URI: 
       # taz.de -- FDP-Vizechefin über Schulöffnungen: „Familien eine Perspektive geben“
       
       > FDP-Vize Katja Suding fordert von Merkel und den MinisterpräsidentInnen
       > einen klaren Fahrplan, wie der Unterricht wieder aufgenommen werden kann.
       
   IMG Bild: Man muss das Thema digitale Bildung ganzheitlich angehen
       
       taz: Frau Suding, Sie haben zwei Söhne im Teenageralter, wie läuft das
       Homeschooling bei denen? 
       
       Katja Suding: Der Große hatte letzte Woche seine letzte schriftliche
       Abiklausur und muss nun neu planen, da seine Gap-Year-Pläne wegen Corona
       durchkreuzt wurden. Mein jüngerer Sohn ist in der 10. Klasse. Er erhält
       Aufgaben per E-Mail und nimmt an Videokonferenzen der Klasse teil.
       
       Ist das ein gleichwertiger Ersatz für den Unterricht im Klassenraum? 
       
       Nein. Ganz und gar nicht. Der Unterricht zu Hause kann den Unterricht im
       Klassenraum nicht ersetzen. Er freut sich jetzt unglaublich darauf, wieder
       in die Schule zu gehen.
       
       Wie sieht Ihrer Ansicht nach digitaler Unterricht aus, der diesen Namen
       verdient? 
       
       Das ist Unterricht, der digitale Lernmittel einbezieht und die LehrerInnen
       von bestimmten Routineaufgaben entlastet. Schüler könnten sich über Videos
       und andere Materialien schon zu Hause Stoff erarbeiten, und die Zeit im
       Unterricht wird genutzt, um Nachfragen zu beantworten und in gute
       Diskussionen zu kommen. Dieses Flipped-Classroom genannte Prinzip ist nicht
       neu, findet man in Deutschlands Schulen bisher aber eher selten. Da sollten
       wir aber hinkommen.
       
       In dieser Woche gehen einige SchülerInnen wieder zur Schule. Sollten die
       Ministerpräsidenten am Mittwoch die schrittweise Öffnung der Schulen für
       alle Kinder beschließen? 
       
       Das habe ich letzte Woche schon erwartet. Man muss den Familien und den
       Kindern eine Perspektive geben. Wichtig ist, dass die Ministerpräsidenten
       und die Kanzlerin am Mittwoch einen ganz konkreten Fahrplan und eine
       Richtung vorgeben. Klar ist, der Unterricht wird weiterhin auch von zu
       Hause aus stattfinden müssen. Deshalb müssen die Kultusminister der Länder
       vor allem die Umstände von sozial benachteiligten Schülern im Blick
       behalten und diese bevorzugt in die Schulen zurückholen.
       
       Sind die Schulen auf die Öffnung vorbereitet: Können sie einerseits
       Präsenzunterricht in der Schule mit Hygieneregeln anbieten und andererseits
       weiterhin eine große Anzahl Kinder zu Hause unterrichten? 
       
       Es werden nicht alle Kinder in die Schule gehen können, so dass dort auch
       weniger Lehrkräfte benötigt werden. Einige Lehrkräfte werden wir auch
       weiterhin fürs digitale Lernen brauchen, da würden sich vor allem die
       anbieten, die zur Risikogruppe gehören.
       
       Die gehören oft zu einer Generation, die bisher wenig Berührung damit
       hatte. 
       
       Stimmt. Deswegen wäre es so wichtig gewesen, wenn die Union – die SPD war
       da offener – auf unsere Forderung nach einem Digitalpakt 2.0 eingegangen
       wäre. Es reicht nämlich nicht, wie es derzeit geschieht, nur in
       Infrastruktur zu investieren, wir brauchen auch Aus- und Fortbildungen für
       Lehrkräfte, digitale Lernmittel, IT-Administratoren. Und wir müssen die
       datenschutzrechtlichen Bedenken klären.
       
       Viele Lehrer nutzen gerade Zoom, auch WhatsApp ist nicht mehr verpönt.
       Sollte das aufhören? 
       
       In der jetzigen Ausnahmesituation sollten wir mal alle fünfe grade sein
       lassen. Das ist aber keine Dauerlösung. Als FDP fordern wir seit Jahren die
       Entwicklung von Datenschutzstandards für die Schule, sind aber nur auf
       taube Ohren gestoßen. Wir werden Homeschooling noch für einen langen
       Zeitraum haben, und dafür braucht es Plattformen und digitale Lernmittel,
       die datenschutzkonform sind. Dafür müssen Bund und Länder aber erst einmal
       den längst überfälligen klaren Rahmen schaffen. Der Bund muss auch mehr
       unterstützen.
       
       Er unterstützt die Länder bereits mit 5 Milliarden Euro im Rahmen des
       Digitalpakts. Sollte er noch mehr Geld mobilisieren? 
       
       Man kann das alles, was ich aufgezählt habe, mit dem Geld, das jetzt im
       Topf ist, machen. Hier müssen die Antragsverfahren einfacher werden. Das
       Geld ist ja nicht ansatzweise abgerufen.
       
       Sie wollen mit dem gleichen Geld mehr Aufgaben finanzieren? 
       
       Es ist klar, dass wir viel mehr in die digitale Bildung investieren müssen.
       Aber zurzeit macht es wenig Sinn, die verfügbaren 5 Milliarden nur für die
       Technik an Schulen zu nutzen. So riskiert man, dass die teure Technik
       veraltet ist, bevor sie überhaupt sinnvoll eingesetzt werden konnte, weil
       Lehrer dafür nicht ausgebildet sind oder digitale Schulbücher fehlen.
       
       Sie haben ein Konzept der KMK für digitale Bildung gefordert. Dabei müsse
       die Geräteausstattung für finanziell benachteiligte Schüler Priorität
       haben. Einige Bundesländer erfassen derzeit den Bedarf.
       Nordrhein-Westfalen, wo ihre Parteifreundin Yvonne Gebauer Kultusministerin
       ist, nicht. Haben Sie eine Erklärung? 
       
       Auch Yvonne Gebauer will, dass alle Schüler über ein Endgerät verfügen,
       aber die Spielräume im Landeshaushalt sind begrenzt. Der Bund hat viel mehr
       Möglichkeiten. Es darf auch nicht sein, dass die Bildungschancen eines
       Kindes vom Wohnort abhängen. Daher sehe ich Bund und Länder gemeinsam in
       der Pflicht, kluge Lösungen zu finden.
       
       Nun sollen bedürftige Familien einen 150-Euro-Zuschuss für Laptops über das
       Bildungs- und Teilhabepakt beantragen können. Reicht das? 
       
       Das muss man sehen. Insgesamt stellt die Bundesregierung 500 Millionen für
       digitale Endgeräte der Schüler zur Verfügung. Aber selbst wenn das reichen
       sollte, fehlen nach wie vor die digitalen Lernmittel, für die es weiterhin
       kein Geld gibt.
       
       150 Euro für ein Laptop sind ganz schön knapp. 
       
       Stimmt, am Ende ist es Stückwerk. Man muss das Thema digitale Bildung
       ganzheitlich angehen. Das geht von Laptops über Clouds und Lerninhalte bis
       hin zu Datenschutz.
       
       Die Länder setzen eben unterschiedliche Schwerpunkte. Oder möchten Sie,
       dass der Bund das Thema digitale Bildung an sich zieht? 
       
       Das Grundgesetz lässt all diese Möglichkeiten zu, und das Geld für den
       Digitalpakt kommt vom Bund. Aber der Digitalpakt, wie er jetzt ausgestaltet
       ist, lässt keine Fortbildungen und all das zu, was wir uns wünschen.
       
       Ihre Forderung nach einem Digitalpakt 2.0 ist ein Jahr alt. Gerade ruft die
       FDP aber nicht dazu auf, stärker in die Schulen zu investieren, sondern
       fordert vor allem Entlastungen für Unternehmen. Oder wollen sie beides und
       damit weniger Einnahmen bei steigenden Ausgaben? 
       
       Beides. Entlastungen sind notwendig, um Unternehmen zu ermöglichen, zu
       investieren und Arbeitsplätze zu sichern. Bei den Ausgaben wollen wir
       andere Schwerpunkte setzen. Wir wollen nicht pauschal Transfer- und
       Sozialsysteme ausweiten, sondern in Bildung investieren. Nicht nur für
       Schulkinder, sondern auch für Erwachsene. Das lebenslange Lernen wird in
       Zukunft immer wichtiger werden.
       
       Aber gerade in der jetzigen Situation steckt der Staat doch Milliarden in
       Transfer- und Sozialleistungen, die auch Unternehmen und Unternehmerinnen
       zugutekommen. Finden Sie das falsch? 
       
       Das sind keine Programme, die auf Dauer angelegt sind. Hier geht es um
       temporäre Notfallhilfen, denen wir auch zugestimmt haben. Das kann aber
       keine Dauerlösung sein. Deshalb wollen wir ja auch Lockerungen, damit die
       Wirtschaft wieder anspringt und Menschen ihre Miete wieder bezahlen können.
       
       Und wenn die Reproduktionsrate wieder ansteigt? 
       
       Dafür spricht derzeit nichts. Zurzeit sinkt sie und deshalb müssen wir
       jetzt Lockerungsmaßnahmen ergreifen. Wir können die Wirtschaft nicht aus
       Vorsicht auf Dauer runterfahren und unsere Schulen und Kitas schließen. Wir
       werden mit Corona noch eine ganze Weile leben müssen. Natürlich wird das
       ein Trial-and-Error-Prozess sein. Es kann sein, dass einzelne Regionen
       wieder zu Infektionsherden werden und dann muss man dort gezielt wirksame
       Maßnahmen ergreifen. Wir wissen jetzt aber schon viel besser, womit wir es
       zu tun haben, und können von Positiv-Beispielen im Umgang mit Corona von
       anderen Ländern lernen.
       
       5 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Digitalpakt
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR FDP
   DIR Schule
   DIR Digitales Lernen
   DIR Familie
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Bundestag
   DIR Laptop
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Debatte um Schulöffnungen: Einsame Einzelkinder
       
       Rund ein Viertel der Kinder in Deutschland wächst ohne Geschwister auf.
       Gerade sie drohen in der familiären Isolation zu verkümmern.
       
   DIR Gewerkschafterin über Schulchaos in NRW: „Das Chaos ist unzumutbar“
       
       Die Schulpolitik der schwarz-gelben Regierung Laschet sei ein ständiges Hin
       und Her, kritisiert Maike Finnern, NRW-Vorsitzende der GEW.
       
   DIR Regierungserklärung zur Coronakrise: Das Ende des Ausnahmezustands
       
       Angela Merkel warnt vor „zu forschen Öffnungen“ des sozialen Lebens. FDP
       und AfD blamieren sich. Und Dietmar Bartsch hält eine kluge Rede.
       
   DIR Homeschooling in Corona-Zeiten: Speis und Laptops für SchülerInnen
       
       Es bleibt beim Homeschooling. Arme Familien stellt das vor Probleme. Nun
       verleihen erste Bundesländer Computer und Verbände liefern Essen.