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       # taz.de -- Kontaktloser Besuch im Pflegeheim: Zumindest besser als Telefonieren
       
       > Wegen der Coronapandemie waren Besuche in Pflegeheimen verboten – bis
       > jetzt. Unser Autor berichtet von der Zeit bei seiner Mutter.
       
   IMG Bild: Trotz Plexiglasscheibe: Ein dreilagiger Mundschutz ist beim Besuch im Pflegeheim Pflicht
       
       Berlin taz | Fortschreitende Demenz hat auch Vorteile. So merkt meine
       80-jährige Mutter erst nach 25 Minuten, dass wir durch eine
       Plexiglasscheibe getrennt sind. Plötzlich hat sie sich über die
       Spiegelungen gewundert. Es ist unser erstes Treffen von Angesicht zu
       Angesicht seit Ende Februar. Kurz nach dem letzten Mal kam sie nach einem
       Sturz, ihrem dritten innerhalb eines Vierteljahrs, in ein Krankenhaus. Dort
       durfte ich sie schon wegen „der [1][Corona]“, wie meine Mutter zu sagen
       pflegt, nicht besuchen. Seit Ende März lebt sie in einem [2][Pflegeheim,
       das sie zum Glück noch aufnahm, aber schon damals keine Besucher mehr
       zuließ.]
       
       Seit Dienstag sind dort erstmals wieder Besuche [3][unter strengen
       Auflagen] möglich. Im Eingangsbereich wurde ein provisorisches
       Besucherzimmer mit Tisch und darauf einer Trennscheibe eingerichtet. Die
       Auflagen: Registrierung samt Kontaktdaten, kein Körperkontakt, Pflicht des
       Besuchers zum Tragen von dreilagiger Maske und Einmalhandschuhen,
       Desinfektion der Handschuhe, maximale Besuchszeit 30 Minuten, danach
       Desinfektion von Trennscheibe und Tisch, nur ein Besuch pro Bewohner die
       Woche und nur wochentags, täglich nur acht Besuchsslots insgesamt.
       
       Immerhin bekomme ich einen Slot schon am zweiten Tag – direkt nach der
       Mittagspause. Ich bin etwas früher da und so dürfen wir uns fünf Minuten
       länger sehen. Meine Mutter erkennt mich trotz Maske, wundert sich aber die
       ganze Zeit über die Hygienemaßnahmen. Die kann sie nur mit Mühe erfassen
       wie die gesamte Pandemie.
       
       Plötzlich tritt der Pfleger, der meine Mutter geholt und mich eingewiesen
       hatte, wieder auf mich zu. Meine selbst genähte Maske sei nicht wie
       vorgeschrieben dreilagig. Dem Pfleger ist der pingelige Hinweis etwas
       peinlich. Er verweist auf die behördlichen Vorgaben. Freundlicherweise
       besorgt er mir eine Einwegmaske aus den Vorräten des Personals. Das ist mir
       dann peinlich. Schließlich kenne ich die Berichte, wie schwer es ist, genug
       Nachschub für das Personal zu bekommen.
       
       Dann weist uns der Pfleger darauf hin, dass unsere Zeit abgelaufen ist. Er
       fragt mich nach meinem Eindruck: „Humaner als ein Knastbesuch“, sage ich.
       Ich erinnere mich an Besuche inhaftierter Freunde mit Trennscheiben aus
       dickem Glas, eine Verständigung war nur mit Mikrofonen möglich. Mir fällt
       auch wieder ein, wie ich Anfang der 80er Jahre in einem Berliner
       Krankenhaus mit einer Hepatitis in Quarantäne war. Mein Zimmer lag im 1.
       Stock, Besucher standen auf der Straße. Ich musste das Fenster
       aufschrauben, damit wir uns wenigstens zurufen konnten.
       
       Das Heim hat den Besuchsraum mit Blumen freundlich geschmückt. Weil der
       auch der Eingangsbereich ist, befanden wir uns trotzdem wie auf einem
       Präsentierteller. Aber zumindest war es besser als Telefonieren, weil wir
       uns immerhin mal wieder sehen konnten. Da meine Mutter und ich uns noch
       hauptsächlich über Worte verständigen und auch bisher wenig Körperkontakt
       pflegten, war es okay. Doch sollten Gespräche bei fortschreitender Demenz
       kaum noch Sinn machen, könnte das Verbot körperlicher Nähe unerträglich
       sein.
       
       Nach dem Besuch greift der Pfleger zum Desinfektionsmittel und wischt den
       Tisch und die Scheibe damit ab. „Das Plexiglas dürfte davon bald stumpf
       werden,“ sagt er. Dann wird meine Mutter früher merken, dass irgendwas
       zwischen uns nicht stimmt.
       
       21 May 2020
       
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