsprozess, wie ihn Norbert Elias beschrieben hat, geht ja alles
       Körperliche zurück, alles wird distanzierter. 
       
       Es ist eine erzwungene Distanzierung, mit der wir es gerade zu tun haben.
       Wir können davon ausgehen, dass sie sich sofort zurückentwickelt, wenn die
       Pandemie überwunden ist. Dann werden die Zuschauer auch im Stadion wieder
       da sein.
       
       Die gegenwärtige Krise bietet also keine Chance auf einen entschleunigten
       Sport? 
       
       Die zentrale Codierung dieser kapitalistischen Gesellschaft lautet: Mehr,
       mehr, mehr! Das ist ja auch explizit das Motto des Sports: Höher,
       schneller, weiter. Irgendwo bei Marx steht die Formulierung „Geld will mehr
       Geld“. Eine geniale Formel, die auch den Sport beschreibt.
       
       Dabei heißt es doch derzeit oft, die Coronakrise böte die Chance,
       innezuhalten. 
       
       [3][Ich sehe keine Alternative]. Wo sind denn die gesellschaftlichen
       Diskussionen über eine Alternative zu unserem Wirtschaftssystem? Ich habe
       neulich ein Interview mit Alfons Hörmann gehört, dem DOSB-Vorsitzenden. Da
       war keine einzige Idee zu hören, ob man innehalten könnte, ob nicht andere
       Wege bestritten werden könnten. Es ging nur darum: Wie kriegen wir das
       Ganze wieder schnell ans Laufen! Sie merken: Ich bin skeptisch.
       
       9 May 2020
       
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