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       # taz.de -- Glenn Danzig covert Elvis Presley: Skelette im Kleiderschrank
       
       > US-Gruselrocker Glenn Danzig spielt ein Album mit gespenstischen
       > Elvis-Coverversionen ein und beschwört damit den Geist des King of
       > Rock'n'Roll.
       
   IMG Bild: Glen Danzig spielt jetzt über den Flügel
       
       Es könnte ein ganz kurzer Prozess sein. [1][Weniger woke als das hier] geht
       es doch wirklich kaum: Alter weißer Mann – und das ist hier keine
       Kampfformel, sondern schnöde Zustandsbeschreibung – ehrt einen ebensolchen.
       Und es kommt noch schlimmer: Der Ehrende, [2][Glenn Danzig], ist in der
       Vergangenheit aufgefallen durch irrlichternde Bekenntnisse zu
       Führerfiguren, von denen Donald Trump nur eine war. Oder auch ein Auftreten
       gegenüber weiblichen Fans, das nicht erst seit #MeToo mindestens aus der
       Zeit gefallen wirkt.
       
       Und der Geehrte? Elvis Presley, der Protojugendverderber und kulturelle
       Aneigner, die Hüftschwung gewordene Erinnerung an die Segregation und doch
       [3][bis heute eines der Symbole fürs amerikanische Freiheitsversprechen] –
       freilich nie für alle. Gibt es wirklich nichts Relevanteres?
       
       Für jene, die nicht dabei waren: Glenn Danzig, das ist die Bühnen- und
       überhaupt öffentliche Persona eines gewissen Glenn Allen Anzalone,
       italo-amerikanischer Arbeitersohn aus New Jersey. Der war [4][als Teil der
       Misfits] nicht unwichtig für den Punkrock in Nordamerika. Danach, wir reden
       nun schon von den 1980ern, hat er mit der eher kurzlebigen Formation
       Samhain – benannt nach einem heidnischen, nämlich keltischen Hochfest – und
       vor allem jener schön unbescheiden Danzig benannten Band den
       Mittelstandskids eine spezielle Form des Gothic Rock nahegebracht.
       
       ## Nur echt im Totenschädel-Chic
       
       Danzigs Totenschädel-Chic war dabei einerseits nicht halb so blutrünstig,
       wie ihn zu allen Zeiten das Metal-Genre im Angebot hatte. Wie das
       Debütalbum von 1988 [5][der abstrahierte Schädel eines fantastischen Tiers]
       zierte, so merklich beschränkt auf Wesentliches war, was darauf zu hören
       war – produziert hatte diesen von allem Tran befreiten, ja: skelettierten
       Neo-Hardrock der ziemlich junge Toningenieur Rick Rubin.
       
       Wer will, erkennt in jenem Debüt schon etwas angelegt, das dann mit
       [6][Rubins ganz späten Johnny-Cash-Produktionen] zu einer vom Leben
       geräucherten, Bourbonduft verströmenden dunklen Blüte gelangte. Später
       signalisierten dann schon die Packungen, unter anderem der erwartbare
       Schwellkörperschwulst eines HR Giger, nun ja, eine gewisse Verfettung auch
       des Sounds.
       
       Der Sound war aber immer nur eine Seite, die andere war Danzigs
       Selbstinszenierung: „Nicht gerade großgewachsen, lange, schwarz gefärbte
       Haare, breite Koteletten und muskelbepackt“, das war Ende 1990 [7][in der
       Bremer taz-Lokalausgabe] eine ziemlich exemplarische Beschreibung seiner
       Auftritte.
       
       ## Diva, Starallüren und Handgreiflichkeiten
       
       Aber noch eine Eigenschaft eilte ihm bald voraus, der einer Diva nämlich:
       Man begann um Stunden verspätet so manches Konzert, kolportiert werden
       Handgreiflichkeiten mit Veranstaltern, auch Fans; und die Band brach schon
       mal Tourneen ab, wenn irgendwas nicht nach Wunsch ging. Starallüren also,
       ohne dass Glenn Danzig je so richtig einer geworden wäre. Vielleicht ja
       deshalb hat der einstige Kunst- und Fotografiestudent sich auch als
       Comiczeichner und Produzent von Horrorfilmen versucht.
       
       Und ausgerechnet dieser Danzig nimmt sich nun Elvis Presley vor, ein ganzes
       Album lang – ohne doppelten Boden, ohne irgendwelche postmodernen
       Brechungen, ohne jedes subversive Rollenspiel? Einerseits ist das nur
       folgerichtig. Elvis als Referenz, das begleitet den bösen kleinen Glenn –
       [8][vereinzelt auch schon „Evil Elvis“ genannt] – mindestens so lange, wie
       es die Band Danzig gibt. „Ich hab ja keine richtige Metalstimme“, das hat
       er [9][dem Rolling Stone gesagt], weshalb es ihn mehr hingezogen habe zu
       einem anderen, „bluesigeren“ Gesang: „Ich war immer ziemlich offen, was
       meine Einflüsse angeht, also Elvis oder Howlin’ Wolf, Muddy Waters, Willie
       Dixon, so’n Zeugs.“
       
       1993 schaffte es [10][Danzigs Interpretation von Elvis’ „Troubl]e“ auf eine
       EP, 2015 war dann [11][„Let Yourself Go“] unter den Coverversionen, die das
       Konzeptalbum „Skeletons“ bildeten. Da klingen ja auch die sprichwörtlichen
       „skeletons in the closet“ an, also in etwa die Leichen im Keller, also:
       Sünden der eigenen Vergangenheit. Und so sehr Danzig seine
       Elvis-Leidenschaft nun als immer-schon-und-sowieso darstellt: Derlei klingt
       immer auch nach später reumütiger Heimkehr eines die aufmüpfigen Jahre
       hinter sich lassenden Sohns.
       
       ## Entertainment-Proletkult
       
       Was genau macht der inzwischen 64-Jährige nun aber aus dem Œuvre des, mit
       Verlaub, zu Tode genudelten „King“? Vorstellbar gewesen wäre zweierlei:
       Elvis-Stücke ins typische Danzig-Klangbild zu übertragen, also einen in den
       90ern hängen gebliebenen Metallo-Hardrock-Wumms. Oder die möglichst
       originalgetreue Kopie – im Falle Presleys ist das ja schon [12][ein eigener
       Zweig des Entertainment-Proletariats].
       
       Es gibt für die erstgenannte Variante ein paar Beispiele auf diesem Album.
       14 Stücke sind darauf, darunter ein paar sehr gut ausgeleuchtete Songs,
       auch solche, bei denen sich Danzig nun messen lassen muss an existierenden
       Adaptionen: „Always On My Mind“ oder „Fever“. Da macht der stimmlich
       erkennbar gealterte Danzig, ganz ehrlich, keine sonderlich gute Figur.
       
       Die Mehrzahl aber sind vergleichsweise obskure Songs, oft aus den
       Elvis-Filmen, die Danzig als Kind gesehen hat. Aus „G. I. Blues“ (1960),
       deutscher Titel: „Café Europa“ stammt dann auch das überraschende
       Highlight, [13][„Pocketfull of Rainbows“]: Ehrfürchtig, aber vielleicht vor
       allem: müde, verhallt, verwehend; man wüsste zu gerne, was [14][einem wie
       Mark Fisher] zu dieser Geisterbeschwörung eingefallen wäre.
       
       18 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gendersternchen-Anglizismus-des-Jahres/!5567880
   DIR [2] /!s=%22glenn+danzig/
   DIR [3] https://www.welt.de/kultur/article5720619/Elvis-Presley-wird-auch-den-Islamismus-zersetzen.html
   DIR [4] https://www.youtube.com/watch?v=1wUvmPLPpaU
   DIR [5] https://www.govenuemagazine.com/danzig-self-titled-30-years-ago-today/
   DIR [6] /!781779/
   DIR [7] /!1743615/
   DIR [8] https://vampster.com/interviews/danzig-evil-elvis-und-der-circle-of-snakes/
   DIR [9] https://www.rollingstone.com/music/music-features/glenn-danzig-elvis-presley-interview-one-night-premiere-979212/
   DIR [10] https://www.youtube.com/watch?v=kgE-dlBIa98
   DIR [11] https://www.youtube.com/watch?v=Z23hMkvV9kM
   DIR [12] https://www.youtube.com/watch?v=7ziZmYEZ5kc
   DIR [13] https://www.youtube.com/watch?v=HChBPPe-Hwo
   DIR [14] /!5635348/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Diehl
       
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