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       # taz.de -- Krieg und Corona in Libyen: Mit Mundschutz in die Schlacht
       
       > Nichts hat Libyen bislang dem Frieden näher gebracht, auch nicht der
       > UN-Aufruf zur Waffenruhe angesichts der Pandemie. Doch es gibt noch
       > Hoffnung.
       
   IMG Bild: Von den UN unterstützte Kämpfer der Regierung in Tripolis, März 2020
       
       Kairo taz | Libyen war schon immer speziell. Während sich ein guter Teil
       der Welt in die Selbstisolation begeben hat, hat sich der Krieg dort in den
       letzten Wochen intensiviert. „Wir haben in Libyen in Zeiten des
       [1][Coronavirus] eine absolut verrückte Situation“, sagt Tom Garofalo, der
       das Libyen-Büro der Hilfsorganisation International Rescue Commitee (IRC)
       leitet. „Die Kämpfer der verschiedenen Milizen tragen Gesichtsmasken, um
       sich vor dem Virus zu schützen, während sie gleichzeitig aufeinander
       schießen.“
       
       Mehr als 150.000 Menschen in Tripolis mussten zuletzt an andere Orte rund
       um die Hauptstadt fliehen, schildert Garofalo. Nachdem der abtrünnige
       General Chalifa Haftar, der Herrscher im Osten des Landes, im April letzten
       Jahres seine Tripolis-Offensive begonnen hat, befinden sich nun seine
       Gegner, die Milizen der von den UN anerkannten Regierung in Tripolis, auf
       dem Vormarsch. Sie vertreiben Haftars Truppen aus strategisch wichtigen
       Orten rund um Tripolis; der antwortet damit, dass er die Stadt bombardieren
       lässt.
       
       Der Aufruf von UN-Generalsekretär António Guterres, wegen der Coronakrise
       die Waffen weltweit schweigen zu lassen, stößt in Libyen bisher auf taube
       Ohren. Vergangene Woche erklärte Haftar endgültig ein UN-Abkommen für
       nichtig, in dem beide Kriegsparteien 2015 beschlossen hatten, sich die
       Macht aufzuteilen. De facto war dieses Abkommen allerdings sowieso
       hinfällig, da beide Seiten alle Karten daraufsetzten, ihren Konflikt
       militärisch zu lösen.
       
       Auch eine internationale [2][Libyenkonferenz in Berlin] im Januar dieses
       Jahres konnte das Blutvergießen nicht beenden. „Ich fürchte, dass nicht
       einmal das Virus den Willen für einen Waffenstillstand erhöhen wird“, fasst
       Garofalo seinen Frust zusammen. „Ich hoffe, ich liege da falsch, aber
       bisher hat wirklich nichts funktioniert.“
       
       ## Seuchenkontrolle zu Kriegszeiten
       
       Dass in Tripolis sogar Krankenhäuser wie das Hadr-Krankenhaus bombardiert
       wurden und damit gleich 20.000 ärztliche Konsultationen wegfielen, sei
       keine gute Voraussetzung, um eine Pandemie einzudämmen, meint Garofalo vom
       IRC. Zusammen mit dem libyschen Gesundheitsministerium und der WHO versucht
       seine Organisation, einen Plan zu erstellen, wie das Land der Pandemie
       begegnen kann.
       
       Das IRC hilft beim Testen und dabei, die Infektionen nachzuverfolgen. „Das
       ist aber schwierig, wenn es gefährlich ist sich zu bewegen und wenn
       Krankenhäuser angegriffen und geschlossen werden.“ Die Menschen seien nicht
       mit Covid-19 beschäftigt, sondern mit der Gewalt, die sie umgebe, sagt der
       US-Amerikaner, dessen Hilfsorganisation Büros in Tripolis und im Süden des
       Landes unterhält und mit 150 Ärzten und anderem medizinischen Personal in
       dem Land zusammenarbeitet.
       
       Bisher gibt es in Libyen offiziellen Angaben zufolge nur 63 Fälle und drei
       Covid-19-Tote, doch die Dunkelziffer dürfte viel höher sein. Besonders
       gefährdet sind die 700.000 Migranten und Flüchtlinge im Land, von denen
       nach UN-Angaben 80 Prozent überhaupt keinen Zugang zum Gesundheitssystem
       haben.
       
       „Tausende leben unter furchtbaren Umständen in Haftzentren, in engsten
       Verhältnissen, ohne ausreichend Nahrungsmittel und ohne Möglichkeit sich zu
       isolieren“, beschreibt Garofalo. Wegen ihrer oft angeschlagenen Gesundheit
       seien sie besonders anfällig für Infektionen. „Man kann sich kaum einen
       verwundbareren Teil der Bevölkerung vorstellen.“
       
       ## Zwei Regierungen, ein Gesundheitsministerium
       
       Doch es gibt auch Hoffnung in Coronazeiten: Einige staatliche Institutionen
       – etwa die Zentralbank und das Gesundheitsministerium – dienen wie in den
       vergangenen Kriegsjahren weiter beiden Seiten des Landes. Das
       Gesundheitsministerium und vor allem dessen für die Pandemie zuständiges
       Zentrum für Krankheitskontrolle ist immer noch eine gemeinsame Institution
       beider Regierungen in Libyen.
       
       „Dort werden die Tests in beiden Teilen des Landes koordiniert. Dort
       kooperieren die medizinischen Kollegen im West- und im Ostteil des Landes“,
       schildert Garofalo. „Das Gesundheitsministerium könnte eine wichtige Rolle
       spielen, das Land später mal wieder zusammenzubringen“, hofft er.
       
       Vielleicht ist es dieses Paradox, mit dem man die Lage in Libyen am besten
       beschreiben kann. Es gibt immer noch staatliche Institutionen mit
       Technokraten und Beamten, die allen Seiten Dienste leisten und das Virus
       einzudämmen suchen, während Milizionäre aus Angst vor dem Virus zwar
       Gesichtsmasken tragen, sich gleichzeitig aber gegenseitig nach dem Leben
       trachten.
       
       4 May 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Karim El-Gawhary
       
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