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       # taz.de -- Die Wahrheit: Mäusejagd im Moloch
       
       > Die Kolumne mit der Maus: Deutet sich hier ein Fortsetzungsroman an? Oder
       > nur der ganz normale Wahnsinn in einem Berliner Altbau.
       
       Gilt die Kontaktsperre eigentlich auch für Haustiere? Und sind unerwünschte
       Mitbewohner tierischer Art, zum Beispiel Mäuse, noch haushaltsfremd? Oder
       eben nicht mehr? Kann ich also mit ihnen unbedenklich in den Park? Oder
       herrscht da Leinenpflicht?
       
       Alles begann an einem unschuldigen Montag. Am Morgen liege ich wie üblich
       im Bett und frühstücke, als eine kleine dunkelgraue Maus den Kopf durch den
       Türschlitz steckt. Ich springe auf, die Maus wetzt in die Ecke, versteckt
       sich hinter dem Sitzwürfel, dessen Deckel der Union Jack ziert. Wütend
       stoße ich gegen den Sitzwürfel, aber ich erwische die Maus nicht, sie saust
       ein Möbelstück weiter und versteckt sich jetzt hinter der schwarzen
       Kommode. Leider habe ich es eilig. Ich muss los an den Schreibtisch,
       dringende Heimarbeit vortäuschen. Der Endkampf muss warten.
       
       Es ist bereits die dritte Maus in diesem Jahr, die ersten beiden gingen in
       die Lebendfalle, aus der ich sie allerdings nur tot bergen konnte, da ich
       zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme im fernen Polen an der Ostsee weilte –
       das waren noch Zeiten!
       
       Danach kam [1][die Mäusepolizei], ein Kammerjäger namens Bernd, der
       irgendwie selbst wie ein Nager aussah, mit der Aura eines
       Abstiegskandidaten und verhuscht wirkender Körperhaltung und einem
       [2][Azubi namens Holger], deutsch, doof, mit Mäusefrisur. Sie stellten
       überall Fallen mit Gift auf, von denen niemand naschte, auch ich nicht,
       prüften zwei Wochen später das leere Ergebnis und zogen wieder von dannen.
       
       ## Luise muss sterben
       
       Die neue Maus nenne ich Luise. Keine Ahnung, ob sie wirklich weiblich ist,
       ist mir auch egal. Luise muss sterben.
       
       Nun haben sich schon ganz andere geistreich mit Mäusen beschäftigt, der
       berühmteste von ihnen war wohl Walt Disney, und trotzdem ist das Thema
       immer noch aufregend, besonders in den eigenen vier Wänden. Und im Kopf. Wo
       die Geschichte alsbald zu einem kleinen Gesellschaftsroman mutiert, in dem
       die fesche Nachbarin von oben, der Filmemacher von unten, der pensionierte
       Hauswart und sein fauler Sohn und Nachfolger, der Israel-Palästina-Konflikt
       in persona mehrerer Anwohner, insbesondere des traumatisierten Bombenopfers
       mit Alkoholproblem, das gleich nebenan wohnt, und eine starrsinnige
       Hausverwaltung die weiteren Rollen einnehmen. Um dem Ganzen noch mehr
       Brisanz zu geben, tauchen italienische Militärfahrzeuge, eine hotte
       Schriftstellerin als Rühr-mich-nicht-an und vorwitzige Zoologen auf, die
       auch mal ein bisschen „time to shine“ brauchen.
       
       Auch die Kulissen sind nicht schlecht: die Wohnung eines knapp noch prekär
       lebenden Schreibers, die wilde Zooabteilung eines großen Kaufhauses, ein
       spukhafter Baumarkt zu Zeiten des Lockdowns, die dunklen Straßen des
       Molochs Berlin.
       
       An diesem ersten Tag passiert aber erst mal nichts weiter. Luise lässt sich
       nicht mehr blicken. Hinter der Kommode ist sie nicht mehr. Und doch hat das
       Drama gerade erst begonnen.
       
       26 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.youtube.com/watch?v=NgW3gntkgxI
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=saY10AWXLIY
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Hamann
       
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