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       # taz.de -- LGBT und Corona in Georgien: Ausdruck äußerster Verzweiflung
       
       > In Tiflis steckt sich eine Trans-Frau in Brand. Vor allem in der jetzigen
       > Krise fühlen sie und Gleichgesinnte sich vom Staat alleingelassen.
       
   IMG Bild: Die LGBT-Bewegung in Georgien muss zu äußersten Mitteln greifen. Hier Aktivist_innen 2018 in Tiflis
       
       Berlin taz | Selbstanzündung als ultimativer Hilfeschrei: Am Donnerstag
       abend hat sich eine [1][Trans-Frau] vor dem Rathaus der georgischen
       Hauptstadt Tiflis in Brand gesetzt. Zuvor hatte sich dort eine kleine
       Gruppe versammelt, um gegen die Untätigkeit der Regierung während der
       Corona-Pandemie zu demonstrieren.
       
       Da Polizeikräfte schnell einschritten, erlitt Madona Kiparoidze keine
       schweren Verletzungen. Nachdem sie kurzzeitig festgenommen worden war,
       wurde sie in ein Krankenhaus gebracht.
       
       „Ich bin eine Trans-Frau und habe mich angezündet, weil der georgische
       Staat sich nicht um mich kümmert“, rief sie nach ihrer Festnahme. „Wir
       können noch einmal mehr unsere Miete bezahlen. Was sollen wir denn machen“,
       sagte ein anderer Demonstrant gegenüber dem Fernsehsender Pirveli.
       
       Seit Mitte März herrscht in der Südkaukasusrepublik Georgien wegen Corona
       eine landesweite Ausgangssperre. Diese Maßnahme trifft vor allem
       Trans-Menschen besonders hart. Da sie ihre Geschlechteridentität nicht
       legal anerkennen lassen können, werden sie auf dem Arbeitsmarkt massiv
       diskriminiert und haben oft keinen Zugang zu Sozialdiensten. Die meisten
       von ihnen verdienen daher ihren Lebensunterhalt als SexarbeiterInnen.
       
       ## Extreme Bedingungen
       
       Aber auch ohne den Corona-Virus leben LGBT-Menschen in Georgien unter
       extremen Bedingungen. Denn aus weiten Teilen der Gesellschaft schlägt ihnen
       blanker Haß entgegen, den die einflussreiche Orthodoxe Kirche nach Kräften
       schürt. Prügeleien und schwere Zusammenstösse bei Homo-Paraden, so sie
       überhaupt stattfinden dürfen, sind der Normalzustand. Dabei marschieren
       häufig auch Popen in der ersten Reihe mit.
       
       Im vergangenen Januar wurde eine Trans-Frau, die in einem Tifliser
       Supermarkt arbeitet, während ihrer Nachtschicht von einem Mann angegriffen.
       Dieser hatte sie zuvor mit [2][transphoben Sprüchen] beleidigt.
       
       Laut einer Umfrage des Tifliser Instituts NDI/CRRC vom vergangenen
       September war fast die Hälfte der Befragten der Meinung, dass die Rechte
       von LGBT-Menschen keines besonderen Schutzes bedürfen. Lediglich bei den
       unter 35jährigen beginnt sich dieser Trend langsam umzukehren.
       
       Auch der Staat tut bislang wenig bis gar nichts für eine effektive
       Durchsetzung der Rechte dieser Minderheit. Zwar gibt es im Strafrecht seit
       mehreren Jahren einen besonderen Passus, der Diskriminierung aufgrund von
       sexueller Orientierung und Geschlechteridentität als „Straftat unter
       erschwerten Umständen“ klassifiziert und entsprechend härter sanktioniert.
       Doch in der Praxis wird diese Vorschrift kaum angewendet.
       
       ## Nichts zu essen
       
       „Von den LGBT-Menschen sind Trans-Personen die am stärksten marginalisierte
       Gruppe. Sie haben jetzt nichts zu essen und kein Dach mehr über dem Kopf.
       Doch der Staat ignoriert sie komplett und lässt ihnen überhaupt keine Hilfe
       zuteil werden“, sagt Tamara Pasmadse von der Nichtregierungorganistion
       „Bewegung für Gleichheit“, die sich für die Rechte der LGBT-Community
       einsetzt.
       
       Gemeinsam mit Gleichgesinnten und anderen Aktivisten versucht die Bewegung
       derzeit Gelder aufzutreiben, um die Betroffenen in der Corona-Krise so gut
       es geht zu unterstützen. „Eine andere Möglichkeit gibt es nicht“, sagt
       Pasmadse. „Denn auf den Staat zu hoffen, ist sinnlos.“
       
       1 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       demonstriert.