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       # taz.de -- Grüner Wiederaufbau nach Corona: Elfmeter für das Klima
       
       > Die EU kann mit den Konjunkturhilfen nach Corona ein gigantisches
       > Klimaschutzprogramm basteln. Selbst Industrievertreter befürworten das.
       
   IMG Bild: Kredite an die Luftfahrt mit Klimaschutz verbinden wäre möglich
       
       Sven Giegold verschickte am Donnerstag eine lange Alarmliste: „Lobbyisten
       versuchen, nachhaltigen Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise zu verwässern“,
       schrieb der grüne EU-Parlamentarier und zählte akribisch auf, wie Auto-
       oder Luftfahrtindustrie die Krise nutzten, um den [1][Klimaschutz zu
       torpedieren]. Der mächtigste Lobbyverband Europas, Business Europe, schaffe
       sogar das Kunststück, gleichzeitig öffentlich einen grünen Wiederaufbau zu
       fordern und im Hintergrund für einen Stopp sämtlicher Konsultationen im
       Umwelt- und Klimabereich auf EU-Ebene zu arbeiten, schreibt Giegold.
       
       Europas Airlines bekommen zudem Milliardenhilfen, die Autobauer wollen
       [2][eine neue Abwrackprämie]. Ohne Bedingungen, denn es scheint zu
       kompliziert, die Nothilfen jetzt schnell mit dem Thema Klima zu
       verschweißen. Doch noch stehen die großen Konjunkturpakete aus, mit denen
       die Wirtschaft nach der Krise wieder angekurbelt werden soll. Noch sei
       Zeit, darin mehr Klimaschutz zu installieren, glauben nicht nur NGOs,
       sondern auch viele Finanzmarktexpert*innen.
       
       „Die staatlichen Mittel, die jetzt mobil gemacht werden, können nur einmal
       aufgebracht werden. Sonst laufen wir in eine staatliche Verschuldung, die
       nicht finanzierbar ist“, sagt Kerstin Lopatta, die an der Universität
       Hamburg zur Frage forscht und lehrt, wie Klimakosten in die Wirtschaft
       eingepreist werden können. Kurzum, wenn jetzt Billionen Euro ohne
       Berücksichtigung von Klimaschutz ausgeschüttet werden, dann fehlt auch auf
       absehbare Zeit das Geld dafür.
       
       Schon einmal schnellten die Staatsverschuldungen in die Höhe, um Wirtschaft
       und Finanzsystem zu retten, in der Krise ab 2008. Damals fanden Klima- oder
       Umweltschutz so gut wie keine Beachtung. Doch seitdem hat sich die
       Situation grundlegend geändert: Es gibt ein Pariser Klimaabkommen. Die
       EU-Kommission will die Klimaziele bis 2030 von 40 auf 55 Prozent Minderung
       von Treibhausgasemissionen erhöhen, bis 2050 bei netto null sein.
       
       Vor allem aber hat die EU in den letzten Jahren Instrumente entwickelt, wie
       all diese tollen Ziele auch in die harte Sprache der Finanzwirtschaft
       übersetzt werden können: in Preissignale, in Quartalszahlen
       Unternehmensberichte, Kreditkonditionen, Aktienfonds. Wer sich an
       Klimaschutz hält, verdient, wer nicht, schmiert ab. Das ist zumindest die
       Idee.
       
       ## Taxonomie? Kennt (noch) niemand
       
       Manche dieser Werkzeuge sind nigelnagelneu. Erst Mitte April
       verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs das zentrale Element, die
       sogenannte Taxonomie. Eine EU-weite Definition, was „ökologisch
       nachhaltiges Handeln“ ist. Grundsatz dabei: Eine Investition muss einem von
       sechs EU-Umweltzielen dienen – etwa Klimaschutz, Anpassung an den
       Klimawandel, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft oder Wiederherstellung
       der Biodiversität. Außerdem darf sie keinem dieser Ziele zuwiderlaufen.
       Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten.
       
       Das Besondere an den Regeln ist, dass sie mit NGOs, Wissenschaft und
       Finanzwirtschaft entwickelt wurden. Genauso wie die Standards für
       Unternehmen, mit denen die berichten können, wie ökologisch oder
       nicht-ökologisch sie wirtschaften. Berichten heißt: In für Investoren
       verständliche Kennziffern übersetzt, wie Umsatz oder Gewinn in Relation zum
       CO2-Ausstoß. Oder auch für Staaten, die Milliardenkredite vergeben. Eine
       Task Force on Climate-related Financial Disclosures hat gar global
       einheitliche Standards erstellt – übrigens unter Leitung von Michael
       Bloomberg, dem Milliardär, der gerade noch US-Präsident werden wollte.
       
       Wäre es realistisch machbar, bis zum Jahresende aus all dem neue
       Kreditvergabestandards zu schaffen? „Das wünschte ich mir persönlich und
       ich glaube, dass es bereits möglich ist, sich auf die Implementierung
       vorzubereiten. Obwohl die Taxonomie für den Klimaschutz erst bis Ende 2020
       erstellt werden soll, ist die Logik klar. Die ökonomischen Akteure haben
       bereits jetzt einen Rahmen“, sagt Aldo Romani. Er leitet die Abteilung für
       nachhaltige Anleihen bei der Bank, die Kommissionschefin Ursula von der
       Leyen zur EU-Klimabank machen will: der Europäischen Investitionsbank
       (EIB), der größten ihrer Art weltweit.
       
       Bereits 2007 hat die EIB die weltweit erste grüne Anleihe für Anleger
       konzipiert, das Geld floss in verschiedene Projekte für Energieeffizienz
       und Erneuerbare. „Der Markt ist mit nachhaltigen Finanzprodukten aber im
       Laufe der Zeit an eine Grenze gekommen. Weil viele Menschen eine andere
       Meinung haben, was das eigentlich ist“, sagt Romani. Diese Ausrede zähle
       bald nicht mehr.
       
       So sehen das auch viele Mitglieder des Sustainable-Finance-Beirats der
       Bundesregierung. Den kennt aber kaum jemand. Leider, denn er hat jetzt
       einen ziemlich radikalen Vorschlag vorgelegt. In dem Beirat sitzen neben
       NGOs, Wissenschaftler*innen und Ökonom*innen auch Expert*innen
       großer Konzerne: Deutsche Bank, Allianz, BMW, ThyssenKrupp. Vielleicht ist
       der Vorschlag deshalb so kryptisch formuliert, dass er bisher praktisch
       kaum Widerhall findet. Die Bundesregierung solle doch Unternehmen einen an
       „nachhaltige Bedingungen geknüpften Tilgungszuschuss aus staatlichen
       Mitteln“ geben, am Ende der Kreditlaufzeit. Etwa wenn die Unternehmen
       1,5-Grad-Strategien „auf Basis von Benchmarks oder KPIs“ vorlegten.
       
       ## Der kategorische Klima-Imperativ
       
       Übersetzen wir das mal. Eine 1,5-Grad-Strategie hat heute kaum ein
       Unternehmen. Also einen kategorischen Klima-Imperativ: Ich wirtschafte so,
       wie es nach dem Pariser Klimaabkommen nötig wäre, um den Klimakollaps zu
       verhindern. Und würden sich alle daran halten, wäre das Klimaproblem
       gelöst. Unternehmen, die nun einen solchen Plan vorlegen und umsetzen,
       sollen einen Teil der Kredite, die der Staat jetzt als Hilfen ausgibt,
       erlassen bekommen. Der Charme dabei wäre: Das würde alle Branchen
       betreffen, auch die, die nicht als öko gelten.
       
       Die Bewertung, ob die Ziele erreicht sind, würde nicht einfach das
       Finanzministerium übernehmen. Dazu wären jene brandneuen Werkzeuge wie die
       Taxonomie da. Weil die noch nicht komplett fertig sind, würde „ein Schuh
       daraus“, wenn man den Anreiz an das Ende der Kreditlaufzeit lege, sagt Karl
       Ludwig Brockmann, der Konzernbeauftragte Nachhaltigkeit der staatseigenen
       KfW-Bankengruppe. „Das kann Sinn machen, weil ein Unternehmen mit einer
       klaren Klimastrategie langfristig auch finanziell besser dasteht“, sagt er
       der taz.
       
       Und die Politik? Aus dem Umweltministerium heißt es wolkig, man werde die
       Vorschläge gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium prüfen. „In der Tat
       sieht das Bundesumweltministerium auch in der EU-Taxonomie ein
       wirkmächtiges Instrument, um perspektivisch ein Post-Corona-Aufbauprogramm
       mit dem European Green Deal zu verknüpfen“, sagt ein Sprecher. Verweist
       aber darauf, dass noch Details fehlten, die eigentlich erst bis Ende
       dieses, teilweise erst des kommenden Jahres fertig sein sollten.
       
       Das Bundesfinanzministerium verweist darauf, dass die KfW bereits
       Förderkredite für Nachhaltige und klimafreundliche Investitionen vergebe.
       „Überlegungen für eine transformative Innovations- und Investitionsagenda“
       müssten in Konjunkturmaßnahmen nach der Krise mitgedacht werden. Übersetzt
       heißt das: Eine generelle Verpflichtung auf Klimapläne für alle
       Unternehmen, die Staatsgelder wollen, lehnt das Ministerium offenbar ab.
       
       24 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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