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       # taz.de -- Fußballrepublik Deutschland: Leichtes Spiel
       
       > Politik und Fußball sind über die Jahre untrennbar miteinander
       > verschmolzen. Die Wiederaufnahme der Saison ist ein Beweis dafür.
       
   IMG Bild: Erster Gratulant: Helmut Kohl drängte sich 1990 beim deutschen WM-Erfolg ins Blitzlichtgewitter
       
       Es war der 8. Juli 1990. Die deutsche Fußballnationalmannschaft war gerade
       zum dritten Mal in ihrer Geschichte Weltmeister geworden. Nach dem 1:0
       gegen Argentinien im Finale von Rom wurde gefeiert. Auf dem Rasen, während
       der Siegerehrung und danach in der Kabine. Sepp Maier, Torwarttrainer der
       DFB-Elf, filmte das Geschehen mit seiner Videokamera. Jahre später wurden
       die Bilder publik. Sie zeigen junge Männer beim Singen, Jubeln und Saufen.
       Champagnerflaschen machten die Runde.
       
       Bisweilen ist ein dicker Mann zu sehen, der immer wieder versucht, sich ins
       Bild zu schieben. Er hält einen Plastikbecher in der Hand, versucht mit den
       Spielern anzustoßen. Es ist Helmut Kohl, der Bundeskanzler. Er will dem
       Team und der Welt zeigen, dass auch er Weltmeister geworden ist. Er war der
       erste Bundeskanzler, der sich auf diese beinahe schamlose Art an die
       Nationalmannschaft herangewanzt hat. Im Jahr der deutschen
       Wiedervereinigung, hat der Verschmelzungsprozess von Fußball und Politik
       begonnen. Der 8. Juli 1990 ist das inoffizielle Gründungsdatum der
       Fußballrepublik Deutschland.
       
       Der Fußball war schon eine große Nummer im Land, bevor sich Helmut Kohl in
       die Spielerkabine von Rom gedrängt hat. Der sensationelle WM-Sieg von Bern
       1954, nach dem die Mannschaft von mehreren Hunderttausend Menschen in
       München empfangen worden ist, wird in der historischen Rückschau gern als
       eines der wichtigsten Ereignisse der bundesrepublikanischen
       Nachkriegsgeschichte beschrieben. Er soll den keine zehn Jahre zuvor von
       den Alliierten niedergerungenen Deutschen ein „Wir sind wieder wer“-Gefühl
       beschert haben.
       
       Die Erzählung von dem Spiel, das eine ganze Nation vor den wenigen
       Fernsehern, die es gab, und den vielen Radiogeräten verfolgt haben soll,
       hat sich verfestigt. Bundeskanzler war damals Konrad Adenauer. In seinem
       Terminplan für den Finaltag ist nichts von dem Spiel vermerkt. Kein
       Spitzenpolitiker wäre zu jener Zeit auf die Idee gekommen, [1][zum Endspiel
       einer Fußball-WM zu reisen.]
       
       ## Längst bildeten Fußball und Politik eine Einheit
       
       Im Jahr 2014 wird Deutschland zum vierten Mal Weltmeister. Und niemand
       wundert sich, dass beim Finalerfolg gegen Argentinien mit Bundeskanzlerin
       Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck gleich die beiden
       wichtigsten Vertreter der Bundesrepublik Deutschland auf der Tribüne des
       Maracanã-Stadions von Rio de Janeiro saßen. Die Nationalmannschaft war zu
       einer Art sporttreibenden Außenstelle der Regierung geworden. Der DFB,
       eigentlich nicht mehr als ein Sportverband, in dem die Fußballvereine des
       Landes organisiert sind, wurde beinahe schon behandelt wie eine
       untergeordnete Behörde des Bundes. Helmut Kohl wollte über den Fußball
       seine Volksnähe zeigen, Angela Merkel hatte schon keine andere Wahl mehr,
       als die Nähe des Fußballs zu suchen. Fußball und Politik bildeten längst
       eine Einheit.
       
       Und so ist es alles andere als verwunderlich, dass es die Politik war,
       [2][die der Bundesliga das Signal zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs]
       nach der durch die Coronapandemie erzwungenen Unterbrechung gegeben hat. Am
       20. April, an dem man in Bayern noch einen triftigen Grund parathaben
       musste, wollte man das Haus verlassen, wurde der Liga der rote Teppich
       ausgerollt. Die Ministerpräsidenten Bayerns und Nordrhein-Westfalens,
       Markus Söder und Armin Laschet, meinten an diesem Tag, sie könnten sich
       einen Neustart der Liga Anfang Mai durchaus vorstellen. Noch am selben
       Abend sprang ihnen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Seite. Es war
       der Tag, an dem klar wurde, dass bald wieder gekickt werden würde in
       Deutschland. Die Politik hat die Vorlage gegeben. Der Fußball hatte
       leichtes Spiel.
       
       Er hat fast immer leichtes Spiel, wenn er die Politik braucht. Das ist auf
       lokaler Ebene nicht anders als auf nationaler. Ein Profiklub, der in
       Schwierigkeiten gerät, kann sich gewiss sein, dass im Notfall ein
       städtischer Versorger als Sponsor einspringt. Stadionbauten werden
       subventioniert. Sie werden auf gemeindeeigenes Land gestellt, für das die
       Klubs wegen Erbpachtkonstrukten beinahe nichts zahlen müssen. Und selbst
       ein Großklub wie der FC Bayern München, Jahresumsatz 750 Millionen Euro,
       hat davon profitiert, dass die neue Arena im Norden der Stadt im Jahr 2005
       für 200 Millionen Euro aus Steuergeldern an die Verkehrsinfrastruktur
       angeschlossen worden ist.
       
       Der DFB hat in Dortmund sein Fußballmuseum gebaut, weil die Stadt dem
       Verband das Grundstück kostenlos überlassen und auch noch einen
       Millionenbetrag für die Baufreimachung des Geländes am Hauptbahnhof zur
       Verfügung gestellt hat. Auch andere Städte hatten sich beworben. Doch zum
       Zug kam die Kommune, die sich vom DFB am leichtesten erpressen ließ. In
       Frankfurt am Main baut der DFB eine neue Verbandszentrale nebst
       Trainingszentrum für die Nationalmannschaften. Dafür zahlt der Verband eine
       Pacht, die allen, die in Frankfurt bezahlbaren Boden zum Wohnungsbau
       suchen, die Zornesröte ins Gesicht treiben muss. 6,8 Millionen Euro für 15
       Hektar Land in 99 Jahren darf man getrost als Schnäppchen bezeichnen. Als
       die Bundeskanzlerin zur Grundsteinlegung nach Frankfurt angereist kam, war
       das bei der hochoffizösen Zeremonie natürlich kein Thema. Schließlich geht
       es um die Zukunft des Fußballs. Und die gehört schließlich zur Staatsräson
       in der Bundesrepublik.
       
       ## Früher Sportnation, gibt es heute nur noch Fußball
       
       Die Opfer dieser Entwicklung sind mehr und mehr die anderen Sportarten. In
       Frankfurt musste eine traditionsreiche Galopprennbahn für den DFB weichen.
       Man mag einwerfen, dass die Herrenreiterei nicht mehr zeitgemäß ist. Doch
       warum gibt es nicht so etwas wie einen Denkmalschutz für
       Traditionssportarten. Einen solchen hätte die Leichtathletik sicher gern
       gesehen, als ein Mehrzweckstadion nach dem anderen zur reinen Fußballarena
       umgebaut worden ist. Das war in Stuttgart so, in Frankfurt am Main, in
       Leipzig oder in Köln. Längst vergessen sind die Zeiten, in denen in der
       Domstadt ein Leichtathletik-Meeting von Weltrang stattgefunden hat. Als der
       Kenianer Moses Kiptanui 1992 im Müngersdorfer Stadion einen Weltrekord über
       3.000 Meter aufgestellt hat, war Deutschland noch eine Sportnation. Heute
       gibt es nur noch Fußball.
       
       Der dient der Politik nicht nur als Schauplatz für die Demonstration von
       Volksnähe. Über den Fußball setzt die Politik immer wieder
       ordnungspolitische Maßnahmen durch, die nicht selten in der Einschränkung
       von Bürgerrechten münden. Die Angst, die Bilder von prügelnden Hooligans in
       der Bevölkerung ausgelöst haben, hat zu einer juristisch fragwürdigen
       Datensammlung geführt, in der sogenannte Sportgewalttäter aufgelistet
       werden. Die werden im Zweifel an der Reise zu Spielen ihres Teams oder der
       Nationalmannschaft im Ausland gehindert.
       
       Was sich im Fußball bewährt hat, wird längst auch auf politische Aktivisten
       angewendet. Der Aufschrei, dass die Bundeswehr bei der Fußball-WM 2006 eine
       Reserve von mehreren Tausend Mann bereitgehalten hat, hielt sich 2006 in
       Grenzen. Es ging ja um den Schutz des hohen Gutes Fußball. Darüber wurde
       der Boden bereitet für die Einsätze von Kampfflugzeugen der Bundeswehr bei
       der Luftüberwachung während des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm.
       
       Die Politik weiß, was sie dem Fußball zu verdanken hat. Auch strukturell
       sind Politik und Fußball eng miteinander verwoben. Es gibt zahlreiche
       Klubs, in denen ehemalige oder noch aktive Politiker wichtige Vereinsposten
       besetzen. Im Aufsichtsrat des FC Bayern München sorgt der ehemalige
       bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber für die Nähe des Vereins zur
       bayerischen Staatspartei CSU. FDP-Chef Christian Lindner sitzt im
       Wirtschaftsrat von Borussia Dortmund. Und der langjährige Meistermanager
       des SV Werder Bremen, Willi Lemke, saß im Aufsichtsrat des Klubs, als er in
       der Hansestadt für die SPD Innensenator war. Solche Beispiele ließen sich
       noch viele finden.
       
       Wer sich in diesen Tagen danach gesehnt hätte, dass die Politik den Fußball
       an die Kandare nimmt, ihn in seine Schranken weist, klarstellt, dass der
       Gesundheitsschutz Vorrang hat vor den Geschäftsinteressen der
       Unterhaltungsindustrie Bundesliga, der hätte sich gewünscht, dass die
       Politik der Politik auf die Finger klopft. Fußball und Politik sind
       verwoben, dass sie als Einheit betrachtet werden müssen. Der Feiertag für
       diesen Zusammenschluss müsste der 8. Juli sein, um an jenen Tag im
       Wiedervereinigungsjahr 1990 zu erinnern, an dem sich Helmut Kohl für den
       Weltmeistertitel im Fußball feiern ließ.
       
       14 May 2020
       
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