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       # taz.de -- Israels Annexionspläne: Vorbereitet für die Landnahme
       
       > US-Außenminister Mike Pompeo gibt grünes Licht für eine Annexion von
       > Teilen des Westjordanlands. Wagt Premier Netanjahu den Schritt?
       
   IMG Bild: Blick auf das zerstörte Haus eines palästinensischen Attentäter im Westjordanland
       
       Tel Aviv taz | „Die Entscheidung über die Annexion liegt in den Händen
       Israels.“ Als wolle er wirklich keinen Zweifel daran lassen, wiederholte
       US-Außenminister Mike Pompeo den Satz mehrmals gegenüber der Tageszeitung
       Israel Hayom, bevor er sich am Mittwoch zu einem Kurzbesuch nach Jerusalem
       aufmachte. Damit bekräftigt Pompeo die Position der US-Administration in
       dieser Frage, nachdem [1][Präsident Donald Trump den Weg für die Annexion
       der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und des Jordantals bereits im
       Januar mit der Veröffentlichung seines sogenannten Friedensplans
       freigemacht hat]. Allerdings hatten die USA Ministerpräsident Netanjahu,
       der schnelle Sache machen wollte, dann doch noch einmal zurückgepfiffen und
       ihn auf die Zeit nach den Wahlen vertröstet.
       
       Mit der in diesen Tagen anstehenden Vereidigung der [2][neuen israelischen
       Regierung] scheint es, als sei alles vorbereitet für Netanjahus geplante
       Landnahme. Auch die Regierungsvereinbarung zwischen Netanjahu und seinem
       Koalitionspartner Benny Gantz gibt grünes Licht. Ab dem 1. Juli kann der
       Ministerpräsident der Knesset die Annexion der Gebiete vorschlagen.
       Netanjahu weiß, dass er schnell handeln muss, wenn er ein neues Kapitel in
       der Geschichte eines „Groß-Israel“ schreiben will. Denn sollte Trumps
       demokratischer Herausforderer Joe Biden im November die US-Wahl gewinnen,
       wäre die Annexion, die Umfragen zufolge von mehr als der Hälfte der
       jüdischen Israelis begrüßt werden würde, wohl vom Tisch.
       
       Doch auch andere Punkte könnten noch Sand ins Getriebe streuen. Zum einen
       kommt Druck von der internationalen Gemeinschaft. Die Vereinten Nationen
       warnten, dass mit einer Annexion „jede Hoffnung auf Frieden“ zwischen
       Israel und den Palästinensern zerstört werden könnte. Und die Außenminister
       der Europäischen Union wollen am Freitag miteinander beraten, um mögliche
       Reaktionen – darunter laut Medienberichten auch Wirtschaftssanktionen – auf
       eine Annexion zu erörtern. Sollte die EU tatsächlich ernsthafte Schritte
       einleiten, würde dies die israelische Wirtschaft empfindlich treffen.
       
       Harsche Kritik an den Annexionsplänen kommt aber auch aus Israel selbst.
       Seit April führen Hunderte hochrangige Politiker und ehemalige Stabschefs
       unter dem Namen „Kommandanten für die Sicherheit Israels“ [3][eine
       Kampagne], in der sie Gantz aufrufen, eine Annexion zu verhindern. Die
       Annexion würde „wahrscheinlich eine Kettenreaktion hervorrufen, die Israel
       nicht kontrollieren kann“, warnen sie. Sie würde „vermutlich zu einem
       Zusammenbruch der Palästinensischen Autonomiebehörde führen, was wiederum
       Israel zwingen würde, Kontrolle über das gesamte Westjordanland zu
       übernehmen.“ Die Folge wäre demnach, dass Israel die jüdische Mehrheit
       innerhalb der Landesgrenzen verliert – ein Szenario, vor dem viele Israelis
       Angst haben.
       
       Eine wichtige Frage, die bislang kaum in der politischen Arena diskutiert
       wird, ist, welchen Status die Palästinenser*innen in den annektierten
       Gebieten erhalten würden. Menschenrechtsaktivist*innen vermuten, dass die
       Frage wie für Ostjerusalem gehandhabt werden könnte. Die in dem 1980
       annektierten Stadtteil lebenden Palästinenser*innen haben in der Regel
       einen permanenten Aufenthaltsstatus und können beispielsweise an
       Kommunalwahlen teilnehmen, nicht aber das israelische Parlament wählen. Sie
       haben allerdings die Möglichkeit, sich für die israelische
       Staatsbürgerschaft zu bewerben, auch wenn die Hürden dafür hoch sind.
       
       Ronni Shaked vom Jerusalemer Harry-S.-Truman-Institut für
       Friedensentwicklung ist mehr als alarmiert: „Die Likudunterstützer
       verstehen nicht, was eine Annexion bedeutet“, warnt er. „Eine Annexion kann
       eine Intifada im Westjordanland und einen Krieg mit dem von der Hamas
       regierten Gaza hervorrufen.“ Laut Shaked würde der Schritt sogar das Ende
       der Friedensabkommen mit Ägypten und Jordanien sowie aller Beziehungen mit
       arabischen Ländern bedeuten. „Vor allem aber wäre die Annexion das Ende von
       Israel als demokratischem Staat und der Sargnagel für die
       Zwei-Staaten-Lösung“, befürchtet Shaked.
       
       Das sehen nicht alle so drastisch. Eine Annexion würde keine großen
       Veränderungen nach sich ziehen, meint der Haaretz-Journalist Gideon Levy.
       Die besetzten Gebiete seien de facto schon vor 52 Jahren annektiert worden.
       Levys Hoffnung ist vielmehr, dass eine offizielle Annexion „dieser
       Maskerade ein Ende setzen“ würde.
       
       Scheitern könnte eine baldige Annexion jedoch auch noch an technischen
       Voraussetzungen. Trumps Nahostplan sieht vor, dass alle Siedlungen im
       Westjordanland sowie das Jordantal annektiert werden. Um die genauen
       Grenzen der zu annektierenden Gebiete festzulegen, reiste im Februar eine
       amerikanisch-israelische Delegation, der sogenannte Kartierungsausschuss,
       durch das Westjordanland. Kurz darauf zwang aber die Coronapandemie den
       Ausschuss, die Arbeit zunächst einzustellen. Was beispielsweise mit Teilen
       der palästinensischen Stadt Hebron passieren soll, in denen jüdische
       Siedler leben, ist eine von vielen offenen Detailfragen.
       
       13 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Israelischer-Diplomat-ueber-Nahostplan/!5660828&s=Israel+Trump/
   DIR [2] /Korruptionsskandal-in-Israel/!5683512&s=Regierung+Israel/
   DIR [3] http://en.cis.org.il/
       
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   DIR Judith Poppe
       
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