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       # taz.de -- Streit zwischen Tschechien und Russland: Prager Denkmalsturz
       
       > Bezirksbürgermeister Ondřej Kolář lässt die Statue eines Sowjetmarschalls
       > abräumen – Moskau droht. Jetzt steht Kolář unter Polizeischutz.
       
   IMG Bild: Demontage: Abbau des Konev-Denkmals am 3. April in Prag
       
       Prag taz | Noch vor einem Monat hatte Ondřej Kolář gut lachen: „Konew
       musste weg, weil er keinen Mundschutz trug“, witzelte der 36-Jährige auf
       Twitter, nachdem er den Sowjetmarschall von seinem Sockel gestürzt hatte.
       Schon als Kolář vor sechs Jahren zum Bürgermeister des 6. Prager Bezirks
       gewählt wurde, einem noblen Stadtteil mit knapp 105.000 Einwohnern, hatte
       dieses eine Ziel vor Augen: Iwan Stepanowitsch Konew, der sowjetische
       Kriegsheld, zum Befreier Prags verklärt, muss weg.
       
       Auf einmal ging dann alles ganz schnell. Im Schatten des Corona-Lockdowns
       und unter dem Beifall der Anwohner am Platz der Interbrigaden, fiel der
       Marschall nach knapp zwei Stunden Rumruckeln morgens um zehn.
       
       Jetzt wartet die drei Meter hohe Bronzefigur in einem Depositarium
       irgendeines böhmischen Dorfes auf seine weitere Bestimmung: als erstes
       Ausstellungsstück ist Konew schon dem geplanten Museum des 20. Jahrhunderts
       gewidmet worden. Stattdessen soll in Prag 6 ein einfaches Denkmal zur
       Befreiung Prags 1945 aufgestellt werden.
       
       Das hatte der Stadtrat des Bezirks schon im vergangenen Spätsommer
       beschlossen. Die Mehrheit, die Konew museumsreif machte, war dabei mit 33:1
       ziemlich eindeutig. Damals, im August und September, hatte sich die Front,
       die tschechische Gesellschaft 75 Jahre nach Kriegsende in zwei feindliche
       Lager teilt, um das Konew-Denkmal herum gebildet. Über Wochen hinweg
       kämpften hier Stammtisch und Kaffeehaus mal wieder darum wer Recht hat.
       
       ## Zwei Lager
       
       Dieses Mal ging es um Konew, seine Rolle als Befreier Prags und Kriegsheld
       (Lager Stammtisch), aber auch bei der brutalen Niederschlagung des
       Ungarn-Aufstands 1956 und bei den Vorbereitungen der Invasion zur
       Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 (Lager Kaffeehaus).
       
       Den Anlass hatte eine nächtliche Farbbeutel-Attacke auf die Statue gegeben,
       die die Diskussion um die Konew-Statue, die seit Jahren im Bezirk vor sich
       her schwelte. In diesen Sommer muss bei der Denkmalschlacht besonders hart
       und dramatisch zugegangen sein.
       
       Kolář sah in ihnen jedenfalls das Signal, den entscheidenden Angriff auf
       Konew zu eröffnen. „Das Denkmal lässt die Emotionen noch immer hoch kochen,
       es hat hier einfach nichts mehr zu suchen“, schimpfte Kolař damals. Und
       ließ abstimmen. „Natürlich wisse Prag 6 um die Opfer, die die Rote Armee
       während der Befreiung gebracht hat“, betont er seitdem immer wieder.
       
       Dann das Aber: „Man muss auch dazu sagen, dass die Rote Armee Terror mit
       sich gebracht hat. Konkret in Prag 6 wurden unsere Nachbarn verhaftet, die
       in den 20er Jahren vor dem stalinistischen Terror aus Russland hierher
       geflüchtet sind“.
       
       ## Nerviger Promi-Sohn
       
       Unerwartete Unterstützung erhielt Kolář im Sommer aus Řeporyje, einem
       eingemeindeten Dorf im Südwesten, da wo Prag zu Böhmen wird. Hier ist das
       Reich von [1][Pavel Novotný]. Trotz seiner Anfänge als nerviger Promisohn,
       hat er sich seinen Ruf als enfant terrible der tschechischen
       Unterhaltungsszene in harter Arbeit verdient.
       
       Als Rampensau des Boulevardjournalismus pflegte er nicht nur freche Reden
       und stellte die Klatschindustrie samt ihrer Stars und Sternchen bloß,
       sondern streckte, auch mal seinen nackten Hintern in eine Kamera.
       
       Vor ein paar Jahren beschloss er, seine Talente in der Politik einzubringen
       und wurde Bürgermeister von Řeporyje. Dort wäre es am 5. Mai 1945 fast zu
       einem Massaker an der Zivilbevölkerung gekommen, wäre nicht zufällig der
       Anti-Konew der Geschichtsschreibung gerade im Dorf gewesen: Andrei
       Andrejewitch Wlassow samt Armee.
       
       Der gefallene General, in Russland bis heute als Kollaborateur verachtet,
       kam Novotný in den Sinn, als Ondřej Kolář ein paar Kilometer weiter
       nördlich gerade am Sockel Konews sägte. Und da der 39-Jährige Tabus als
       Herausforderung sieht, hatte er eine Idee: Wir bauen Wlassow und seiner
       Armee ein Denkmal dafür, dass sie uns befreit haben. Und er ließ abstimmen.
       Während Prag 6 entschied, Konew zu stürzen, beschloss Řeporyje, 13. Bezirk,
       die Wlassow-Armee hochleben zu lassen.
       
       ## Unter Polizeischutz
       
       Heute stehen Ondřej Kolář und Pavel Novotný unter Polizeischutz. Den
       Shitstorm nach dem Denkmalsturz, habe er ja erwartet, meinte Kolář vor
       einem Monat noch lässig, als die ersten Folterphantasien und Morddrohungen
       auf seinen social media-Kanälen aufgetaucht waren. Inzwischen war aber der
       russische Bär aufgewacht und stürmte hinter den Stöckchen her, die Kolář
       und Novotný ihm hin geworfen hatten.
       
       Protestnoten aus Moskau und vom Botschafter wechselten mit öffentlichen
       Wuttiraden, in denen Außenminister Lawrow und Verteidigungsminister Schoigu
       um die Wette schimpften. In Moskau und Petersburg kam es zu heftigen
       Protesten und Brandbombenanschlägen auf tschechische Vertretungen.
       
       Bei all dem Volkszorn musste Präsident Wladimir Putin sich aufmachen, um
       die russische Ehre retten. Am 7. April, vier Tage nach dem Prager
       Denkmalsturz, unterzeichnete er ein Gesetz, das die Schändung von
       Kriegsdenkmälern mit bis zu fünf Jahren Straflager ahndet. Das Gesetz wurde
       als rückwirkend beschlossen und bezieht sich auch auf Kriegsdenkmäler im
       Ausland. Andernfalls hätte Verteidigungsminister Schoigu ja keine
       Strafanzeige gegen Ondřej Kolář stellen können.
       
       Die Posse hat Ondřej Kolář und Pavel Novotný nun zu Hauptdarstellern
       gemacht. Der Diplomatensohn Kolář, der in Dublin und Washington studiert
       hat gilt als Hoffnungsträger der kleinen, pro-europäischen TOP 09. Mit
       seiner Drahtbrille und dem sensiblen Kurzhaarschnitt wirkt Kolář immer ein
       bisschen wie ein Konfirmand aus gutem Hause.
       
       ## Vornehmes Gegenstück
       
       Er ist das vornehme, gutbürgerliche Gegenstück zu Pavel Novotńy mit seinem
       wilden, dunklen Schopf dem Vollbart und dem Bierbauch. Was sie eint und mit
       dem Kaffeehaus-Lager der tschechischen Gesellschaft verbindet, ist eine
       abgrundtiefe Verachtung für alles Russische.
       
       Sollten Kolař und Novotný mit ihren Denkmalaktionen im Sinn gehabt haben,
       der Welt die Russen so vorzuführen, wie sie sie sehen – übergriffig und
       bedrohlich – haben sie das ganz wunderbar geschafft. Und das alles nur,
       weil ein Bronzedenkmal aufgrund einer demokratischen Entscheidung in ein
       Museum verfrachtet wird.
       
       So ganz überraschend mag das für Ondřej Kolář nicht gekommen sein. Sein
       Vater, Petr Kolář, war ein recht prominenter Diplomat. Heute leitet er den
       Think-Tank “Europäische Werte“, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, den
       russischen Einfluss im Land zu analysieren, um dann davor zu warnen.
       
       Was aber selbst ein professioneller Russland-Mahner wie Kolář kaum ahnen
       konnte, war die Eilmeldung, die das Magazin Respekt vergangene Woche
       verbreitete: ein Killerkommando des Militärgeheimdienstes GRU sei auf dem
       Weg in die Prager Stadtbezirke. Mit Ricin im Koffer. Moskau reagierte promt
       und wies die Mordabsichten in einer weiteren diplomatischen Note empört
       zurück.
       
       ## Feierlicher Baubeginn
       
       Dennoch hat die Polizei Kolář und Novotný bis auf weiteres unter
       Polizeischutz gestellt. Und den [2][Prager Oberbürgermeister Zdeněk Hřib]
       gleich mit. Warum Hřib ist zwar nicht ganz klar. Er sei jedenfalls bereit,
       für die Demokratie zu sterben, erklärte er dramatisch in einem Interview
       mit der Deutschen Welle.
       
       Pavel Novotný machte Moskau bereits klar, was er von Ricin und russischen
       Killerkommandos hält: er lud nach Řeporyje zum feierlichen Baubeginn des
       Wlassow-Denkmals.
       
       Die Gedenktafel mit den Namen der Gefallenen steht bereits. Neben dem
       Abzeichen der Wlassow-Armee ziert sie ein Zitat des russischen
       Schriftstellers Alexandr Solschenyzin: „Ob wohl alle Tschechen verstanden
       haben, welche Russen ihre Stadt befreiten?“
       
       2 May 2020
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Alexandra Mostyn
       
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