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       # taz.de -- Fehler und Konsequenzen bei Männern: Über Entschuldigungsorgien
       
       > Mächtige Männer bauen Mist und kommen mit Entschuldigungen davon. Nicht
       > alle teilen dieses Privileg – dabei sollten alle Fehler machen dürfen.
       
   IMG Bild: Christian entschuldigt sich und glaubt, dass damit alles wieder in Ordnung wäre
       
       Es gibt Menschen, die tun sich schwer mit der Entschuldigung. Sture
       Menschen oder stolze. Und dann gibt es diejenigen, die die Nützlichkeit
       einer Entschuldigung erkannt haben: Strategen und Opportunisten. Eine
       Entschuldigung sprechen sie leichtsinnig aus. Aufrichtig ist sie selten.
       
       Vergangenen Sonntag wurde FDP-Chef Christian Lindner dabei fotografiert,
       wie er den belarussischen Honorarkonsul Steffen Göpel [1][zur
       Verabschiedung im Borchardt-Restaurant umarmte]. Abstand und Maske?
       Fehlanzeige. Das Foto ließ an der Glaubwürdigkeit Lindners zweifeln, der
       auf Lockerungen drängt und fordert, auf mündige Bürger:innen zu vertrauen.
       
       Die spontane Umarmung sei ein Fehler gewesen, [2][entschuldigte sich
       Lindner später]. Unkonzentriert sei er gewesen; am Ende, so Lindner,
       „bleibt man Mensch“. Gut, kann man sagen, auch Politiker machen Fehler.
       Schlimm war aber nicht die sorglose Umarmung, sondern Lindners
       Entschuldigung. Wie viel ist eine Entschuldigung wert, wenn hinter ihr
       jemand steht, bei dem man gezielte Unaufrichtigkeit vermutet?
       
       Die zeigte sich schon im Februar: FDP-Kandidat Thomas Kemmerich ließ sich
       sich da in Thüringen von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen. Und
       Lindner? Der gab sich bestürzt und behauptete, Kemmerich sei überrumpelt
       worden.
       
       ## Sich von sich selbst distanzieren
       
       Dabei hatte AfD-Chef Björn Höcke der FDP zuvor die Zusammenarbeit
       angeboten. Im Bundestag entschuldigte sich Lindner später, dass seine
       Partei der AfD ermöglicht hatte, „die parlamentarische Demokratie zu
       verhöhnen“. Kauft man ihm das ab?
       
       Auch Joseph Wilhelm, Chef des Bioherstellers Rapunzel, entschuldigte sich
       diese Woche. In [3][mehreren „Wochenbotschaften“] hatte er zuvor
       [4][Verschwörungsmythen zur Coronapandemie] verbreitet. In den sozialen
       Netzwerken wurde er dafür kritisiert, zahlreiche Läden erwogen einen
       Verkaufsstopp von Rapunzel-Produkten. Wilhelm wusste: Jetzt hilft nur noch
       eine Entschuldigung. [5][Er distanzierte sich von sich selbst] und gab sich
       „betroffen“. Alles nicht so gemeint. Vergeben und vergessen.
       
       Es ist ein Privileg, wenn Männer wie Lindner und Wilhelm darauf vertrauen,
       dass ihr Verhalten mit einer einfachen Entschuldigung revidiert werden
       kann. Andere Menschen dagegen zahlen einen hohen, manchmal existenziellen
       Preis, wenn sie Fehler machen. Fehler sollten allen erlaubt sein, sie sind
       es aber nur wenigen. Eine aufrichtige Öffentlichkeit bedenkt diese
       Ungleichheit bei Entschuldigungsorgien wie diesen.
       
       24 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Christian-Lindner-umarmt-Unternehmer/!5686909
   DIR [2] https://twitter.com/c_lindner/status/1262327879964246017?s=20
   DIR [3] https://twitter.com/Alert4_Alert4/status/1261930527617093634?s=20
   DIR [4] /Chef-der-Biomarke-Rapunzel-zu-Corona/!5683866
   DIR [5] https://www.rapunzel.de/stellungnahme-zu-wochenbotschaften.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erica Zingher
       
       ## TAGS
       
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