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       # taz.de -- S-Bahn-Ausschreibung kann beginnen: Die Wagen denen, die sie fahren
       
       > Die Neuausschreibung von zwei Dritteln des Berliner S-Bahn-Netzes kann
       > nach monatelangen Streitigkeiten mit dem Land Brandenburg endlich
       > starten.
       
   IMG Bild: S-Bahn in Berlin-Tiergarten
       
       Die Meldung kam am vergangenen Wochenende ein bisschen überraschend und
       blieb – wie zu Coronazeiten fast schon üblich – etwas unscheinbar.
       Allerdings ist es ein ziemlich großes Ding, das Verkehrssenatorin Regine
       Günther dann auch als „Start in eine neue Ära“ bezeichnete: Die
       Neuausschreibung von zwei Dritteln des S-Bahn-Netzes kann nach monatelangen
       Streitigkeiten mit dem Land Brandenburg endlich starten.
       
       Das „neue Kapitel für den Nahverkehr in der Metropolregion“ (noch mal
       Günther) verdient tatsächlich diesen Namen. Denn wenn in ein paar Jahren
       mindestens 1.308 nagelneue S-Bahn-Waggons – rund 160 Züge – auf die Gleise
       der Stadtbahn und Nord-Süd-Bahn rollen, werden sie nicht mehr der S-Bahn
       Berlin GmbH und damit der Deutschen Bahn AG gehören.
       
       Das ist die bedeutendste Neuerung beim Vergabeverfahren, das wohl im Juni
       beginnt: In Zukunft besitzt das Land Berlin den riesigen Fuhrpark auf
       diesen beiden Teilnetzen, nicht mehr ein privater Konzern. Für das bereits
       2015 neu vergebenen Teilnetz Ringbahn war es zu spät, dort kam noch einmal
       die S-Bahn-Tochter der DB im wahrsten Sinne des Wortes zum Zuge. Erst zum
       Vertragsende im Jahr 2035 besteht dann die Chance, dass alle Berliner
       S-Bahnen auch wirklich Berliner S-Bahnen sind.
       
       Die Gründung des landeseigenen S-Bahn-Fuhrparks soll verhindern, dass es
       noch einmal zu einer Krise wie 2009 ff. kommt. Für die Jüngeren oder später
       Zugezogenen: Damals stellte sich heraus, dass die Bahn AG mit Sparmaßnahmen
       das Wagenmaterial auf Verschleiß gefahren hatte. Massive Zugausfälle, Chaos
       und genervte NutzerInnen waren die Folge. Das kann sich eine Metropole, die
       sich die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben hat, nicht leisten. Denn
       die funktioniert nur, wenn Menschen gerne den ÖPNV benutzen, und dazu muss
       dieser absolut verlässlich und möglichst komfortabel sein.
       
       Die zweite Neuerung bei den Ausschreibungen ist die Aufspaltung in mehrere
       „Lose“: Je Teilnetz können sich Bieter zum einen auf Beschaffung und
       Instandhaltung der Bahnen, zum anderen auf deren Betrieb bewerben. Macht
       insgesamt potenziell vier Unternehmen, mit denen das Land Verkehrsverträge
       abschließen müsste. Dieser Teil der „neuen Ära“ war in der rot-rot-grünen
       Koalition sehr umstritten, SPD und Linke befürchteten durch die
       Zerschlagung des bisherigen Monopols Abstimmungschaos zwischen den
       künftigen Betreibern und Gefahr für die Arbeitnehmerrechte.
       
       Letztere sollen nun durch strenge Klauseln in den Verträgen gewährleistet
       werden – sagen die Senatsverkehrsverwaltung und das Brandenburger
       Ministerium, das auch ein Wörtchen mitzureden hat. Was das mögliche Chaos
       angeht, sind die Sorgen der Koalitionäre nicht unbegründet.
       „Verantwortungsdiffusion“ heißt das Schlagwort, wenn unabhängig agierende
       Organisationseinheiten bei Problemen immer auf die jeweils anderen zeigen
       können.
       
       Aber vielleicht löst sich diese Sorge auch von selbst auf. Dann nämlich,
       wenn am Ende doch wieder die S-Bahn Berlin GmbH als Platzhirsch das beste
       Angebot für alle Teilbereiche macht – passieren könnte das. Nur die Wagen
       würden ihr dann nicht mehr gehören, und das ist auch ganz gut so.
       
       9 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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