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       # taz.de -- Neues Album von Les Amazones d’Afrique: Die Traditionsbrecherinnen
       
       > Sie sind ein Kollektiv von Musikerinnen aus afrikanischen Ländern, die
       > für Frauenrechte kämpfen. „Amazones Power“ heißt die neue Platte.
       
   IMG Bild: Les Amazones d'Afrique während der Aufnahmen ihres letzten Albums in Bamako, Mali, 2016
       
       Sorry, „Xena“: Die schöne, waffenschwingende, kurzberockte Amazone ist ein
       Produkt männlicher Geschichtsschreibung. Überlieferungen von
       Gesellschaften, in denen männermordende Kriegerinnen das Sagen hatten,
       wurden später oft als Mythen entlarvt – als heillos sexualisierte Fantasien
       obendrein.
       
       Ein Amazonenheer gab es allerdings wirklich: Auf dem Gebiet des heutigen
       Benin zogen die „Amazones du Dahomey“, wie westliche Historiker die
       Ehefrauen des dortigen Königs nannten, vom 17. bis 19. Jahrhundert prügelnd
       durch die Lande, um die Untertanen in Schach zu halten. Denen war es
       nämlich verboten, die Königsfrauen anzufassen.
       
       An dieses Frauenheer wie auch an die Amazones de Guinée, die erste rein
       weiblich besetzte Popband Guineas, erinnert – wohl nicht ohne Grund – der
       Bandname von Les Amazones d’Afrique: eine echte Supergroup, ein loser
       Zusammenschluss von Pop- und Folklore-Musikerinnen aus afrikanischen
       Ländern, die gegen die Entrechtung von Frauen kämpfen – und zugleich gegen
       westliche Afrikaklischees und Geltungsansprüche in Frauenrechtsdebatten.
       
       Immerhin vergisst man im angelsächsischen Raum gern, dass Frauen auf dem
       afrikanischen Kontinent Grausamkeiten wie Genitalverstümmelung erleiden
       müssen – aber genauso, dass sie auch als Vorkämpferinnen in Erscheinung
       treten: Ruanda zum Beispiel ist mit seinem weiblich dominierten Parlament
       ein geschlechterpolitisches Musterland.
       
       ## Von der Unterdrückten zur Unterdrückerin
       
       „Im Feminismus kann es nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit in westlichen
       Ländern gehen, wenn viele Frauen nicht mal Grundrechte haben“, sagt die
       Künstlerin Niariu – aktuell jüngstes Mitglied der Amazones d’Afrique – in
       einem Statement zum aktuellen Album „Amazones Power“, das im Januar
       erschienen ist. „Wenn wir nicht alle frei sind, werden manche zu
       Unterdrückerinnen, während andere unterdrückt bleiben.“
       
       Begonnen hatte das Projekt vor gut sechs Jahren. Damals kamen die
       malinesischen Sängerinnen Mamani Keïta, [1][Oumou Sangaré] and Mariam
       Doumbia, bekannt durch das Duo Amadou und Mariam, ins Gespräch mit Valerie
       Malot, Chefin der französischen Booking-Agentur 3D Family. Sie unterhielten
       sich über Geschlechterfragen und kamen überein, so erzählte Malot später
       dem britischen Guardian, dass Unterdrückung ein Thema sei, das Frauen auf
       der ganzen Welt verbinde.
       
       Also gründeten sie ein Künstlerinnenkollektiv, um ihre Positionen
       sichtbarer zu machen – und mit dem Ziel, die Panzi-Stiftung, die sich für
       Überlebende sexualisierter Gewalt einsetzt, finanziell zu unterstützen. Im
       Jahr 2015 fand der erste Auftritt der Amazones d’Afrique statt, zwei Jahre
       später erschien das Electronica-lastige Debütalbum „Republique Amazone“ auf
       Peter Gabriels Label Real World.
       
       Schon die frühe Single „I Play The Kora“ war eine Provokation, die sich
       ohne Kenntnisse der westafrikanischen (Musik-)Geschichte nicht sofort
       erschließt: Die Kora, eine Stegharfe, war jahrhundertelang den Männern
       vorbehalten. Bekannte Koraspielerinnen gab es nicht, bis die junge
       Generation, angeführt von der gambisch-britischen Musikerin Sona Jobarteh,
       mit dieser Tradition brach.
       
       ## Französischer HipHop trifft Reggaeton
       
       Die Zusammensetzung der Amazones d’Afrique, die sich eher als Kollektiv
       denn als Band verstehen, hat sich in den vergangenen Monaten ständig
       verändert. Die eigentlich – vor Corona – angedachten Liveshows sollten Fafa
       Ruffino, Kandy Guira, Mamani Keïta und eben Niariu bestreiten.
       
       Trotz der großen Namen der Beteiligten, die teilweise Stars in ihren
       Herkunftsländern sind, stehen immer das Projekt und seine Botschaft im
       Vordergrund – dabei wäre jede Einzelne einen Beitrag wert: Zum Beispiel
       Rapperin Moesha13, die französischen HipHop und Reggaeton fusioniert und
       schon beim Berliner Auskenner-[2][Musikfestival CTM] zu Gast war.
       
       Trotz all dieser unterschiedlichen Stimmen ist „Amazones Power“ tatsächlich
       ein organisches Album, ein Gemeinschaftswerk in jeder Hinsicht. Der
       legendäre Produzent Doctor L hat an einem Sound mitgebastelt, der die
       Durchlässigkeit zeitgenössischer Electronica-Produktionen mit der Wucht von
       perkussiver, traditioneller Folkmusik verbindet.
       
       Die Amazones d’Afrique singen mal vielstimmig zum Sägezahnbass, mal erhebt
       eine im Alleingang die strahlende Stimme zur Weh- oder Anklage. Immer
       wieder erinnern sie daran, auch im Uptempo oder Dubrhythmus das ernste
       Anliegen nicht der Euphorie zu opfern: „Heute ist kein Tag zum Feiern, wir
       nehmen die Sache ernst“, ließen sich die Lyrics von „Love“ übersetzen. „Wir
       Frauen sind angetreten, um gegen Genitalverstümmelung zu kämpfen.“ Keine
       Kriegerinnen, sondern Kämpferinnen mit globaler Mission.
       
       Dieser Text ist Text ist in der Verlagsbeilage der taz erschienen.
       
       12 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Lorenz
       
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