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       # taz.de -- Bleiberecht in Bremen: Das Warten soll ein Ende haben
       
       > Mit zwei Erlassen will die Bremer Koalition Geflüchtete aus der
       > Kettenduldung holen. Ob das mit Bundesrecht vereinbar ist, ist noch
       > unklar.
       
   IMG Bild: Die Bremer Koalition will, dass Geduldete nicht mehr ewig in der Warteschleife hängen
       
       Bremen | taz | 2.586 Menschen gelten im Land Bremen als „geduldet“. Drei
       bis sechs Monate können sie sich vor einer Abschiebung sicher fühlen; dann
       folgt, mit Glück, die nächste Duldung – über Jahre können sich Menschen
       [1][über Kettenduldungen] von einem Quartal zum nächsten hangeln,
       Zukunftsplanung ist schwer möglich. Die Regierungsfraktionen in Bremen
       wollen das Problem angehen: Ein neuer Bremer Erlass soll her, der die
       Bleibeperspektiven von Geflüchteten verbessert.
       
       Gleich zwei Anträge haben die Fraktionen gestellt, die im Juli in der
       Bürgerschaft behandelt werden: [2][Der eine soll jungen Geflüchteten vor
       und in ihrer Ausbildung] eine Aufenthaltserlaubnis ermöglichen. [3][Der
       zweite soll längere Duldungen] für Ausländer*innen auf Jobsuche erreichen.
       
       Dass eine Verbesserung nötig ist, davon ist Claudia Jacob vom Bremer
       Integrationsnetzwerk (BIN) überzeugt. Sie [4][berät geflüchtete
       Ausbildungswillige zu aufenthaltsrechtlichen Fragen] – und sieht dabei
       „sehr viele sehr gefrustete junge Menschen“.
       
       Dabei gibt es seit Januar eine [5][Ausbildungsduldung über 30 Monate.] Eine
       Lösung ist das für Jacob aber nicht: Auch eine Ausbildungsduldung ist
       lediglich eine „Aussetzung der Abschiebung“. Die bedeute eine enorme
       Belastung der Psyche, glaubt Jacob. Auch praktische Probleme bringt sie mit
       sich: Eine berufliche Reise ins Ausland ist für einen Logistikazubi mit
       Duldung nicht so einfach möglich.
       
       ## Bundesgesetz geht Koalition nicht weit genug
       
       SPD, Grüne und Linke wollen, dass die Behörden künftig mehr echte
       Aufenthaltsgenehmigungen erteilen. Angewendet werden soll dafür
       [6][Paragraf 25 des Aufenthaltsgesetzes], der den Aufenthalt aus
       humanitären Gründen regelt; schon jetzt ist es für junge Menschen in der
       Ausbildungsvorbereitung nach Paragraf 25a möglich, eine
       Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.
       
       Allerdings sind die Regeln dafür eng umrissen: Die Betroffenen müssen seit
       mindestens vier Jahren in Deutschland leben und dürfen nicht älter als 21
       sein. „Ich sehe viele junge Leute, die Deutschkurse gemacht haben und einen
       Schulabschluss“, erzählt Jacob. „Aber wenn sie nach vier Jahren hier schon
       22 sind, können sie den Aufenthaltstitel vergessen. Das ist frustrierend.“
       
       Am Bundesgesetz kann Bremen allein nichts ändern. Helfen soll Absatz fünf
       desselben Paragrafen: Einem Ausländer „kann eine Aufenthaltserlaubnis
       erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen
       Gründen unmöglich ist“, heißt es dort.
       
       Diese Formulierung scheint hinreichend ungenau, um ihn von Bremer
       Behördenseite durch einen Erlass näher zu definieren: In Zukunft solle, so
       der Bürgerschaftsantrag, dieser Absatz für Geflüchtete bis 27 gelten, die
       sich in Ausbildung oder in der Ausbildungsvorbereitung befinden. Die
       Entscheidung liegt im Einzelfall weiterhin bei den Behörden – doch mit dem
       Erlass wäre der Ermessensspielraum klarer definiert.
       
       Für Menschen im Beruf gibt es [7][seit 1. März eine Beschäftigungsduldung,]
       ähnlich der Ausbildungsduldung. Doch dafür müssen Geduldete erst einmal an
       einen sozialversicherungspflichtigen Job kommen. Der zweite Antrag der
       Regierungsfraktionen fordert deshalb, für Jobsuchende eine Ermessensduldung
       nach Paragraf 60a, Absatz 2, zu erteilen – der gilt dann, wenn „persönliche
       Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit im
       Bundesgebiet erfordern“.
       
       ## „Öffentliches Interesse“ sei gegeben
       
       „Wer beschäftigt ist, braucht keine Sozialleistungen“, begründet Sofia
       Leonidakis, migrationspolitische Sprecherin der Linken, dieses öffentliche
       Interesse. „Auch für kleine und mittlere Betriebe geht es um
       Planungssicherheit“, so die migrationspolitische Sprecherin der Grünen,
       Sahhanim Görgü-Philipp. Und Kevin Lenkeit, innenpolitischer Sprecher der
       SPD in der Bürgerschaft, sagt: „Es ist doch Wahnsinn, dass die, die gut
       integriert sind, abgeschoben werden.“
       
       Der Antrag, so glauben sie, müsste auch bei Arbeitgebern und Handwerk
       Anklang finden. Das ist bisher nicht der Fall: Die Handwerkskammer beklagt,
       dass sie in die Planung nicht einbezogen wurde. Und Cornelius
       Neumann-Redlin von den Unternehmerverbänden findet, man solle zunächst
       beobachten, ob die Ausbildungs- und die Beschäftigungsduldung Wirkung
       erzielen.
       
       Ob sich durch einen Erlass tatsächlich etwas ändert, muss die Praxis
       zeigen. In der Vergangenheit hat ein Bremer Erlass bereits für Wandel
       gesorgt: Einige der Regeln für Auszubildende [8][aus einem Erlass von 2010]
       finden sich heute im Aufenthaltsgesetz.
       
       22 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gesetz-gegen-Kettenduldung/!5397134/
   DIR [2] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp20/land/drucksache/D20L0374.pdf
   DIR [3] https://www.bremische-buergerschaft.de/dokumente/wp20/land/drucksache/D20L0386.pdf
   DIR [4] /Beratungsstelle-wird-weiter-gefoerdert/!5614266/
   DIR [5] /Reform-der-Auslaenderbehoerde/!5638639/
   DIR [6] https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__25.html
   DIR [7] /Integration-von-Gefluechteten/!5667932/
   DIR [8] https://www.nds-fluerat.org/4940/aktuelles/bremer-erlass-aufenthaltserlaubnis-aus-humanitaeren-gruenden/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
       ## TAGS
       
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   DIR Elke Breitenbach
       
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