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       # taz.de -- Berliner Stimmen aus der Quarantäne: „Wir vermissen unseren Club-Garten“
       
       > Mit dem Lockdown bleibt auch der Dancefloor des Clubs About Blank
       > menschenleer. Doch das linke Kollektiv sieht auch Chancen in der Krise.
       
   IMG Bild: Womöglich freuen nur sie sich über die Ruhe: Tulpen im Garten des Berliner Clubs About Blank
       
       taz: Was würdet Ihr in einer Welt ohne Covid 19 gerade machen? 
       
       About Blank-Kollektiv: Ohne die Pandemie-bedingte Betriebsstillegung wären
       wir jetzt Anfang Mai schon in der Sommersaison, hätten gerade erst drei
       Tage und Nächte lang unseren zehnten Clubgeburtstag gefeiert und würden zum
       8. Mai mit der „Love Techno Hate Germany“ unsere älteste Solipartyreihe
       verabschieden. Für den Sommer hätten wir inzwischen über 60 Springer*innen
       eingearbeitet, die das feste Team verstärken.
       
       Was habt ihr zuletzt gestreamt, das ihr besonders gut oder schlecht fandet?
       Und warum? 
       
       Statt den Geburtstag mit den Stammgästen, der Crew und den Ehemaligen zu
       feiern, haben wir einen siebenstündigen Livestream mit virtueller
       Clubsimulation auf die Beine gestellt. Aus der Crew und von unseren
       Promoter*innen, Künstler*innen, politischen Gruppen und von Stammgästen
       haben uns Videoglückwünsche und künstlerische Beiträge erreicht, die
       zwischen den DJ-Sets und den Konzerten im Stream zu sehen waren.
       
       Das hat uns sehr bewegt, ein ständiges Pendeln zwischen den Emotionen. Denn
       so schön es auch war, mit hunderten Gäste zumindest virtuell zu feiern, so
       sehr ist klar, was uns fehlt: die Vergesellschaftung auf dem Dancefloor.
       
       Was haltet ihr vom (oft kostenlosen) Streaming von Theateraufführungen,
       Konzerten, DJ-Sets oder Lesungen? 
       
       Es sind Ersatzhandlungen, die zeigen, was alles auf unabsehbare Zeit
       suspendiert ist: das ganze kulturelle Leben, die Unmittelbarkeit von Kunst
       und Subkultur, die subkulturelle Ausschweifung genauso wie die
       hochkulturelle Dramaturgie. Ohne Dancefloor funktioniert Techno nicht, und
       Tanztheater nicht ohne die körperliche, physische Präsenz im Raum.
       
       Welchen Ort in Berlin vermisst ihr gerade am meisten? 
       
       Unseren großen Club-Garten, dessen Pflanzen jetzt in voller Blüte stehen
       und dessen Schönheit nun leider so gut wie niemand zu Gesicht bekommt.
       Dieser Ort ist als Oase gedacht, in der es sich freundliche Menschen
       gutgehen lassen. Das ist gerade leider nicht in Sicht.
       
       Womit vertreibt ihr euch aktuell am liebsten die Zeit? Welche Routinen habt
       ihr seit dem Lockdown entwickelt? 
       
       Wir haben seit der Schließung einen Krisenstab gebildet, der sich dreimal
       die Woche virtuell auf dem Laufenden hält und versucht, den Club durch die
       Krise zu steuern. Daneben ist viel Vernetzungsarbeit gefragt, da ja alle
       Clubs in der gleichen Lage sind: keine Einnahmen, keine Reserven, bisher
       keine finanziellen Hilfen. Regelmäßiger Austausch und eine transparente
       Kommunikation gegenüber unserer Crew und den Veranstaltungsgruppen schützt
       vor Fatalismus und falschen Erwartungen gleichermaßen. Viel Zeit für
       entspannten Zeitvertreib bleibt nicht, und die vielen virtuellen Treffen
       strengen uns an, weil vieles, was im direkten Gespräch nonverbal
       mitkommuniziert wird, verloren geht.
       
       Ist die Pandemie nur Krise oder auch Chance? 
       
       Die Corona-Krise bringt die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft
       schärfer zum Vorschein. Zwar sind alle von der Pandemie betroffen, aber die
       Ausgangsbedingungen sind in den reichen Ländern ganz andere als in weiten
       Teilen des Trikonts. Der Solidaritätsbegriff, der für uns immer global und
       grenzenlos gedacht werden muss, erfährt eine nationalistische Verengung.
       
       Der Verwertungsdruck steigt mit jedem Tag, den der Lockdown anhält und die
       sozialen Verheerungen, die bei einer kapitalistischen „Bewältigung“ der
       Krise drohen, werden gewaltig sein. Gleichzeitig ist es eine beeindruckende
       Erfahrung, dass sich luxuriöse Konsumangebote der Überfluss- und
       Wohlstandsgesellschaft wie die Kreuzfahrtindustrie, der Flugverkehr und die
       Fließbandherstellung von Verbrennungsmotoren so schnell auf null bringen
       lassen.
       
       Eine Blaupause für eine Klimagerechtigkeitsbewegung, die den Kapitalismus
       und seine Wachstumslogik überwinden will. Auch im Privaten machen viele
       Menschen gerade die Erfahrung von nachbarschaftlicher, direkter
       Solidarität. So liegt im reflektierten Umgang mit der Pandemie auch die
       Chance, die gesellschaftliche Orientierung vom Konkurrenzprinzip hin zu
       Solidaritätsmodellen zu verschieben.
       
       8 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Rhensius
       
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