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       # taz.de -- Neue Spielstraßen in Berlin: Kinder nehmen Raum ein
       
       > Um Gedränge auf den Spielplätzen zu reduzieren, gibt
       > Friedrichshain-Kreuzberg Straßenabschnitte als Spielstraßen frei. Nach
       > Corona soll Schluss sein
       
   IMG Bild: Straßen-Kinder: Auch ein Abschnitt der Friedrichstraße wird zur Spielstraße
       
       Berlin taz | Neben Schmetterling und Segelschiff ziert ein blau-grünes Auto
       aus Kreide den Asphalt. Vier Kinder rennen einem Ball hinterher. Das
       südliche Ende der Friedrichstraße ist am Sonntag für einen Abschnitt von
       rund 300 Meter in eine temporäre Spielstraße umgewandelt – hier rollen
       heute von 13 bis 19 Uhr keine Autos, sondern Laufräder. Das könnte auch
       nach Corona Normalität werden.
       
       Über sechs Wochen waren die [1][Spielplätze in Berlin coronabedingt
       geschlossen,] nun öffnen sie nach und nach wieder. Damit Abstand gehalten
       werden kann und sich nicht zu viele Kinder und Eltern gleichzeitig ums
       Klettergerüst drängen, sorgt Friedrichshain-Kreuzberg für mehr Platz: Jeden
       Sonntag sollen bis zu 30 Straßen in der Nähe von Spielplätzen für Autos
       gesperrt und zum Spielen geöffnet werden. Vom Lausitzer Platz bis zur
       Cuvrystraße: [2][19 Spielstraßen] gibt es bereits, weitere sollen
       dazukommen.
       
       „Europaweit ist Friedrichshain-Kreuzberg eines der am dichtesten
       besiedelten Stadtgebiete“, sagt Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und
       Grünflächenamtes, der taz am Telefon. „Wo es besonders prekär ist, wie im
       Boxhagener Kiez, soll deshalb mehr Platz zum Spielen entstehen.“
       
       In orangefarbener Warnweste winkt Tim Lehmann ein Auto an einer Absperrung
       vorbei, während er einer Fußgängerin einen Infozettel reicht. Der
       34-jährige Anwohner ist als sogenannter „Kapitän“ verantwortlich für die
       Spielzone Friedrichstraße. Voraussetzung des Bezirks ist, dass pro Straße
       ein*e Kapitän*in dafür sorgt, dass sich genug freiwillige Kiezlots*innen
       finden, die Verkehrsschilder aufstellen, Abstandsregeln kommunizieren und
       heranfahrenden Autos die Lage erklären. „Die Aktion kommt bei allen gut an.
       Auch bei den Autofahrer*innen“, sagt Lehmann. Neben ihm liegt eine
       Wasserzapfstation, die eingerichtet werden soll, um Bäume des anliegenden
       Parks zu wässern.
       
       „Von der Idee bis zur Umsetzung waren es zwei Wochen“, sagt Heiko Rintelen,
       Co-Gründer von FixMyBerlin, die Software zur Unterstützung der
       Mobilitätswende entwickeln und den Registrierungsprozess mit dem Bezirk
       durchführt. „Wir freuen uns, dass es gut läuft, denn wir wussten nicht, ob
       das für so viele Straßen klappt“, sagt der 43-Jährige. Immerhin müssten die
       Freiwilligen eine Vereinbarung der Verwaltung unterschreiben. 280 Menschen
       meldeten sich innerhalb von 31 Stunden. Mittlerweile sind es über 400. Auch
       der Verwaltungsprozess ginge schneller als üblich.
       
       ## Noch schöner ohne parkende Autos
       
       Hinter einem mobilen Fußballtor sitzt der kleine Emrecan, der heute drei
       Jahre alt wird. Sein Vater reicht ihm ein Stück Kreide. „Ich finde es toll,
       dass hier gespielt werden kann“, sagt Kenan Cengiz. „Noch schöner wäre,
       wenn hier weniger parkende Autos stehen würden, damit die Bälle nicht
       ständig verschwinden“, fügt der 47-Jährige hinzu. In der Wassertorstraße
       spielen rund 15 Kinder. Hier hat das Kiezprojekt Kreuzberg Kickt noch ein
       Federballnetz und zwei kleine Fußballtore aufgebaut.
       
       Die temporären Spielstraßen sind bis zum 28. Juni erlaubt. „Je nach
       Coronalage kann die Verwaltung das Angebot unkompliziert um vier Wochen
       verlängern, so lange, wie das Distanzgebot gilt“, sagt Weisbrich, es sei
       nicht ausgeschlossen, dass das Angebot langfristig etabliert werden kann –
       sofern das die Anwohner*innen wollen und sich genügend Freiwillige fänden.
       Ein Stimmungsbild könnte mit einer Diskussionsveranstaltung eingeholt
       werden. „Es braucht Engagement vor Ort, denn das Konstrukt lebt von einer
       echten zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit“, sagt er. Der Bezirk habe
       nicht genug Personal, um das ohne Hilfe durchzuführen.
       
       Loenie Beeskow gibt einer jungen Mutter einen Hula-Hoop-Ring von einem
       Stapel. „Ich arbeite seit zwei Jahren im Kiez und war überrascht, wie gut
       die Spielstraße auf Anhieb läuft und wie groß das Engagement hier in der
       Nachbarschaft ist“, sagt Beeskow vom MehrGenerationenHaus Wassertor, einem
       Verein, der seit zehn Jahren Räume für nachbarschaftliche Projekte
       organisiert. „Normalerweise braucht so etwas mehr Vorlauf, aber der Drang
       nach Bewegung ist groß.“ Die 30-Jährige kann sich gut vorstellen, dass sich
       die Spielstraße in den Sommermonaten etabliert.
       
       Die Idee der [3][temporären Spielstraßen] ist nicht neu. In der Kreuzberger
       Böckhstraße darf von April bis September mittwochs gespielt werden. In der
       Gudvanger Straße in Pankow gibt es seit sechs Jahren Engagement für eine
       Spielstraße – allerdings auch dagegen. Weil Anwohner*innen klagten, ist das
       Spielen dort derzeit nicht erlaubt.
       
       Von Vancouver über Mailand bis Budapest werden derzeit Straßen für Autos
       gesperrt und für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen geöffnet. Wofür es
       mancherorts ein Virus braucht, klappt in anderen Großstädten schon vorher:
       In London sind temporäre Spielstraßen mittlerweile Normalität, in
       [4][Bogotá] werden seit Jahren sonntags zentrale Straßen für Autos gesperrt
       und zu Fahrradstraßen erklärt.
       
       „Dem Autoverkehr muss mehr Platz weggenommen werden“, sagt Lehmann und
       schiebt ein Verkehrsschild zurecht. „Alles musste sich das letzte halbe
       Jahrhundert dem motorisierten Individualverkehr in der Stadtordnung
       unterordnen. Es ist an der Zeit, dass wir Fußgänger*innen und
       Fahrradfahrer*innen angemessen Platz einräumen.“
       
       10 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronakrise-in-Berlin/!5678221
   DIR [2] https://fixmyberlin.de/friedrichshain-kreuzberg/spielstrassen/kieze
   DIR [3] /Erste-temporaere-Spielstrasse-in-Berlin/!5614100
   DIR [4] /Neue-Radwege-durch-Coronakrise/!5681083
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sophie Schmalz
       
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