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       # taz.de -- Ein Kardinal auf wirren Abwegen: Angekommen im braunem Milieu
       
       > Einst war Gerhard Ludwig Müller einer der Top-Männer in der katholischen
       > Kirche. Jetzt warnt der Kardinal vor einer vermeintlichen
       > Weltverschwörung.
       
   IMG Bild: Kardinal Gerhard Ludwig Müller: ein irrationaler Hardliner am rechten Rand der katholischen Kirche
       
       Berlin taz | Gerhard Ludwig Müller, einst einer der Top-Männer der
       katholischen Weltkirche, hat schon viele Böcke geschossen – das aber dürfte
       sein kapitalster sein: Mit anderen reaktionären Kirchenfürsten (allerdings
       eher der zweiten Reihe) hat der Kardinal einen Aufruf unterschrieben, der
       die Coronakrise nutzt, um krudeste Weltverschwörungstheorien zu verbreiten.
       
       Das obskure Schreiben raunt unter anderem, man habe Grund zu der Annahme,
       „dass es Kräfte gibt, die daran interessiert sind, in der Bevölkerung Panik
       zu erzeugen. Auf diese Weise wollen sie dauerhaft Formen inakzeptabler
       Freiheitsbegrenzung und der damit verbundenen Kontrolle über Personen […]
       durchsetzen. Diese illiberalen Steuerungsversuche sind der beunruhigende
       Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle
       entzieht.“ Ferner werde gemunkelt von einer „Einmischung von fremden
       Mächten“ und „unklaren Absichten supranationaler Einheiten“ – Experten der
       Antisemitismusforschung klingen bei solchen Sätzen schnell die Ohren.
       
       Dass Müller nun endgültig in das latent [1][braune Milieu der
       Verschwörungstheoretiker und Aluhut-Träger] abgerutscht ist, verwundert
       kaum, entbehrt aber auch nicht einer gewissen Tragik. Denn der 1947 im
       heutigen Mainz geborene Theologe galt in seinen frühen Jahren als
       einigermaßen weltoffener, vernünftiger und liberaler Mann – davon zeugt
       Müllers langjährige Freundschaft zu dem peruanischen Theologen Gustavo
       Gutiérrez, der der linken Theologie der Befreiung ihren Namen gab und sie
       mit begründete.
       
       Spätestens aber in seiner Zeit als Bischof von Regensburg von 2002 bis 2012
       und in den folgenden fünf Jahren als Chef der Kongregation für die
       Glaubenslehre im Vatikan profilierte sich Müller als irrationaler Hardliner
       am rechten Rand der Kirche Roms.
       
       ## Verrammelt in der ideologioschen Wagenburg
       
       Joseph Ratzinger, der deutsche Papst Benedikt XVI., förderte während seines
       Pontifikats den tiefschwarzen Flügelmann – und dass Ratzinger seit seinem
       Rücktritt vor sieben Jahren offenbar ebenfalls immer mehr
       Verschwörungstheorien à la Müller anhängt, zeigte der Papa emeritus jüngst
       in einem Buch. Darin erklärte Ratzinger, Kirche und Papsttum seien durch
       eine „weltweite Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien“ bedroht
       und die moderne Gesellschaft dabei, „ein antichristliches Credo zu
       formulieren“.
       
       Seitdem Papst Franziskus [2][Kardinal Müller 2017 de facto gefeuert] hat,
       verrammelt er sich zunehmend in einer ideologischen Wagenburg der
       Entmachteten und Beleidigten, die die liberalen Gesellschaften schlicht als
       Feind sehen. Nun reicht es selbst den deutschen Bischöfen: Sie
       distanzierten sich öffentlich von Müllers Wahnideen, ein einmaliger
       Vorgang.
       
       Am deutlichsten kritisierte der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer das irre
       Schreiben von Müller und Co. Pfeffer erklärte: „Dem muss widersprochen
       werden! Mit Jesus Christus, auf den sich die Unterzeichner berufen, haben
       derart wirre Thesen, die Ängste schüren, Schwarz-Weiß-Denken verfolgen,
       üble Feindbilder zeichnen und das Miteinander in unseren Gesellschaften
       vergiften, nichts zu tun.“
       
       10 May 2020
       
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