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       # taz.de -- Ein Jahr nach der Ibiza-Affäre: Die Suche nach dem Privatdetektiv
       
       > Vor einem Jahr platzte die Regierung in Österreich. Zur Ibiza-Affäre wird
       > bis heute ermittelt – vor allem gegen einen mutmaßlichen Videomacher.
       
   IMG Bild: Die Ibizia-Affäre kostete ihm alle Ämter: HC Strache
       
       WIEN/BERLIN taz | Martin R. (Name geändert) ist weg. In Berlin soll der
       Österreicher inzwischen leben, jedenfalls ist er hier gemeldet. Aber die
       Polizei kann ihn hier nicht finden, Journalisten auch nicht. Martin R.,
       dessen richtiger Name der taz bekannt ist, bleibt verschwunden, seit
       Monaten.
       
       Aber dieser Tage interessieren sich wieder viele für Martin R. Denn der
       Privatdetektiv soll einer derjenigen sein, der genau vor einem Jahr für ein
       politisches Beben in Österreich sorgte: [1][Er soll mit anderen im Juli
       2017] den FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zusammen mit dem
       FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus in eine Finca auf Ibiza gelockt haben, wo
       Strache vor versteckter Kamera einer vermeintlich russischen
       Oligarchennichte Staatsaufträge in Aussicht stellte und über verdeckte
       Großspenden plauderte. Am 17. Mai 2019 wurden Ausschnitte der Videos von
       Spiegel und Süddeutsche veröffentlicht. Einen Tag später trat Strache von
       allen Ämtern zurück. Die Rechtsaußen-Regierung von ÖVP und FPÖ zerbrach.
       
       Die Tat galt als aufklärerisches Heldenstück: Zwei korruptionsbereite
       Politiker wurden überführt, ein womöglich illegales Parteispendensystem
       aufgedeckt. Doch wer war hier der Held? Wer hatte die Falle gestellt? Und
       warum? Das blieb lange unklar.
       
       Die österreichische Justiz jedoch begann nicht nur gegen Strache und
       Gudenus zu ermitteln – sondern auch gegen die Fallensteller. [2][Schon früh
       eröffnete die Wiener Staatsanwaltschaft dabei ein Verfahren gegen Martin R.
       und andere Personen], darunter ein Wiener Anwalt, die sie verdächtigten,
       die Aufnahmen gemacht zu haben. Gegründet wurde eine eigene
       Ermittlergruppe, die „Soko Tape“.
       
       ## Vom Helden zum „Halunken“
       
       Der Wiener Anwalt räumte bereits nach wenigen Tagen ein Mitwirken ein: Es
       habe sich um ein „zivilgesellschaftlich motiviertes Projekt“ zur
       „Aufdeckung von Missständen“ gehandelt. Martin R. dagegen tauchte ab. Und
       das Blatt begann sich zu wenden: Mehr und mehr geriet nun dieses Duo ins
       Zwielicht. So wirft die Staatsanwaltschaft Martin R. laut Justizunterlagen
       eine versuchte Erpressung vor, weil dieser angeblich probiert haben soll,
       das Video an Strache zu verkaufen. Damit wäre das Motiv nicht Aufklärung,
       sondern Geld. Dazu kommen Vorwürfe des Drogenhandelns: Zwischen 2013 und
       2015 soll Martin R. insgesamt mehrere hundert Gramm Kokain an Bekannte
       verkauft haben. Die Welt nannte ihn nun einen „Halunken“.
       
       Und die Ermittler setzten einiges gegen den Untergetauchten in Gang, auch
       die deutsche Justiz wurde eingeschaltet, mithilfe einer Europäischen
       Ermittlungsanordnung. Es gab Durchsuchungen, Bekannte der Verdächtigten
       wurden befragt, Konten, Mietwagen und Fluggastdaten überprüft. Um Martin R.
       zu orten, wurden Funkzellen abgefragt.
       
       Jetzt aber wollen Unterstützer der Ibiza-Fallensteller das Bild wieder
       geraderücken. Am Sonntag veröffentlichten sie [3][auf einer Internetseite]
       Hintergründe über die „Macher und Hinterleute“ der Aktion. Die Unterstützer
       bleiben anonym, stehen aber nach eigener Auskunft mit den Videomachern in
       Kontakt. Die Beteuerung: Es sei diesen sehr wohl um Aufklärung gegangen und
       nicht um Bereicherung. Und Ausgangspunkt sei ein früherer FPÖ-Mann gewesen:
       ein einstiger Bodyguard von Strache.
       
       ## Sporttasche voller Bargeld
       
       Die Erzählung lautet so: [4][Schon seit Jahren habe der Bodyguard Material
       gegen seinen Arbeitgeber Strache gesammelt]. Der Grund sei eine persönliche
       Kränkung gewesen. Als der Sicherheitsmann 2014 länger krank ausfiel, habe
       ihn Strache zwischenzeitlich entlassen. Darauf habe der Bodyguard über
       Monate Beweise über dessen Finanzgebaren zusammengetragen. Dazu soll ein
       Foto gehören, das eine Sporttasche voller Bargeld zeigt, die sich in
       Straches Dienstauto befunden haben sollen. Oder Fotos von
       Spesenabrechnungen, mit denen FPÖ-Mann Privatausgaben aus Parteigeldern
       bezahlt haben soll.
       
       Im Frühjahr 2015 habe der Bodyguard dann dem nun beschuldigten Wiener
       Anwalt von den Geldgeschäften Straches erzählt – beide würden sich schon
       länger kennen. Der Anwalt soll die Vorwürfe darauf im März 2015 an das
       österreichische Bundeskriminalamt gemeldet haben. Für die Aussage seines
       Mandanten nannte er als Bedingung dessen Aufnahme in ein
       Zeugenschutzprogramm. Das BKA soll damals abgelehnt haben, die Ermittlungen
       versandten.
       
       Daraufhin, so die Unterstützer, sei die Idee entstanden, Straches
       Korruptionsbereitschaft mittels einer Falle selbst zu dokumentieren. Ziel
       sei es gewesen, einer „Orbanisierung Österreichs entgegenzuwirken“. Nach
       einem ersten fingierten Treffen mit Gudenus sei die Idee mit der
       Ibiza-Finca entstanden. Die Anbahnungen, das Mieten der Finca, die
       Leihautos, Flüge und das technische Equipment hätten dabei laut den
       Unterstützern „nicht unerhebliche Kosten“ verursacht, „jedoch geringer als
       in vielen Medien behauptet“. Dort war die Rede von mehreren hunderttausend
       Euro. Der Plan sei gewesen, das Video nun zusammen mit dem Material des
       Personenschützers zu veröffentlichten und so Ermittlungen zu erzwingen. Der
       Bodyguard aber habe gezögert und eine finanzielle Absicherung für eine
       Aussage gefordert – wegen der zu erwartenden Repressionen, auch weil er
       sich selbst belasten würde.
       
       Nur deshalb, so die Unterstützer, hätten die Videomacher „verschiedenen
       potentiell an einer Veröffentlichung des Videos Interessierten“ die
       Aufnahme für eine „hohe Summe“ angeboten. An wen, darüber schweigen sie.
       Und auch darüber, wie viel Geld sie dafür wollten – Medien berichteten von
       Forderungen bis zu fünf Millionen Euro. Die über zwei Jahre währenden
       Verkaufsversuche aber seien gescheitert, so die Behauptung. Letztlich
       hätten sich die Macher deshalb entschlossen, das Video ohne das Material
       des Bodyguards an Spiegel und Süddeutsche zu lancieren – und ohne dafür
       Geld einzufordern. „Weder für die Herstellung noch für die Veröffentlichung
       des Videos selbst wurde jemals Geld gefordert oder bezahlt“, heißt es. Die
       Kosten hätten die Fallensteller letztlich selbst getragen.
       
       So lautet die nun erzählte Version der Unterstützer. Es ist auch die von
       Martin R.s Verteidiger, dem Berliner Anwalt Johannes Eisenberg, der auch
       die taz presserechtlich vertritt. Auch er nennt die Ibiza-Falle eine „Folge
       der frustrierenden Erfahrung, dass sich die österreichischen
       Ermittlungsbehörden seit 2015 weigerten, Ermittlungen gegen Strache wegen
       Geldwäsche und Untreue aufzunehmen“. Und: „Nach allem, was die Ermittlungen
       ergeben haben, gab es keine Finanziers, es gab keine auswärtigen Dienste.“
       Über Letzteres hatte Strache wiederholt gemutmaßt.
       
       Ob und wie sich Martin R. an der Aktion beteiligte, dazu schweigen die
       Unterstützer und sein Anwalt – ebenso wie der Beschuldigte selbst. Martin
       R. werde sich weiter „in keiner Weise zu der behaupteten Beteiligung an dem
       Vorgang äußern“, erklärt Eisenberg. Der Verteidiger des zweiten
       Hauptbeschuldigten, des Wiener Anwalts, bekräftigt, sein Mandant habe weder
       strafbares Verhalten gezeigt, noch habe er an solchem mitgewirkt. Weitere
       Fragen beantwortet er nicht, auch nicht zur Rolle des Bodyguards. Dieser
       selbst war für Fragen nicht erreichbar. Auch die FPÖ Wien, wo der Mann
       früher aktiv war, weiß nach eigener Auskunft nicht, wo er heute ist.
       
       ## Strache nennt die Vorwürfe „bösartig“
       
       Die Ermittler aber beschäftigten sich mit dem Personenschützer schließlich
       doch noch: [5][Im September 2019 nahmen sie ihn kurzzeitig fest]. Zuvor war
       eine anonyme Anzeige gestellt worden – die, wie nun eingeräumt wird, ebenso
       von den Machern des Ibiza-Videos kam. Dort wurde nochmals bekundet, dass
       der Bodyguard Beweise für mögliche Veruntreuungen von Strache habe. Vor den
       Ermittlern soll der Mann umfangreich ausgesagt haben. Strache indes
       bestreitet illegale Spesenabrechnungen. Auch Sporttaschen mit Geld will er
       nie im Auto gehabt haben. Die Vorwürfe seien „bösartig“.
       
       Wie den Hinweisen des Bodyguards nachgegangen wird, dazu äußert sich die
       Wiener Staatsanwaltschaft nicht. Wegen seiner Äußerungen im Ibiza-Video
       wird gegen Strache und Gudenus aber weiter wegen Untreue ermittelt,
       bestätigt die österreichische Wirtschafts- und
       Korruptionsstaatsanwaltschaft. Nachgegangen wird dem Verdacht womöglich
       illegaler Parteispenden.
       
       Gleichzeitig laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Martin R.
       und den Wiener Anwalt weiter. Auch hierzu wird geschwiegen: Das Verfahren
       sei eine „Verschlusssache“, so eine Sprecherin. Der Oberste Gerichtshof
       Österreichs entschied aber jüngst, dass die Veröffentlichung des
       Ibiza-Videos gerechtfertigt war, weil sie einen „außergewöhnlich großen
       Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse“ darstelle. Aber: Die
       Ersteller hätten nach bisherigem Stand durchaus die Absicht gehabt, „die
       erlangten Aufnahmen gewinnbringend zu verkaufen“. Denn das Video sei nicht
       nur Medien, sondern „auch anderen Interessenten“ angeboten worden
       
       Die Unterstützer sagen hierzu nichts, sprechen nur von „Personen des
       öffentlichen Lebens“. Ihre Beteuerung aber bleibt, dass es bei allen
       Verkaufsangeboten nur um die finanzielle „Absicherung“ der „Whistleblower“
       gegangen sei.
       
       ## Vorwürfe der Erpressung und des Drogenhandels
       
       Im Fall Martin R. kommt dazu jedoch noch der Vorwurf der Erpressung: Er
       habe Strache über einen Mittelsmann nach der Video-Veröffentlichung im Juni
       2019 für 400.000 Euro die volle, siebenstündige Aufnahme angeboten.
       Verteidiger Eisenberg weist das vehement zurück: Diesen Versuch habe es nie
       gegeben, der Mittelsmann habe keinen Kontakt zu Martin R. gehabt, er sei
       „ein Trittbrettfahrer“. Ebenso seien die Drogengeschäfte erfunden, so
       Eisenberg. Der Zeuge hierfür sei ein wiederholter Lügner. Die
       vermeintlichen Abnehmer würde Drogenkäufe von Martin R. bestreiten.
       
       Eisenbergs Vorwurf: Offenbar erheben die Ermittler falsche Vorwürfe, um die
       deutschen Behörden über die Europäische Ermittlungsanordnung gegen Martin
       R. in Stellung zu bringen, weil dafür das Ibiza-Video nicht ausreiche. Über
       diesen Weg würden die Deutschen die Vorwürfe nicht selbst prüfen, sondern
       sich auf die Österreicher verlassen. Eisenberg stellte inzwischen
       Strafanzeige gegen die Ermittler wegen „rechtswidriger Verfolgung“ seines
       Mandanten. In Anwaltsschreiben kritisiert er die österreichische Justiz als
       „FPÖ-durchseucht“, deren Ermittlungen als „grundrechtsverachtend“.
       
       Auch der Verteidiger des Wiener Anwalts erinnert daran, dass in der Soko
       Tape zwischenzeitlich ein Ermittler tätig war, der Strache nach dessen
       Rücktritt eine eindeutige SMS schickte: „Lieber HC, ich hoffe auf einen
       Rücktritt vom Rücktritt...die Politik braucht dich!“. Auch der Verteidiger
       spricht von einer „Kontamination der Ermittlungen“, die „noch nicht
       abzuschätzen“ sei.
       
       ## Komplettes Video soll ausgestrahlt werden
       
       Für die Unterstützer der Ibiza-Videomacher ist der Fall ohnehin ein
       „Justizskandal“. Statt die im Ibiza-Video „offengelegte Korruption restlos
       aufzuklären“, würden die Enthüller „mit allen Mitteln gejagt und
       delegitimiert“. Sie fordern die Ermittlungen gegen Strache zu forcieren,
       auch zu weiteren Korruptionsvorwürfen wie der Geldtasche.
       
       Strache wiederum geißelt bis heute ein „kriminelles Netzwerk“ gegen sich –
       und arbeitet bereits an seinem politischen Comeback. [6][Er gründete eine
       neue „Bewegung“, das „Team HC Strache“, und will im Oktober zur
       Bürgermeisterwahl in Wien antreten]. Für Sonntagabend kündigte Strache an,
       das nun komplette Ibiza-Video auf seiner Facebookseite auszustrahlen –
       welches ihn, so behauptete er stets, entlasten werde. Der Deutungskampf um
       die Ibiza-Falle geht damit in die nächste Runde.
       
       17 May 2020
       
       ## LINKS
       
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