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       # taz.de -- Corona in Irland: Eine Insel, zwei Strategien
       
       > In beiden Teilen Irlands gelten unterschiedliche Corona-Maßnahmen.
       > Grenzgebiete zu Nordirland sind stärker vom Virus betroffen.
       
   IMG Bild: Beten hilft auch im katholischen Irland nicht
       
       Fanore taz | Die am schlimmsten von Corona betroffene Region in Irland ist
       Cavan. Das ist eine kleine Grafschaft an der Grenze zu Nordirland. Im dünn
       besiedelten Cavan sind es nach den letzten offiziellen Angaben vom 9. Mai
       988,5 Infizierte pro 100.000 Einwohner, im County Dublin sind es knapp 829,
       obwohl die höchsten Infektionsraten weltweit in Ballungsräumen auftreten.
       Die anderen Grafschaften entlang der inneririschen Grenze verzeichnen
       ebenfalls einen Anstieg der Fälle zwischen 400 und 800 Prozent binnen drei
       Wochen.
       
       Experten führen das auf die unterschiedlichen Maßnahmen gegen die
       Verbreitung des Virus in beiden Teilen Irlands zurück. Gabriel Scally,
       Professor für öffentliche Gesundheit an der Universität Bristol, sagt, dass
       die Virusbekämpfung Mitte März auseinanderdriftete. Großbritannien und
       Nordirland verzichteten damals auf Massentests. Zwar ist das inzwischen
       revidiert worden, aber vermutlich sei der Schaden bereits angerichtet
       gewesen, glaubt er.
       
       Hinzu kommt die bizarre Auslegung der Regeln in der Republik Irland. So
       sollen sich Einreisende aus anderen Ländern zwei Wochen in Isolation
       begeben und ihre Adresse hinterlegen. Geben sie bei der Einreise aber an,
       dass sie nach Nordirland weiterreisen, müssen sie das nicht tun.
       
       Darüber hinaus dürfen sich Menschen in der Republik Irland derzeit nicht
       weiter als fünf Kilometer von ihrem Haus entfernen. Wer aus Nordirland über
       die Grenze kommt, kann sich hingegen frei bewegen. Die Polizei hat keine
       Befugnis, das zu verhindern.
       
       ## Corona-Apps sind inkompatibel
       
       Die beiden Polizeichefs, Drew Harris aus der Republik Irland und Simon
       Byrne aus Nordirland, trafen sich am vergangenen Samstag an der Grenze, um
       in einem gemeinsamen Papier zu bekräftigen, dass die Auswirkungen der
       unterschiedlichen Maßnahmen in beiden Regionen überprüft würden. Harris und
       Byrne sagten, man habe über die gemeinsame Herangehensweise gesprochen.
       
       Die gibt es jedoch bisher noch nicht. Selbst bei der App zur
       Kontaktnachverfolgung von an Covid-19 erkrankten Menschen beschreitet man
       unterschiedliche Wege. Es gibt zwei Varianten: Eine sammelt die Daten auf
       den jeweiligen Mobiltelefonen, die andere auf einem zentralen Rechner.
       Irland hat sich für die erste Version entschieden, sie wird von Apple und
       Google entwickelt und soll Ende des Monats erhältlich sein.
       
       Die App sucht ständig in einem Umkreis von etwa zwei Metern nach anderen
       Smartphones, auf denen die App ebenfalls installiert ist. Sollte ein
       solches Gerät sich für mindestens 15 Minuten näher als zwei Meter am
       eigenen Gerät befinden, wird dies aufgezeichnet. Meldet sich dann jemand
       als infiziert, geht eine Warnmeldung an alle Handys, deren Kontakt
       aufgezeichnet worden ist. Der Abgleich findet ausschließlich am Handy
       statt. Der irische Gesundheitsminister Simon Harris sagte, die App
       entspreche den Datenschutzrichtlinien der EU.
       
       In Großbritannien hat man sich dagegen für eine App entschieden, bei der
       die Daten auf einem Zentralrechner gespeichert werden. Dadurch gewinne man
       bessere Erkenntnisse, sagt Christophe Fraser, Professor für Pathogendynamik
       an der Universität Oxford. Er gehört dem Team an, das die britische
       Regierung in Sachen Handy-App berät. „Der Vorteil dieses Systems ist es,
       dass es leichter zu kontrollieren und schneller anzupassen ist, sollten
       neue wissenschaftliche Erkenntnisse das erfordern“, sagt er. Der Nachteil
       ist, dass das Handy unverriegelt sein und die App im Vordergrund laufen
       muss. Bei der dezentralen Version ist das nicht notwendig.
       
       ## Mit Kooperation nicht so genau
       
       Da Nordirland zum Vereinigten Königreich gehört, wird dort diese zentrale
       Variante eingeführt, die zur Zeit auf der Isle of Wight getestet wird. Sie
       ist nicht mit der App in der Republik Irland kompatibel. Für Menschen, die
       auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz täglich die Grenze überqueren müssen, ist
       das ein Problem. Diese Grenze ist rund 500 Kilometer lang, sie wird von
       mindestens 200 Straßen gekreuzt. Harris hofft, dass der Apple-Store die
       dezentrale App für Menschen in Nordirland zugänglich machen werde.
       
       Die stellvertretende nordirischen Premierminister Michelle O’Neill von Sinn
       Féin hat erklärt, dass man über eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung
       des Virus und zur Lockerung der Restriktionen mit der Regierung in Dublin
       spreche. Irlands Regierung scheint es mit der Kooperation jedoch nicht
       allzu genau zu nehmen. Über den Fünfstufenplan, der vorige Woche vorgelegt
       wurde und der bis weit in den August hineinreicht, hat man die nordirischen
       Behörden nicht vorab informiert. Der nordirische Gesundheitsminister Robin
       Swann von der Ulster Unionist Party sagte: „Es ist eine Frage des guten
       Benehmens.“
       
       Der britische Premierminister Boris Johnson hatte am Sonntagabend ebenfalls
       einen Fünfstufenplan vorgelegt. Statt „Bleib zu Hause“ heißt es nun „Bleib
       wachsam“. Grundschulen und Geschäfte sollen voraussichtlich im Juni öffnen,
       Restaurants im Juli, und ab diesem Mittwoch darf man im Park so viel Sport
       treiben, wie man möchte – alles unter Einhaltung des Sicherheitsabstands.
       
       Schottland und Wales haben dem Plan eine Absage erteilt. In
       Gesundheitsfragen dürfen sie autonom entscheiden. John Swinney, Schottlands
       stellvertretender Regierungschef, sprach von einem „törichten Fehler“. Und
       Adam Price, Chef der walisischen Partei Plaid Cymru, sagte: „Boris Johnson
       hat als englischer Premierminister gehandelt – und obendrein als nicht sehr
       verantwortungsvoller Premier.“
       
       12 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Sotscheck
       
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