URI: 
       # taz.de -- Virtuelles Theater in Augsburg: Erst mal durchs Wurmloch stürzen
       
       > Ins Theater nur mit meinem Avatar: Produktionen für den Cyberraum vom
       > Staatstheater Augsburg und der Berliner Gruppe CyberRäuber.
       
   IMG Bild: Roman Perti arbeitet in St. Anna in Augsburg an der Inszenierung „Judas“ für das Virtuelle Theater
       
       Covid-19 macht (auch) erfinderisch. Während zahlreiche Theater die
       erzwungene Schließung von Probenräumen und Aufführungsstätten vor allem mit
       Streaming-Aktivitäten zu überbrücken suchen, stoßen einige
       Technologiepioniere in die virtuelle Realität (VR) vor. Die hat den
       Vorteil, ein unmittelbares Raumerlebnis zu erzeugen.
       
       Mittels Avatar steckt man mitten im Geschehen, kann ständig die Perspektive
       wechseln und erlebt die ebenfalls digitalen Performer „hautnah“. Weil hier
       der Raum selbst zum Werkzeug und Kunstwerk wird, könnte VR mittelfristig
       zur sechsten Sparte (neben Theater, Oper, Ballett, Kinder- und
       Puppentheater) werden. Erste Schritte dafür stellen Projekte des
       Staatstheaters Augsburg und des [1][Badischen Staatstheaters Karlsruhe]
       dar.
       
       [2][Augsburg machte Furore] als erstes Bühnenhaus mit
       VR-Brillen-Lieferservice. Zum Preis von 9,90 Euro wird die Brille frisch
       desinfiziert ausgeliefert und nach zwei Stunden wieder abgeholt. Das
       bayerische Vierspartenhaus verhielt sich wie ein Restaurantbetreiber, der
       seine Köche weiter brutzeln lässt und die Kellner zu Boten umschult.
       
       Für das neue Format zeichneten Tänzer und Schauspieler Bewegungssequenzen
       und Monologe mit 360-Grad-Kameras auf. Das Ganze wurde dann bearbeitet und
       auf die Brille gepackt. Möglich wurde es, weil nicht nur eine
       360-Grad-Kamera und zahlreiche VR-Brillen im Hause waren, sondern weil auch
       Erfahrung in der Produktion von VR-Clips bestand.
       
       ## VR-Sequenzen in „Orpheus und Eurydike“
       
       Für das Ballett „Orpheus und Eurydike“ sollten einzelne VR-Sequenzen dem
       Publikum den Blick von Orpheus auf die Szenerie bieten. Das war als
       virtuelle Erweiterung des Theaterraums erdacht. In Coronazeiten ist nur
       die virtuelle Realität übrig geblieben.
       
       Zwei Stücke gibt es derzeit: eine VR-Fassung des bereits 2019 zur Premiere
       gekommenen Monologstücks „Judas“ von Lot Vekemans und die extra für VR
       produzierte Ballettshow „shifting_perspective“. Der VR-Reiz bei „Judas“
       besteht vor allem darin, sich nach eigenem Gusto in der kleinen
       Goldschmiedekapelle in der Kirche St. Anna in Augsburg bewegen zu können
       und dabei dem Schauspieler Roman Pertl bei der Verfertigung seines
       Verräter-Monologs zuzuschauen. Dies erschöpft sich aber schnell, weil
       „Judas“ kaum mehr ist als eine virtuelle Kopie des Bühnenmonologs.
       
       Etwas mehr Zutrauen in die Möglichkeiten von VR offenbart
       „shifting_perspective“. Hier schweben Tänzerkörper am Betrachter vorbei,
       ihre Datenwolken vermischen sich. Der Raum allerdings bleibt statisch –
       eine gewöhnliche Bühne, auf der nur ab und an das Licht wechselt.
       
       Ambitionierter ist im neuen Medium die Berliner Gruppe CyberRäuber
       unterwegs. Seit 2016 produziert sie Bühnenstücke mit VR-Erweiterungen. Auch
       das aktuelle Projekt „CyberBallet“ war ursprünglich für den Bühnenraum
       gedacht; VR sollte eine Erweiterung des Erlebnisses sein.
       
       Wegen Covid-19 ist diese Zusammenarbeit mit dem Badischen Staatstheater
       Karlsruhe komplett in die virtuelle Realität gewandert. Man loggt sich auf
       der Plattform VRChat mit seinem Avatar ein, passiert dann einige Schleusen,
       die den Retro-Appeal von Wurmlöchern bei „Star Trek“ oder dem Tor von „Star
       Gate“ aufweisen und landet schließlich auf der virtuellen Bühne.
       
       ## Datenwesen mit hydraulischen Sehnen
       
       Sie ist in konzentrischen Kreisen in der Raummitte markiert. Dort tanzt
       eine cyberhaft aufgelöste menschliche Figur. Es ist ein Datenwesen,
       Muskeln, Sehnen und Blutgefäße sind hydraulische Systeme. Weitere dieser
       Figuren kommen hinzu. Projektionen von ihnen füllen die Wände.
       
       Stets handelt es sich um Bearbeitungen von Bewegungssequenzen des Tänzers
       Ronni Maciel. Eine Stimme erklärt die Tänze als Versuche einer künstlichen
       Intelligenz, sich einen Körper zu erschaffen.
       
       „CyberBallet“ zeigt eindrucksvoll die Möglichkeiten von VR. Der Zugang dazu
       ist allerdings komplizierter als beim Augsburger VR-Brillen-Verleihservice.
       Man muss VRChat erst installieren. Für Neugierige werden einzelne Testläufe
       aber auch auf der Plattform Twitch gestreamt; das bietet allerdings nur
       2-D-Erfahrung.
       
       Die Augsburger Produktionen sind seit Kurzem auch in einer Version über
       Webbrowser erlebbar. Und wer eine VR-Brille zu Hause hat und die
       Vorstellung auf VR-fähigen Browsern zum Laufen kriegt, taucht dann auch out
       of Augsburg in die dreidimensionalen Welten ein. Noch sind die Zugänge zur
       sechsten Theatersparte etwas kompliziert. Erste Schneisen sind aber
       geschlagen.
       
       15 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://wp11159761.server-he.de/vtheater/de/home
   DIR [2] https://staatstheater-augsburg.de/vr_repertoire
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
   DIR Virtuelle Realität
   DIR Theater
   DIR Zeitgenössischer Tanz
   DIR Theater
   DIR Theater
   DIR Kunst Berlin
   DIR Oper
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Göttingen
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Virtual Reality im Theater: Schwindel beim Zusehen
       
       Ein kurzer Monolog von Einar Schleef und ein langer Weg durch ein
       entkerntes Theater – „14 Vorhänge“ für die VR-Brille vom Theater Augsburg.
       
   DIR Theaterkritikerin über die Coronakrise: „Arche Noah des Theaterdiskurses“
       
       Kann Theater im Stream funktionieren? Im Gespräch erzählt Esther Slevogt,
       Mitgründerin von nachtkritik.de, über das besondere Jahr und den Platz der
       Kritik.
       
   DIR Galerie Wedding in Berlin: Kunst trifft Sozialamt
       
       In der kommunalen Galerie Wedding ist noch bis Samstag die Ausstellung
       „Gift“ zu sehen. Zwischenzeitlich zog wegen Corona das Sozialamt in die
       Räume.
       
   DIR Musiktheater im Cyberraum: Der Hölle Netz hat uns umgarnt
       
       In der Virtual-Reality-Version der Oper „Der Freischütz“ kommen Romantik
       und Techgeschichte zusammen. Geschwebt wird durch Dornenkränze.
       
   DIR Theater in der Tiefgarage: Isoliert im eigenen Auto
       
       Das Deutsche Theater in Göttingen inszeniert Juli Zehs Überwachungs-Text
       „Corpus delicti“ in einer Tiefgarage. Die Zuschauer sitzen dabei im Auto.
       
   DIR Abgefilmtes „Wintermärchen“ in Göttingen: Abstandsregel eingehalten
       
       Eine Theaterinszenierung für das Internet abzufilmen ist komplizierter, als
       es klingt. Diese Erfahrung macht derzeit das Junge Theater Göttingen.
       
   DIR Wiederöffnung von Museen in Berlin: Vorsichtige Kunstbesuche
       
       Einige Berliner Museen haben ab 12. Mai wieder geöffnet. Das ist eine
       logistische Herausforderung und auch ökonomisch nicht einfach zu
       bewältigen.
       
   DIR Corona-Hilfen in NRW: Kultur gegen Laschet
       
       SchriftstellerInnen, KünstlerInnen, MusikerInnen kritisieren den
       „Soforthilfetopf für Kulturschaffende“ in Nordrhein-Westfalen als
       mangelhaft.