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       # taz.de -- Joko, Klaas, Kemmerich und Corona: Eine Woche mit Verdauungsproblemen
       
       > Die Pandemie verschiebt die Koordinaten der politischen Debatte. Längst
       > Vergangenes kommt wieder hoch – und Fernsehclowns fehlt der Mut.
       
   IMG Bild: Einen Preis haben sich die beiden nicht verdient: Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche? 
       
       Friedrich Küppersbusch: [1][Ein Jahr Ibiza-Video] und man weiß immer noch
       nicht, wer’s war.
       
       Und was wird besser in dieser? 
       
       Strache kommt mit neuer Partei zurück, freue mich auf neue Videos.
       
       Das [2][liberale Problemkind Thomas Kemmerich] demonstrierte gegen
       Coronamaßnahmen. Wird er es schaffen, die FDP wieder unter die
       Fünfprozenthürde zu kriegen? 
       
       In den 90ern erlagen einzelne FDPler dem Ruf der Wüsten: der EU-Beamte
       Brunner, der Haider-Fan Kapell oder Maaßens Vorgänger als Paranoiker vom
       Dienst: von Stahl. Man kann den Liberalen zugute halten, dass sie nie ganz
       auf ihre „national-liberale“ Tradition der 50er zurückgefallen sind. Das
       mag ein Globalisierungsgewinn sein: Wer weltweit Geld verdienen oder
       billige Arbeitskräfte herholen will, hat erhebliche moralische Bedenken
       gegen hermetische Nationalstaaten. Die Methode dabei war stets die des
       kompetenten Abwartens, man vertraute auf Selbstkompostierung der Rechten.
       Nach der Wende akquirierte die FDP neben Liberalen auch die NPD der DDR und
       schwoll jäh auf 178.000 Mitglieder. Das schrumpfte unterdessen wieder auf
       um die 60.000. Man darf Kemmerich also auch als ortstypisches
       Verdauungsgeräusch sehen.
       
       Bundespräsident Steinmeier empfahl diese Woche Mundschutz statt Aluhut, der
       sächsische Ministerpräsident Kretschmer warnte davor, „alle Proteste in
       einen Topf zu werfen“. Wer tut das Richtige? 
       
       Ich. Und zwar dank der Umfrage (forsa für RTL), nach der Bundespräsident,
       Kanzlerin und auch Bundesregierung teils spektakulär an Vertrauen gewonnen
       haben seit Jahresbeginn. Merkel und die Groko legten jeweils über 20
       Prozent zu, auch Landesregierungen und Bürgermeister können fast eine
       eigene Show im Kika moderieren. Was besser wäre als die mediale
       Sturzverliebtheit in absonderliche Phänomene der pittoresken und illustren
       Freidreher. Klar, in einigen digitalen Netzwerken sind Weltuntergang und
       Wahnidee Mainstream. Doch in der ganzen Bevölkerung ist dieser Mainstream
       Splittergruppe. So kommt’s, dass in einem halbwegs nüchtern und zweckmäßig
       handelnden Land mediale Brücken gebaut werden zwischen menschlichem
       „Schnauze voll von Corona“ und abseitigem Egoschwurbel. Steinmeier könnte
       etwas beherzter und selbstbewusster auftreten; Kretschmer versucht seine
       anfälligen Sachsen zu therapieren.
       
       Das Innenministerium [3][möchte bestehende Grenzkontrollen bis Mitte Juni
       verlängern, um danach den freien Reiseverkehr anzustreben]. Ist der
       Sommerurlaub gerettet? 
       
       Seehofer rettet erst mal den Urlaub in, völlig überraschend, Bayern. Das
       ätzt ein paar Fürsten in weniger touristischen Bundesländern, trotz jedoch
       der Schmuddelkonkurrenz „Urlaub in Österreich“. Der meint das ernst mit
       „Heimatminister“.
       
       [4][Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf strahlten die digitale
       Ausstellung „Männerwelten“ aus], in der Frauen 15 Minuten lang
       sexualisierte Gewalt und Belästigung thematisierten. Welche Auszeichnung
       haben sie verdient? 
       
       Den Baum der Erkenntnis. Hinter dem sie sich prima verstecken konnten.
       „Pro7 hat keinerlei Einfluss auf die Gestaltung der gewonnenen Sendezeit“
       ist medienrechtlich Bullshit. Der Anmoderation „gestern Sendezeit gewonnen,
       heute angerufen“ folgte eine aufwendige Produktion mit gebauter Deko und
       einem halben Dutzend Stars. Das macht sich nicht in einem Tag – kein
       starkes Argument gegen Schwindelgerüchte bei Joko & Klaas. In den ersten
       Minuten möchte Sophie Passmann „Sie warnen … es ist gruselig … die
       gruseligste der Welt … nichts für Kinder, nichts für schwache Nerven …
       hart, bitter“ und für unsere gehörgeschädigten Sensationsfreunde kommt dann
       noch mal eine Schrifttafel: „Die kommenden Minuten können auf empfindsame
       Zuschauer verstörend wirken.“
       
       So weit, so Kirmes, und ich war auf einen Geniestreich gefasst: Ein Team
       prominenter Medienfrauen verdrischt nach Herzenslust die
       Pro7-Mädchenzuchtstation „Germanys next Topmodel“, zeigen in der Tat
       verstörende Bilder von Heidi-Klum-Hungerleichen, berichten von ihren
       eigenen Ess-Störungen – und am Ende kommen Joko und Klaas und gestehen
       grenzwertig, dass sie mehr auf Dick Pics stehen als auf Bulimie-Barbies.
       Okay, das hätte Pro7 geschädigt und wäre drecksmutig gewesen, ein Skandal
       und jeden Fernsehpreis wert. Stattdessen gab es politisch korrektes
       Schwanzträger-Bashing, mit festem Blick auf Gratis-Applaus und einer
       tüchtigen Tünche moralischer Erhabenheit für Pro7. Chance vertan.
       
       Und was machen die Borussen? 
       
       Gemessen am Titanenkampf meiner Hirnhälften, das Synthesespiel zu
       ignorieren und zugleich aber einem Derby nicht widerstehen zu können, war
       der Kick vergleichsweise lau.
       
       Fragen: va, aw
       
       17 May 2020
       
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