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       # taz.de -- Konjunktur der Verschwörungstheorien: Die nervöse Republik
       
       > Tausende demonstrieren gegen die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung. Man
       > sollte sich von der Konjunktur des Irrsinns aber nicht irre machen
       > lassen.
       
   IMG Bild: Protest am Sonntag in Stralsund
       
       In [1][Stuttgart jubeln ein paar Tausend] einem einschlägig bekannten
       Verschwörungstheoretiker zu, der meint, Bill Gates habe Corona erfunden, um
       die Welt zu beherrschen. Ein Ex-Grüner hat kürzlich eine Partei
       mitinitiiert, die ohne Scheu vor Pathos „Widerstand 2020“ heißen soll –
       aber rekordverdächtig schon vor ihrer Gründung wieder zu zerfallen scheint.
       Die Republik wird jedenfalls nervös. Auch die [2][Ränder des
       ex-alternativen Milieus], das schon immer wissenschaftsskeptisch gestimmt
       war, sind anfällig für schlichte Parolen.
       
       Die machen das Schwierige einfach. Sie reduzieren die Komplexität der
       verwirrenden globalen Moderne auf ein praktisches Freund-Feind-Klischee. In
       dem Gewirr von Fachbegriffen der Epidemiologie, Statistiken und Ängsten vor
       dem eigenen wirtschaftlichen Absturz wächst die Neigung, Fake News zu
       glauben und einem archaischen Reflex zu folgen: Jemand muss schuld sein. Da
       bieten sich wahlweise Bill Gates, Angela Merkel, die Impflobby, die
       globalen Eliten oder die Medien an. Oder 5G-Funkmasten, die in
       Großbritannien abgefackelt werden.
       
       Die Methode der Verschwörungstheoretiker erinnert an Trump. Auch dort
       verschwindet der Unterschied zwischen Fakten und Meinungen. Dass die AfD
       versucht, diese diffuse Bewegung für sich zu rekrutieren, passt ins Bild.
       
       Warum jetzt? Es ist kein Zufall, dass die Paranoiker in dem Moment, in dem
       die Gesellschaft in eine fragile Normalität zurückkehrt, versuchen die
       Bühne zu entern. Der Konsens des Lockdowns löst sich auf. Gleichzeitig
       brechen stillgelegte soziale Kämpfe auf, welche Branche zuerst wieder
       öffnen darf. Beides ist nötig. Denn Demokratie heißt nicht Konsens von
       oben, sondern geregelter Kampf der Interessengruppen. Für manchen
       Restaurantbesitzer, der Angst vor dem Bankrott hat und sich benachteiligt
       fühlt, scheint die Idee, dass alles Lüge ist, anziehend zu sein.
       
       Man sollte sich von der Konjunktur des Irrsinns aber nicht irre machen
       lassen. Denn all das ist auch ein flüchtiger Effekt der
       Aufmerksamkeitsökonomie. Selten war es leichter, die Scheinwerfer auf sich
       zu richten. Ein Autor von Kochbüchern hat es mit der Idee, als Samurai im
       Kampf gegen die Weltverschwörung zu sterben, zu einer gewissen Bekanntheit
       gebracht.
       
       Diese neue Querfront ist nicht so einflussreich, wie sie es in ihren
       Filterblasen suggeriert. Weniger als 10 Prozent lehnen, laut einer
       ARD-Umfrage, das Krisenmanagement der Regierung rundheraus ab. Die
       [3][Allianz von Impfgegnern bis zu Rechtsextremen] ist laut und schrill –
       stabil schon weniger. Bislang haben wir es eher mit einem ästhetisch
       strapaziösen als demokratiegefährdenden Phänomen zu tun.
       
       10 May 2020
       
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