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       # taz.de -- Unbezahlte Arbeit für Frauen: Mitgefühl nicht verschenken
       
       > In Coronazeiten wird drastisch sichtbar, wie ungleich die Geschlechter
       > von Krisen betroffen sind – vor allem, wenn es um unbezahlte Care-Arbeit
       > geht.
       
   IMG Bild: Für Männer wird es Zeit, bei der Care-Arbeit aufzuholen
       
       Eine der letzten verbliebenen Freuden in Zeiten der Isolation und des
       Social Distancing sind mit Liebe zubereitete hausgemachte Mahlzeiten.
       Daheim in Pennsylvania, wo ich nun seit einigen Wochen meine Wohnung nicht
       verlassen darf, steht mir der Sinn nach wohltuendem Essen: warmer
       Kartoffelstampf, herzhafte Eintöpfe, scharfe Currys mit duftendem Reis und
       bulgarische Schopska-Salate, bedeckt mit geriebenem Hirtenkäse.
       
       Im Onlinechat tauschen meine Freundinnen Rezepte und Tipps für den Garten
       aus oder kündigen an, ihre Garderobe ausmisten oder [1][ihre Wohnung
       besonders gründlich putzen zu wollen]. Vor Kurzem dann, in einem virtuellen
       Meeting des Kuratoriums der Association of Members of the Institute for
       Advanced Study in Princeton, zeigte sich mir in aller Deutlichkeit, wie
       [2][unterschiedlich die Geschlechter von den Auswirkungen der Coronakrise
       betroffen sind]. Während die Männer ihrer Arbeit nachgingen, als gebe es
       die Pandemie nicht, schickte ein weibliches Mitglied eine Liste mit Links
       zu Empfehlungen, wie diejenigen mit Kindern ihren Nachwuchs zu Hause
       unterrichten können.
       
       Der plötzliche Stillstand hat uns alle in eine schwierige Lage gebracht,
       aber wir sollten anerkennen, [3][dass Frauen eine größere Last zu schultern
       haben]. Als in den ersten Wochen der Pandemie nach und nach die Schulen
       geschlossen wurden, waren es vor allem Frauen, die verzweifelt nach
       Betreuungsalternativen für die Kinder Ausschau hielten oder schlicht daheim
       bleiben mussten. Der besondere Schutz älterer Menschen ging oft mit
       zusätzlicher Verantwortung ihrer Töchter und Schwiegertöchter einher.
       
       Wenn ein Familienmitglied krank wird, übernimmt häufig eine Frau die
       Pflege. Diese nicht kommodifizierten Dienstleistungen wurden seit je von
       Frauen erbracht. Im Zuge der [4][Corona-Pandemie ist die Nachfrage jedoch
       enorm gestiegen], was zu einer Verschärfung der Ungleichheiten zwischen den
       Geschlechtern führen wird. Je länger die Lockdowns andauern, desto
       komplizierter dürfte die Situation für viele Frauen werden.
       
       ## 10,8 Billionen US-Dollar unbezahlte Arbeit geleistet
       
       Im Januar veröffentlichte Oxfam einen Bericht, dem zufolge sich die von
       Frauen geleistete unbezahlte Arbeit im Jahr 2018 weltweit auf 10,8
       Billionen US-Dollar belief. US-amerikanische Frauen steuerten 2018
       unbezahlte Arbeit im Wert von 1,5 Billionen US-Dollar zur amerikanischen
       Wirtschaft bei. Deutsche Frauen subventionierten die Wirtschaft ihres
       Landes mit 544 Milliarden US-Dollar. Aber diese Zahlen geben nicht den
       wahren Wert des Beitrags von Frauen an. Oxfam hat für die Berechnung nur
       auf Daten aus 72 der insgesamt 195 Staaten der Welt zurückgegriffen und
       lediglich den Mindestlohn der jeweiligen Länder veranschlagt.
       
       Diese Arbeit bleibt zum überwiegenden Teil unsichtbar und wird als
       selbstverständlich betrachtet. Freie Marktwirtschaften könnten nicht
       bestehen ohne unbezahlte Arbeit im Haushalt. Indem sie für diesen Segen
       kostenloser Care-Arbeit nicht bezahlen, erhöhen Konzerne ihre Profite auf
       dem Rücken jener, die als mitfühlend und besonders aufmerksam für die
       Bedürfnisse junger, alter und kranker Menschen gelten.
       
       Diese kostenlose Arbeit bedeutet auch Entlastungen für Staatshaushalte: Die
       Streichung öffentlicher Dienstleistungen verwandelt zwangsläufig bezahlte
       in unbezahlte Arbeit. Angesichts enormer Schulden werden sich Staaten in
       der Wirtschaftskrise, die auf die Pandemie folgen wird, womöglich gezwungen
       sehen, die Sozialausgaben zu kürzen, indem sie Care-Arbeit in die
       Privatsphäre verlagern. In den USA, wo es kein nationales Gesundheitssystem
       und keine bundesstaatlich vorgeschriebene Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
       gibt, würde das besonders gravierende Folgen haben.
       
       Seit März haben mehr als 30 Millionen US-AmerikanerInnen ihren Job verloren
       und Anträge auf Arbeitslosenhilfe gestellt. In dieser Zahl nicht enthalten
       sind etwa Selbstständige, die keinen Anspruch auf Unterstützung haben.
       Viele US-Bürger sind über ihren Arbeitgeber krankenversichert. In der
       jetzigen Notlage werden Millionen von ihnen ihre Versicherung und damit
       ihren Zugang zum Gesundheitssystem verlieren.
       
       Corona-Tests sind kostenlos, die Behandlung hingegen ist es nicht. Erste
       Schätzungen beziffern die Kosten für die Behandlung einer an Covid-19
       erkrankten Person ohne Versicherungsschutz bei einem sechstätigen
       Krankenhausaufenthalt mit bis zu 73.000 US-Dollar. Aus Angst vor einer
       derart horrenden Rechnung werden viele zu Hause bleiben, wo sie für ihre
       Pflege einmal mehr auf den weiteren Familienkreis, und das heißt meistens:
       die Frauen in der Familie, angewiesen sind.
       
       Allmählich begreifen wir, welche langfristigen Kosten die Pandemie
       verursachen wird. Nun werden Gelder bereitstellt, um ArbeitnehmerInnen für
       ihren Lohnverlust infolge der Corona-Maßnahmen zu entschädigen. Der Wert
       unbezahlter, weil im Haushalt geleisteter Arbeit sollte dabei nicht
       vergessen werden. Für den Augenblick sollten wir alle auf Nummer sicher
       gehen und zu Hause unsere selbst gemachten Mahlzeiten genießen.
       
       Aber wir sollten sicherstellen, dass die Köchin nicht auch noch den Abwasch
       erledigen muss: [5][Care-Arbeit ist gesellschaftlich wertvolle Arbeit].
       Entsprechend müssen wir sie endlich behandeln: indem wir Mütter, die ihre
       Kinder zu Hause unterrichten, Ehefrauen, die ihre Männer pflegen, und
       Töchter, die für die Großeltern sorgen, für ihre Tätigkeiten kompensieren.
       
       Wir müssen begreifen, dass der Markt allein nicht die Lösung für unsere
       Probleme ist, ja, er sie sogar verschärfen kann, wie sich in den USA
       beobachten lässt, wo Bundesstaaten gezwungen sind, um Schutzkleidung und
       Beatmungsgeräte zu konkurrieren, und so die Preise nach oben treiben. Aber
       wir müssen auch begreifen, dass Care-Arbeit unsere Gesellschaften
       zusammenhält: Freundlichkeit und Mitgefühl im Familienkreis gehören zu den
       Dingen, die das Leben lebenswert machen.
       
       24 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Coronakrise-und-Hausarbeit/!5673539
   DIR [2] /Unbezahlte-Carearbeit-in-Deutschland/!5683200
   DIR [3] /Krankheit-Pflege-und-Geschlecht/!5675204
   DIR [4] /Corona-ist-weiblich/!5670768
   DIR [5] /Kristen-Ghodsee-ueber-Care-Arbeit/!5666687
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kirsten Ghodsee
       
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