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       # taz.de -- BGH-Urteil zum Sampling von Musik: MCs müssen fragen
       
       > Geklaute Beats gelten nicht als Zitat. Das entschied der
       > Bundesgerichtshof im Streit zwischen Kraftwerk und dem Hiphopper Moses
       > Pelham.
       
   IMG Bild: Vom Style her eher Gospel – die RichterInnen des BGH am Donnerstag
       
       Karlsruhe taz | Wenn Hiphopper erkennbare Soundschnipsel von anderen
       Musikstücken benutzen, ohne sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen,
       müssen sie sich künftig Lizenzen besorgen. Das entschied jetzt der
       Bundesgerichtshof (BGH) in einem rund 20 Jahre währenden Rechtsstreit.
       
       Der Hiphop-Produzent Moses Pelham hatte 1997 – ohne um Erlaubnis zu fragen
       – ein kurzes Sample aus dem Kraftwerk-Stück „Metall auf Metall“ benutzt. Es
       war dann als durchlaufender Beat auf dem Stück „Nur mir“ der Rapperin
       Sabrina Setlur zu hören.
       
       Die beiden Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider verklagten
       Pelham daraufhin auf Unterlassung und Schadensersatz. Sie beriefen sich
       unter anderem auf ihr Leistungsschutzrecht als Musiker und Produzenten.
       Nachdem Kraftwerk zunächst mit der Klage Erfolg hatte, erhob Pelham
       Verfassungsbeschwerde und berief sich auf die Kunstfreiheit.
       
       Das Bundesverfassungsgericht [1][entschied 2016 zugunsten von Pelham]: „Der
       Einsatz von Samples ist ein stilprägendes Element des HipHop“, stellten die
       Verfassungsrichter damals fest. Der Zugriff auf das Originaldokument diene
       der „ästhetischen Reformulierung des kollektiven Gedächtnisses kultureller
       Gemeinschaften“.
       
       ## Ein ewiges Hin und Her
       
       Dies galt als großer juristischer Erfolg des HipHop. Übersehen wurde
       jedoch, dass das Karlsruher Urteil nur die Rechtslage bis 2002 betraf. Ab
       2002 aber galt die [2][EU-Urheber-Richtlinie], und damit musste der
       Konflikt anhand von EU-Grundrechten bewertet werden.
       
       Der BGH legte deshalb den Fall 2017 dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in
       Luxemburg vor, der dann neue Vorgaben für die Zeit ab 2002 machte. Danach
       können Hiphopper fremde Soundschnipsel nur dann ungefragt nutzen, wenn die
       Schnipsel „nicht wiedererkennbar“ sind. Bei markanten Sounds und Beats muss
       dagegen in der Regel gefragt werden – außer es handelt sich um ein Zitat
       oder eine Parodie, so der EuGH.
       
       Diese EuGH-Vorgaben von 2019 musste der BGH jetzt auf den „Metall auf
       Metall“-Streit anwenden. Dabei ging der BGH davon aus, dass der
       Kraftwerk-Beat durch Pelham so markant eingesetzt wurde, dass er
       wiedererkennbar war. Der BGH berief sich dabei auf entsprechende
       Feststellungen der Vorinstanz, des Oberlandesgerichts Hamburg.
       
       In der mündlichen BGH-Verhandlung im Januar war vor allem um die Frage
       gestritten worden, ob Pelham das Kraftwerk-Stück zitiert hat. Pelham-Anwalt
       Jochen Höger argumentierte: „Gesang und Gitarre haben sich mit der
       Rhythmus-Sequenz künstlerisch auseinandergesetzt“. Kraftwerk-Anwalt Peter
       Wassermann fand das jedoch „an den Haaren herbeigezogen“. Da Produzent
       Pelham ursprünglich sogar bestritt, dass er überhaupt einen Kraftwerk-Beat
       benutzt hatte, könne er jetzt nicht behaupten, es sei ihm um eine
       Interaktion mit gerade diesem Rhythmus gegangen.
       
       ## Eigentlich ein Unentschieden
       
       Der BGH entschied diese Frage nun zugunsten von Kraftwerk. „Hier liegt kein
       Zitat vor“, erklärte der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch, „denn die
       Hörer können schon gar nicht erkennen, dass die Rhythmussequenz einem
       fremden Werk entnommen wurde.“
       
       Der BGH musste den Streit allerdings noch einmal an das Oberlandesgericht
       Hamburg zurückverweisen. Die Vorinstanz muss noch klären, ob die Setlur-CD
       nach 2002 überhaupt noch hergestellt wurde.
       
       Tatsächlich dürfte Produzent Pelham die meisten Umsätze mit dieser CD vor
       2002 gemacht haben. Und für die Zeit unter der alten Rechtslage, das
       deutete der BGH an, dürfte Pelham gewinnen.
       
       Insofern könnte man von einem Unentschieden sprechen. Kraftwerk hat bei der
       Bestimmung der aktuellen Rechtslage mehr Punkte gemacht. Moses Pelham muss
       aber von seinen Gewinnen bis 2002 vermutlich nichts an Kraftwerk abgeben.
       
       In der Musikwirtschaft hat sich trotz des Karlsruher Urteils von 2016
       ohnehin die Praxis durchgesetzt, dass vor der Verwendung fremder
       Sound-Schnipsel entsprechende Lizenzen eingeholt und bezahlt werden.
       
       30 Apr 2020
       
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