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       # taz.de -- Chat-Theater aus Berlin: Es ist ein Schock
       
       > Das Stück „Die härteste Tochter Deutschlands“ erzählt von Reichsbürgern
       > im Netz. Dort wird es vom Deutschen Theater Berlin auch inszeniert.
       
   IMG Bild: Von Zeit zu Zeit gerät alles in einen Strudel
       
       Das Stück beruht auf einem autobiografischen Text von Katharina Köth und
       sollte eigentlich in der Box des Deutschen Theaters uraufgeführt werden.
       Eine Tochter begegnet ihrem Vater wieder, mit dem sie seit Jahren keinen
       Kontakt mehr hat: und zwar in einem Youtube-Video, das plötzlich in ihrer
       Timeline bei Facebook auftaucht.
       
       Ein Schock für die bürgerlich unauffällige Tochter – denn der Vater
       erscheint darin als wirrer Nazi, vollgepumpt mit Hass und
       reichsbürgerhaften, antisemitischen Verschwörungstheorien, [1][gegen die
       sich ein Xavier Naidoo] fast wie ein Waisenkind ausnimmt. „Kein LSD für
       Nazis“ hat jemand als bösen Scherz unter das Video gepostet, das sich als
       viraler Hit wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet.
       
       Der Text ist eine Auseinandersetzung mit Tochtergefühlen zwischen Ekel,
       Scham und Abscheu, aber auch der Frage, ob man für einen solchen Mann
       Empathie, ja Gefühle der Zugehörigkeit entwickeln kann. Schließlich bleibt
       es der eigene Vater.
       
       ## Jenes abgründige Etwas
       
       Aber dann kam Corona – so wurde das Stück nun von [2][Sarah Kurze im
       Internet inszeniert.] In jenem abgründigen Etwas also, in das dieser Tage
       auch die Theater gestoßen wurden – aufgrund der Pandemie plötzlich der
       plüschigen Safe Spaces ihrer Kunstform beraubt.
       
       Die drei Schauspieler Elias Arens, Edgar Eckert, Annemie Twardawa bauen
       ihre Bühnen also in ihrem häuslichen Umfeld auf, auf das sie zurzeit
       beschränkt sind, wie man aus einem die Onlineaufführung begleitenden
       Livechat erfahren kann, wo auch einige Assoziierte des Deutschen Theaters
       mitchatten. In der zurzeit allgegenwärtigen Zoom-Ästhetik (live gemixt von
       Roman Kuskowski) schauen wir also meist auf vier Videofenster, in denen
       parallel agiert und der Text auf drei unterschiedliche Figuren verteilt
       gesprochen wird.
       
       Sofort mit Atmosphäre bedrohlich aufgeladen wird das Tableau auf dem
       Monitor mit einschlägigem Rechts- und anderem Rock. Ein Fenster bleibt
       Funden aus dem Netz vorbehalten: mal Wikipedia-Infos zu einschlägigen
       Suchwörtern wie „Reichsbürger“ oder „Viertes Reich“, dann aber auch
       Banal-Blödes wie Hamster- oder Katzenbilder – diese Dinge eben, die in den
       Hochkulturblasen oft für die gleiche Verstörung wie die Nazis sorgen.
       Leider rauschen die Infos viel zu schnell durch, als dass man sie aufnehmen
       könnte.
       
       ## Futter für Verschwörungstheorien
       
       In Annemie Twardawas Zimmer entsteht aus Tausenden Papierschnipseln (ihre
       Gedanken?) eine Art Iglu aus Pappmaschee, während sie (gelegentlich fast
       delirierend) reflektierende Texte zur Figur der Tochter und dem irren Vater
       spricht.
       
       Edgar Eckert sitzt brav gescheitelt an einem Schreibtisch und verliest als
       Verwaltungsbeamter der Krise trocken (dem Text hinzugefügte) Hygiene- und
       Coronavorschriften – die ja inzwischen auch beliebtes Futter für
       Verschwörungstheorien sind. Das Virus als Erfindung von Bill Gates, um die
       Menschheit zu unterjochen. Im Keller seines Wohnhauses irrt Elias Arens
       umher, schreit, schaut ziemlich irre und verstört. Einmal stellt er auch
       das Originalvideo nach, das am Anfang ebenfalls zu sehen ist.
       
       Trotzdem verkörpert niemand eine Figur. Es ist ein schnelles Switchen
       zwischen Gedanken, Sätzen, Bildern, die wohl die große Diffusion und
       Disruption abbilden sollen, die das Internet als Zumutung für ein einziges
       Bewusstsein auch darstellen kann – besonders in diesem merkwürdigen Bias,
       das für das Leben dieser Tage kennzeichnend ist: zwischen der eigenen
       Reduktion auf das enge private Umfeld und dem täglich zu sortierenden Bild-
       und Info-Chaos aus dem Internet.
       
       ## Ein großer Strudel
       
       Bilder, die immer nur Bilder bleiben, selbst wenn uns in ihnen Menschen
       real begegnen. In dem gut einstündigen Video-Chat-Theater von Sarah Kurze
       geraten die Bilder und Figuren zwischendurch in einen großen,
       bildschirmfüllenden Strudel. Manchmal laufen auch nur grüne Datencodes
       tsunamihaft über den Bildschirm. Denn das ist der Stoff, aus dem das
       Internet ist.
       
       So recht formt sich kein Bild, keine Deutung heraus. Aber das liegt
       vielleicht in der Natur der Sache. Ein bisschen bedauert man, dass die
       Entgleisung des Vaters am Ende einem biografischen Trauma, ja einer
       möglichen bipolaren Störung zugeordnet wird. Auch wenn die Figuren
       psychologische Einfühlungsmöglichkeiten bieten, fühlt man nicht so recht
       mit ihnen. Trotzdem funktioniert der Abend als kurze Bildbeschreibung
       dieser Zeit ganz gut.
       
       Im Livechat irrlichtert eine Figur mit dem Nickname 0III0II 0III 0II
       zwischen den eingeloggten Chatter*innen (aka Zuschauer*innen) umher und
       stellt Fragen. Vielleicht, um ihre Anfälligkeit für Verschwörungstheorien
       zu testen: „Glauben Sie daran, dass Sie Ihre eigenen Entscheidungen
       treffen?“ „Glauben Sie an das Ende der menschlichen Spezies?“ Die Antworten
       können nur innerhalb des binären Codes erfolgen: I = Ja, 0 = Nein. Am Ende
       rechnet der Algorithmus aus allen Antworten angeblich sogar ein Ergebnis
       aus, das hier aber nicht gespoilert werden soll.
       
       11 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Xavier-Naidoo-fliegt-aus-DSDS-Jury/!5671399
   DIR [2] https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/haerteste-tochter-deutschlands/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Slevogt
       
       ## TAGS
       
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