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       # taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Hamburg: SPD tritt auf wie zu Scholz’ Zeiten
       
       > Bei den rot-grünen Verhandlungen in Hamburg werden alle schwierigen
       > Themen ausgeklammert – auch wer die Rechnung bezahlt.
       
   IMG Bild: Distanziert, nicht nur wegen der Corona-Regeln: Fegebank und Tschentscher
       
       Hamburg taz | So richtig nahe kommt man sich nicht. Im 720 Quadratmeter
       großen Großen Festsaal des Hamburger Rathauses heißt es Abstand halten. Die
       TeilnehmerInnen der Verhandlungsdelegationen von SPD und CDU sprechen durch
       Mikrofone. Um sich in dem 46 Meter langen Saal zu verstehen, braucht es
       eine Lautsprecheranlage.
       
       Und auch wenn die TeilnehmerInnen von beiden Seiten offiziell betonen, die
       Stimmung sei „gut und vertrauensvoll“, die Gesprächskultur „konstruktiv“ –
       so ganz hinter vorgehaltener Hand heißt es, alles sei schon sehr
       „angestrengt und distanziert“. Und das liege nicht nur am Abstandsgebot.
       
       Seit knapp [1][drei Wochen verhandeln SPD und Grüne], nach Corona-bedingter
       Pause, die Eckpfeiler ihrer zukünftige Koalition. Die SPD, so sagen einige
       Grüne, „könne vor Kraft kaum laufen“ und tue alles, um sich selbst zu
       erhöhen und den Koalitionspartner kleinzuhalten. Seit Wochen inszeniert sie
       sich als alleiniger Krisenmanager, weil sie die Ressorts in den Händen
       hält, die nun relevant sind: Das Bürgermeisteramt, Haushalt, Wirtschaft,
       Inneres, Soziales, Bildung, Gesundheit und Kultur.
       
       Es ist lauter SPD-Personal, das den HamburgerInnen die Notwendigkeit im
       Umgang mit der Krise erklärt – die Grünen wurden am Katzentisch abgesetzt.
       Und auch wenn man mit SozialdemokratInnen spricht, die derzeit die
       Koalition verhandeln, hört man selten etwas von einer Gestaltung der
       Zukunft Hamburgs auf Augenhöhe, sondern eher etwas über „grüne
       Lieblingsprojekte, wo wir denen noch entgegenkommen müssen“.
       
       ## Es klingt schon wieder nach „grünem Anbau“
       
       [2][Die Scholz’sche Metapher vom „grünen Anbau“] an das sozialdemokratische
       Haupthaus aus einer Zeit, als die SPD noch fast viermal so viel Wahlstimmen
       wie der grüne Koalitionspartner auf sich vereinigte, bestimmt noch immer
       das „Wording“ vieler GenossInnen. Bei der Bürgerschaftswahl im Februar
       hatte die SPD 39,2 Prozent der Stimmen erhalten, die Grünen holten mit 24,2
       Prozent fast doppelt so viele wie fünf Jahre zuvor.
       
       Dass es in den Koalitionsverhandlungen bislang trotzdem recht reibungslos
       läuft, hat zwei Gründe: „Die dicken Dinger kommen erst noch“, sagt eine
       grüne Verhandlungsteilnehmerin und meint damit die Komplexe Wirtschaft,
       Verkehrswende und Klimaschutz. Bei der Schul- und der Hochschulpolitik etwa
       hatten beide Seiten kaum Probleme damit, sich miteinander auf die
       Verlängerung des Schulfriedens, forcierten Schulbau für wachsende
       SchülerInnenzahlen und mehr Geld für die Wissenschaft zu vereinbaren.
       
       Und genau hier liegt der zweite Hauptgrund, warum es zwischen Rot und Grün
       noch wenig knatscht: Obwohl auch Hamburg wegen Corona vor der größten
       Haushaltskrise der vergangenen Jahre steht, spielt Geld quasi keine Rolle
       auf dem rot-grünen Basar. Zwar sah sich Bürgermeister Peter Tschentscher
       bemüßigt, am Anfang der Verhandlungen den Delegationen ins Stammbuch zu
       schreiben, dass die Stadt laut [3][Tilgungsplan noch mindestens 20 Jahre]
       unter der bereits beschlossenen Neuverschuldung von 1,5 Milliarden Euro zu
       leiden habe.
       
       Zudem – so die aktuellen Zahlen der Finanzbehörde – muss Hamburg allein in
       diesem Jahr noch einmal 1,65 Milliarden Euro Steuerausfälle verkraften.
       Doch die Verhandlungen laufen bislang nach dem Motto: Ist erst der Haushalt
       ruiniert, regiert sich’s völlig ungeniert.
       
       Die SenatorInnen aller Ressorts, die schon verhandelt wurden, gingen am
       Ende mit der Botschaft an die Öffentlichkeit: Bei uns wird in der Krise
       nicht gespart; wir werden sogar investieren, um den Motor wieder
       anzuwerfen. Fast scheint es, als seien angesichts der fehlenden Milliarden
       ein paar Millionen mehr oder weniger auch egal. Damit das Ganze redlich
       wirkt, sind alle Verhandlungsbeschlüsse, die etwas kosten, unter einen
       „Finanzierungsvorbehalt“ gestellt. Konkret heißt das: Wir schauen erst
       später – bei den Haushaltsverhandlungen – was überhaupt bezahlbar ist.
       
       ## Der Bund soll für Bauprojekte zahlen
       
       Beide Seiten hoffen etwa Bauprojekte wie die U5 und die S4, aber auch ein
       „Haus der digitalen Welt“ oder auch weitere Hochschulbauten von den
       Investitionsprogrammen zur Wirtschaftsankurbelung des Bundes bezahlt zu
       bekommen – Programme, die es noch nicht gibt und die niemand kennt.
       Mögliche Konflikte zwischen Rot und Grün werden damit in die Zeit der
       Haushaltsberatungen im Herbst und Winter verschoben. „Da wird es
       schwieriger zusammenzukommen als jetzt“, sagt eine SPD-Verhandlerin.
       
       Da Geld derzeit keine Rolle spielt, wird für das werte Publikum momentan
       nur über Symbolpolitik gestritten, etwa über das grüne Anliegen, zahlreiche
       Straftatbestände zu entkriminalisieren. Den Plan, das Vermummungsverbot zur
       Ordnungswidrigkeit herabzustufen, ließen die Grünen schon vor der Wahl
       fallen, bei der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens und des
       Cannabiskonsums bissen sie sich während der Verhandlungen an den Sozis die
       Zähne aus.
       
       Allein das Containern – die Entwendung noch genießbarer, weggeworfener
       Lebensmittel aus Abfallbehältern – wollen die Sozialdemokraten mit
       vorantreiben – der bislang größte grüne Verhandlungserfolg.
       
       Doch der besteht eigentlich hauptsächlich in der Erlaubnis für den grünen
       Justizsenator Till Steffen, sich – wenn er sein Amt denn behalten darf –
       erneut eine blutige Nase zu holen. Denn die wirkliche Entkriminalisierung
       des Containerns bedarf einer bundesweiten Strafrechtsreform, für die
       Steffen bereits in der JustizministerInnenkonferenz eine deutliche Abfuhr
       erhalten hatte. Er hat nun von der SPD offiziell die Erlaubnis erhalten,
       erneut zu scheitern.
       
       12 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Koalitionsgespraeche-beginnen-in-Hamburg/!5678079/
   DIR [2] /Rot-gruene-Koalition-in-Hamburg/!5013507/
   DIR [3] https://www.welt.de/regionales/hamburg/article206853567/Coronavirus-Hamburgs-Rettungspaket-muss-20-Jahre-lang-abbezahlt-werden.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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