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       # taz.de -- Grünen-Parteitag zur Coronakrise: Uneins über Reichensteuer
       
       > Die Grünen-Spitze will am liebsten nicht über Steuern sprechen. Doch vor
       > dem Parteitag werden Forderungen nach einer Vermögensabgabe laut.
       
   IMG Bild: Ob Sie mit dem Vorstoß zu einer Vermögensabgabe glücklich sind? Annalena Baerbock und Robert Habeck
       
       Berlin taz Die Debatte über Verteilungsgerechtigkeit in der Krise nimmt bei
       den Grünen Fahrt auf. Der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen fordert
       eine europäische Vermögensabgabe, um Maßnahmen gegen die Corona-Krise zu
       finanzieren. Andresen will einen entsprechenden Antrag auf dem
       [1][digitalen Länderrat der Grünen] stellen, der am Samstag stattfindet.
       Ein weiterer Antrag von einem Mitglied aus dem Kreisverband Neukölln
       fordert eine innerdeutsche Vermögensabgabe.
       
       In Andresens Antragstext, der der taz vorliegt, heißt es: „Um die sozialen
       Folgen der Krise abzumildern, die Krisenkosten fair aufzuteilen und um die
       EU zusammenzuhalten, schlagen wir eine europäische Vermögensabgabe vor.“
       Während immer mehr EuropäerInnen vor existenziellen Fragen stünden, blieben
       die Vermögen der reichsten ein Prozent in der EU hoch. „Wenn die Folgen von
       [2][Corona] diese Spaltung weiter verschärfen, ist die EU existenziell
       gefährdet“, heißt es in dem Antrag weiter.
       
       Der Antrag aus dem Kreisverband Neukölln fordert eine „verfassungsfeste,
       ergiebige, umsetzbare und einmalige Vermögensabgabe für Superreiche“. Jene
       solle mit hohen Freibeträgen und über einen sehr langen Zeitraum gestreckt
       so ausgestaltet werden, „dass kein Unternehmen Schaden nimmt“.
       
       Die Vorschläge dürften für eine Diskussion auf dem Länderrat sorgen. Die
       Grünen-ChefInnen Annalena Baerbock und Robert Habeck vermieden in den
       vergangenen Wochen bewusst ein Bekenntnis zur Vermögensabgabe. Sie
       fürchten, sich damit angreifbar zu machen. Im Leitantrag wird den
       Delegierten zu dem Thema nur eine vage Formulierung vorgeschlagen. Es
       brauche zur Tilgung der Schulden einen solidarischen Ausgleich, heißt es
       dort. Und: „Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.“
       
       ## Idee von US-Ökonomen
       
       Ob damit auch eine Vermögensabgabe gemeint ist, wer diese starken Schultern
       besitzt und mit welchem Konzept sie belastet werden sollen, bleibt offen.
       Andresen, der neulich bereits einen Blogbeitrag zu mehr
       Verteilungsgerechtigkeit verfasste, argumentiert nun: „Die Wirtschaftskrise
       darf nicht dazu führen, dass Verluste vergemeinschaftet und Gewinne
       privatisiert werden.“ Eine europäische Vermögensabgabe sei gerecht und
       solle „Teil der Krisenantwort der Grünen sein“.
       
       Der Antrag dockt an eine Idee von US-Ökonomen an. Emmanuel Saez und Gabriel
       Zucman, beide Professoren an der kalifornischen Berkeley-Universität, sowie
       Camille Landais von der London School of Economics warben bereits Anfang
       April für eine befristete, europaweit erhobene Vermögensabgabe. Eine solche
       sei eine „konkrete Verkörperung europäischer Solidarität“ im Kampf gegen
       die Pandemie, schrieben sie in einem Debattenbeitrag.
       
       Die Kosten der europäischen Krisenbekämpfung sind enorm.
       EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von „Billionen“ Euro, die
       nötig seien. Andresen weist in seinem Antrag darauf hin, dass die Krise
       Menschen in der EU sehr unterschiedlich trifft. Laut Internationalem
       Währungsfonds werde die Arbeitslosigkeit in Spanien und Griechenland auf
       über 20 Prozent steigen. Davon seien junge Menschen besonders stark
       betroffen, Ältere litten unter den Folgen eines auf Verschleiß gefahrenen
       Gesundheitssystems.
       
       Die Grünen-Spitze fürchtet einen Steuerstreit – und erinnert sich mit
       Grausen an den Bundestagswahlkampf 2013, als die Partei mit dem Thema
       manche WählerInnen verschreckte. Die Vermögensabgabe ist bei Konservativen,
       Liberalen und mächtigen Wirtschaftsverbänden verhasst. Wie die Diskussion
       auf dem Parteitag ausgeht, ist offen. Andresen hält die von ihm
       vorgeschlagene europäische Vermögensabgabe für einen „guten Kompromiss“.
       Die nationale Debatte werde nicht berührt, sagt er – „und auf europäischer
       Ebene knüpfen wir an unsere Beschlusslage an.“
       
       Der Hintergrund: Die Strategie der Grünen-Spitze, über eine Abgabe zu
       schweigen, wird dem eigenen Programm nicht gerecht. Darin fordern die
       Grünen sogar „eine verfassungsfeste, ergiebige und umsetzbare
       Vermögensteuer“. An diese Formulierung lehnt sich der Antrag aus dem
       Neuköllner Kreisverband an. Eine Vermögensteuer wäre für Reiche sogar eine
       härtere Abgabe, weil sie unbefristet wäre.
       
       30 Apr 2020
       
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   DIR Ulrich Schulte
       
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