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       # taz.de -- Tourismus im Norden läuft wieder an: Vor der Seebrücke wird's eng
       
       > St. Peter-Ording musste wegen der Coronapandemie in den Ruhemodus
       > schalten. Montag wird wieder hochgefahren. Eine Ortsbegehung.
       
   IMG Bild: Wird eng: Die Seebrücke in St. Peter-Ording ist ein Nadelöhr auf dem Weg zum Strand
       
       Neumünster taz | Vasen mit roten Tulpen stehen auf den Tischen des Cafés,
       aber niemand sitzt dort. An der Tür des geschlossenen Heimatmuseums werben
       Plakate für Veranstaltungen, die nie stattgefunden haben. Rot-weißes
       Markierungsband sperrt die Bänke vor der Eisdiele. Überlaut schallt der
       Gesang der Amseln über die leeren Straßen. Der Ort sieht aus wie eine
       Filmkulisse in einer Drehpause: Die Gebäude, die Straßen, die Dünen, der
       Himmel und das Meer sind da, nur die Menschen fehlen. [1][Am Montag sollen
       sie zurückkehren]. Wird dann alles wie früher in St. Peter-Ording – und
       wäre das überhaupt gut?
       
       Vor 60 Jahren, als ihre Eltern noch Kühe hielten und gelegentlich einen
       Raum in ihrem Reetdachhäuschen als „Fremdenzimmer“ vermieteten, musste
       Frauke Petersen immer erklären, was SPO bedeutet. „Heute beneidet mich
       jeder, dass ich hier leben darf“, sagt Petersen. Denn SPO, St.
       Peter-Ording, gilt als einer der beliebtesten Ferienorte in
       Schleswig-Holstein. Der Grund dafür ist der Strand, der dank einer Sandbank
       so breit ist wie nirgendwo sonst an der Festlandküste. Dazu kommt eine
       Schwefelquelle, die mit der salzhaltigen Luft den Ort zum „Nordseeheil- und
       Schwefelbad“ adelt.
       
       Neben Familien und dem Rollatoren-Publikum reisen SportlerInnen an, für die
       St. Peter-Ording ein riesiger Spielplatz ist. Der Seewind schafft beste
       Bedingungen zum Wind- oder Kitesurfen, Strandsegler sausen über den Sand.
       Neben der Seebrücke stehen Strandbars auf Stelzen, im Ort lösen sich
       Fischbrötchen- und Eisläden mit Nippes- und Bekleidungsgeschäften ab. 2,5
       Millionen Übernachtungen zählt die Nordseegemeinde mit ihren 4.000
       EinwohnerInnen in einem normalen Jahr. Doch [2][in diesem Jahr ist nichts
       normal].
       
       Constanze Höfinghoff läuft mit schnellen Schritten über die Straße „Am
       Kurbad“ zum Platz vor der Seebrücke. Dieser Bereich wird ein Problem
       werden, es ist das engste Nadelöhr der Gemeinde. Wer zum Meer will – und
       das wollen alle – muss einen der Übergänge über die Dünen und Salzwiesen
       nutzen. Und die Seebrücke erschließt den breitesten, schönsten und
       belebtesten Teil der Sandbank. Selbst bei kühlem Wetter drängen sich hier
       Hunderte.
       
       An diesem Tag kurz vor dem Neustart lassen sich die Menschen noch an einer
       Hand abzählen: Ein Mann mit Rad, eine Frau mit Hund, ein Pärchen in
       Windjacken, das über die Brücke in Richtung See schlendert. Kein Kite-Segel
       stört den Blick in die Ferne, Wolken treiben am Himmel, der Wind bringt
       Salz und Frische mit.
       
       ## Die Tourismuszentrale hat Millionen verloren
       
       Höfinghoff hat für die Natur keinen Blick, nicht in diesen verrückten
       Wochen. Die 49-Jährige ist seit 2014 Tourismus-Direktorin in SPO, Herrin
       über einen Jahresetat von 17 Millionen Euro und Chefin von 160 Angestellten
       in der Tourismuszentrale und der Therme mit Wellenbad, Sauna, Gesundheits-
       und Wellnessangeboten.
       
       Rund 2,6 Millionen Euro an Einnahmen hat die Tourismuszentrale durch Corona
       bereits jetzt verloren, dafür ein Mehrfaches an Arbeit geleistet, sagt
       Höfinghoff: Alle Sorgen, alle Fragen landeten in der Zentrale. „Das Lustige
       ist, dass wir oft auch gar nicht viel mehr wissen als das, was gerade über
       die Medien transportiert wird.“
       
       Das gilt auch für diese letzten Tage vor dem Neustart. Eigentlich freut
       sich Höfinghoff darauf, dass Lokale und Hotels wieder öffnen und Fremde
       anreisen dürfen: „Ich als Tourismus-Chefin musste den Gästen sagen: Bitte
       kommt nicht. Wie absurd ist das denn!“ Aber Einzelheiten stehen immer noch
       nicht fest, es fehlen detaillierte Verordnungen. Also „tappen alle im
       Dunkeln“.
       
       Weil Höfinghoff aber lieber regelt als abwartet – „Klar bin ich eigentlich
       nicht zuständig, aber wer soll’s sonst machen?“ –, hat sie ein
       „Lenkungskonzept“ entworfen. Der sichtbarste Teil sind blaue Aufkleber auf
       den Straßen, die Kernaussage lautet „Abstand“.
       
       Zusätzlich werden die TouristInnen über Plakate, Broschüren und Mails über
       die Regeln [3][zum Reisen in Coronazeiten informiert]. „Auf freundliche und
       charmante Weise, denn wir sind freundliche Gastgeber und wollen die Gäste
       hier haben – aber wir appellieren an den gesunden Menschenverstand.“
       
       Einfach werde es nicht, die Regeln durchzusetzen: „Es ist den Leuten
       manchmal schon schwer begreiflich zu machen, dass auch im Urlaub die
       Straßenverkehrsordnung gilt“, sagt Höfinghoff. Vor allem die Tagesgäste
       bereiten ihr Sorgen. Darunter die Gruppe der SportlerInnen: „Dass Sport im
       Freien wieder erlaubt ist, macht es für uns schwierig.“ Denn die Kiter und
       Surfer, die wie die meisten Gäste mit dem Auto anreisen, können zwar auf
       einen der Strandparkplätze fahren, aber viele landen trotzdem am Nadelöhr
       vor der Seebrücke.
       
       Lässt sich etwas lernen aus der Krise, kann oder muss etwas anders werden?
       Höfinghoff schüttelt energisch den Kopf: „Mit Nachhaltigkeit befassen wir
       uns schon lange. Und über Verkehr wird auch seit Jahren gesprochen.“ Das
       Problem liegt in der Struktur des Ortes, in dem nur eine zentrale Straße
       die Ortsteile Ording, Bad, Dorf und Böhl verbindet. In der Saison drängen
       sich die Wagen hier Stoßstange an Stoßstange.
       
       Ja, es wird gesprochen, nur geändert hat sich wenig. „Es wird allmählich zu
       viel mit dem Tourismus“, sagt Frauke Petersen. Ihr Hof liegt außerhalb des
       Ortskerns, umgeben von Wiesen, auf denen Kühe grasen. „Unsere Gäste suchen
       genau diese Ruhe“, sagt die 70-jährige Künstlerin. Sie ist vor einiger Zeit
       aus Hamburg zurück in ihr Elternhaus gezogen, hat im ehemaligen Kuhstall
       ihr Atelier eingerichtet.
       
       Statt des möblierten Fremdenzimmers von früher gibt es zwei Ferienwohnungen
       im Haus, weiß gestrichen, mit modernen Möbeln und wenigen alten Stücken
       eingerichtet, die Petersens Mutter auf den Dachboden verbannt hatte.
       
       Vermieten ist in SPO normal: 12.000 der insgesamt 17.000 Gästebetten im Ort
       werden privat angeboten. In dieser Saison fehlen den Einheimischen schon
       jetzt die Einnahmen einiger Wochen, und die strengen Hygiene-Auflagen mit
       Pausen zwischen den Vermietungen bedeuten Mehrarbeit und Umsatzverlust.
       
       ## Der Massentourismus hat auch eine Kehrseite
       
       Petersens Tochter Martje hilft ihrer Mutter bei der Verwaltung des Hauses
       aus dem 19. Jahrhundert. Zurzeit bauen die 35-Jährige und ihr Mann sich die
       Scheune zur Wohnung aus. Sie findet das Leben in SPO für junge Familien
       ideal, unter anderem wegen der Infrastruktur mit Läden, Kita, Schulen,
       Freizeitangeboten, die der Ort dank seiner Millioneneinnahmen vorhalten
       kann.
       
       Trotzdem sieht auch sie die Kehrseite des Massentourismus. Und ihre Mutter
       erzählt, dass Kritik auch von Gästen kommt: „Einige kommen nicht mehr, weil
       sie finden, der Ort sei überlaufen und zu rummelig“, so Frauke Petersen.
       Sie wünscht sich, dass der Coronaschock etwas an den Strukturen ändert.
       
       Constanze Höfinghoff sieht dagegen keine Alternative zum heutigen
       Urlaubsbetrieb: „[4][St. Peter-Ording] lebt zu 125 Prozent vom Tourismus.“
       Wobei sie Änderungen durchaus befürwortet: Weniger Tagesgäste und damit
       weniger Verkehr, dafür mehr professionelle Unterkünfte seien wünschenswert.
       Zurzeit gibt es 2.000 Hotelbetten, 3.000 seien „durchaus zu vertreten“.
       
       Aktuell wird im Ort über das sogenannte „Ufo-Hotel“ gestritten, ein Bau,
       der in den Dünengürtel gesetzt werden soll. Optisch soll das Haus darin
       verschwinden, aber der Naturschutz hat Bedenken. Die Gemeindevertretung ist
       uneinig, die Einheimischen ebenfalls.
       
       Karsten Werner, Geschäftsführender Vorstand des „Strandgut Ressort“, sitzt
       im leeren Hotel-Restaurant „Deichkind“ und wirkt extrem entspannt dafür,
       dass sein Haus zurzeit täglich Geld verliert. Die meisten seiner 85
       Beschäftigten waren in Kurzarbeit, ihr Chef freut sich, dass sie nun wieder
       zu vollen Bezügen, Schichtzuschlägen und Trinkgeld zurückkehren. In der
       Zwangspause ist einiges saniert worden in dem 2007 eröffneten
       „Lifestyle-Hotel“: „So ungestört können die Techniker sonst nie arbeiten“,
       sagt Werner, der 2013 in die Geschäftsleitung eingestiegen ist.
       
       ## Gäste sollen nicht nur an die Ansteckungsgefahr denken
       
       Eine neue Terrasse mit Meerblick wird helfen, die Abstandsregeln im Lokal
       einzuhalten – auf den Tischen liegen schon Warnzettel aus, die Zahl der
       Plätze wird reduziert. Aber noch sind viele Fragen offen: Nach den neusten
       Regeln dürfen zwei Familien gemeinsam essen, aber wie viele Personen
       könnten das sein, und wie soll ein Kellner herausfinden, wer zu einer
       Familie gehört?
       
       Eine Antwort ist, dass Gäste platziert werden, statt sich selbst einen
       Platz zu suchen. Werner hofft darauf, dass die Menschen vorsichtig bleiben
       und Abstand halten, aber dennoch nicht ständig an die Ansteckungsgefahr
       denken: „Sie sollen schließlich ihren Urlaub auch genießen.“
       
       Auch er findet, dass SPO durchaus noch mehr Hotels vertragen könnte, wobei
       es auf das Konzept ankäme: „Ein Familienhotel fehlt noch.“ Aber auch Werner
       wünscht sich, dass der Ort mehr auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz setzt,
       vielleicht auch deshalb, weil das bei seiner urbanen Klientel gut ankommt.
       So schlägt er vor, die Autos aus dem Zentrum zu verbannen und die Gäste mit
       Elektrobussen zu transportieren.
       
       Die Ruhe in der Woche vor dem Neustart sei übrigens nur relativ, sagt er:
       „[5][Die Zweitwohnungsbesitzer] sind wieder da, das bringt schon einiges.“
       Im April dagegen „liefen die Rehe auf den Straßen herum“.
       
       Mehr darüber, wie sich der Norden wieder für Tourist*innen öffnet und sich
       dabei vor der Ausbreitung des Coronavirus schützen will, lesen Sie in der
       taz am wochenende oder in unserem [6][eKiosk].
       
       15 May 2020
       
       ## LINKS
       
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