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       # taz.de -- Strafen in Saudi-Arabien: Ein bisschen weniger archaisch
       
       > Saudi-Arabien modifiziert sein Strafrecht. Nach den öffentlichen
       > Stockhieben wird nun auch die Todesstrafe für Minderjährige abgeschafft.
       
   IMG Bild: Reformen nach Khashoggi-Skandal: Saudi-Arabiens König Salman
       
       Kairo taz | Saudi-Arabien mistet sein zum Teil mittelalterlich anmutendes
       Strafrecht aus. Zunächst wurde [1][am Wochenende] die Praxis abgeschafft,
       Verurteilte auf öffentlichen Plätzen mit genau abgezählten Stockhieben zu
       bestrafen. Dann ging die Strafrechtsreform am Montag noch ein Stück weiter:
       Jetzt gehört auch die Todesstrafe für Minderjährige der Vergangenheit an.
       
       Das oberste Gericht des Landes gab am Wochenende eine Erklärung heraus,
       laut der öffentliche Stockhiebe als Strafe verboten werden. Das sei Teil
       der Reformen des Kronprinzen Mohammed bin Salman, hieß es in der Erklärung
       und brächte das Königreich „in Einklang mit internationalen
       Menschenrechtsnormen gegen körperliche Strafen“.
       
       In den saudischen Medien wurde die Entscheidung als „eine historische
       Reform des saudischen Rechtwesens“ gefeiert. „Diese Stockhiebe passen nicht
       mehr zu Saudi-Arabien. Es ist ein historischer Moment, in dem diese Strafe
       aus unserem Rechtslexikon gestrichen wird“, schreibt die saudische Zeitung
       Arab News dazu.
       
       Die saudischen Richter müssen die Angeklagten stattdessen nun zu Gefängnis-
       oder Geldstrafen oder Sozialdienst verurteilen. Das prominenteste Opfer der
       Praxis der Stockhiebe in den letzten Jahren war der saudische [2][Blogger
       Raif Badawi], der 2012 verhaftet wurde, weil er, so die Anklage, den Islam
       verunglimpft habe. Er war zunächst zu sieben Jahren Gefängnis und 600
       Stockhieben verurteilt worden. Später war die Gefängnisstrafe um zwei Jahre
       reduziert und die Zahl der Stockhiebe um weitere 400 erhöht worden.
       
       ## Unklarheiten über Spielräume für Richter
       
       Unklar ist allerdings noch, welche staatliche körperliche Züchtigung damit
       genau gemeint ist, denn Saudi-Arabien kennt deren zwei Kategorien. Es gibt
       sogenannte Diskretionsstrafen, für jene Delikte, für die keine genauen
       Strafen niedergeschrieben sind und die im Ermessen des Richters liegen. Da
       es in Saudi-Arabien kein kodiertes Strafrecht gibt, war es bisher allein
       der Interpretation des Richters überlassen, für welche Taten wie viele
       Stockhiebe verabreicht werden sollen.
       
       Dazu gibt es aber eine Ausnahme: die im Koran niedergeschriebenen
       sogenannten Hudud-Strafen. Explizit dort genannt sind Diebstahl, Unzucht,
       falsche Bezichtigung der Unzucht, Straßenraub, Weinkonsum, Apostasie und –
       unter Rechtsgelehrten umstritten – „Rebellion“. Im Koran und in der Sunna,
       der Überlieferung der Worte des Propheten Mohammed, sind für diese Delikte
       körperliche Züchtigungen als Sanktionen festgelegt, oft mit der genauen
       Zahl von Stockhieben.
       
       Unter islamischen Rechtsgelehrten gibt es dazu aber seit Langem eine
       Diskussion, ob diese im Koran festgelegten Strafen nur unter
       gesellschaftlichen Bedingungen ausgeführt werden dürfen, in denen
       vollkommene soziale Gerechtigkeit in einer idealen islamischen Gesellschaft
       erreicht ist. Ein Argument, mit dem die islamischen Rechtsgelehrten die
       niedergeschrieben Strafen praktisch umschiffen, in dem sie sagen, dass die
       Bedingungen für diese Strafen heute nicht gegeben sind.
       
       Mit diesem Argument wurden die Hudud-Strafen in den meisten islamischen
       Gesellschaften de facto abgeschafft und durch ein kodifiziertes
       europäisches Strafrecht ersetzt. Welcher Interpretation sich Saudi-Arabien
       anschließt und ob es nur die körperlichen Strafen abschafft, die im
       Ermessen der Richter liegen, oder auch die Hudud-Strafen, ist bisher
       unklar.
       
       ## Menschenrechtslage weiter schwierig
       
       In einem weiteren Reformschritt erklärte die staatliche saudische
       Menschenrechtskommission nun, dass auch die Todesstrafe für Minderjährige
       abgeschafft werde. Laut einem neuen königlichen Erlass dürfen Minderjährige
       nun nur noch zu einem Maximum von zehn Jahren Gefängnis verurteilt werden.
       
       „Dieses Dekret hilft uns, ein moderneres Strafrecht zu etablieren“,
       erklärte Awwad al-Awwad, der Vorsitzende der staatlichen
       Menschenrechtskommission. Letztes Jahr wurden nach Angaben von Amnesty
       International in Saudi-Arabien insgesamt 184 Menschen exekutiert. Darunter
       gibt es mindestens einen Fall, in dem der Verurteilte zur Tatzeit noch
       minderjährig war.
       
       Saudi-Arabiens Umgang mit den Menschenrechten gerät immer wieder in die
       internationalen Schlagzeilen. Zuletzt wegen des Mordes an dem prominenten
       Regimekritiker [3][Jamal Khashoggi] im saudischen Konsulat in Istanbul.
       Vor wenigen Tagen ist Abdullah al-Hamid, ein weiterer prominenter
       saudischer Menschenrechtsaktivist, im Gefängnis verstorben. Er war 2013 zu
       zehn Jahren verurteilt worden, weil er, so der Vorwurf, die öffentliche
       Ordnung in Saudi-Arabien gestört habe.
       
       27 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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