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       # taz.de -- Neues Buch von Sängerin Patti Smith: Dann doch Wodka statt Kaffee
       
       > Patti Smith, die Godmother of Punk, erzählt in ihrem neuen Buch, „Im Jahr
       > des Affen“ über ihre Verluste im Katastrophenjahr 2016.
       
   IMG Bild: US-Sängerin und Songwriterin Patti Smith 2019 beim Musikfestival in Paredes de Coura/Portugal
       
       Patti Smith trinkt gern Kaffee und schreibt darüber. Schwarzen Kaffee,
       grünen Kaffee, Kaffee mit Zimt, ecuadorianischen, kubanischen oder solchen,
       der nach aztekischer Schokolade schmeckt. Einmal trinkt sie sogar Nescafé
       aus Tütchen, als sich am verregneten kalifornischen Neujahrsmorgen nichts
       anderes auftreiben lässt.
       
       Es ist der 1. Januar 2016, ein einschneidendes Jahr für ihr Heimatland, ein
       einschneidendes Jahr für Smith. Die [1][Sängerin und Dichterin], die im
       Zuge der US-Punkbewegung der siebziger Jahre mit Alben wie „Horses“ zu Ruhm
       kam, beginnt das Jahr mit Krankenbesuchen. Noch vor ihrer Konzertreihe im
       Club Fillmore in San Francisco wird Smith’ enger Freund Sandy Pearlman
       bewusstlos aufgefunden. Ein halbes Jahr später stirbt der Musikproduzent an
       den Folgen einer Hirnblutung.
       
       Pearlman ist einer der ältesten Weggefährten der „Godmother of Punk“, er
       war der Erste, der ihr nach einer Lyrik-Performance im Jahr 1971 empfahl,
       eine Rockband zu gründen. „Ich lachte nur und erklärte ihm, ich hätte schon
       einen guten Job im Buchladen“, schreibt Patti Smith.
       
       ## „Im Jahr des Affen“
       
       Die vielen verstorbenen Männer, die die Sängerin in ihrem Leben betrauern
       musste, tauchen auch in ihrem aktuellen Buch wieder auf. „Im Jahr des
       Affen“ hat die Autorin nach dem chinesischen Mondjahr betitelt, das im
       Februar 2016 begann. Ein weiteres Buch mit episodenartig erzählten
       Memoiren, durchzogen von Traumfetzen und literarischen Anspielungen –
       Gewohntes von Smith. Die sensible Übersetzung stammt von Brigitte Jakobeit.
       
       Die 1946 geborene Patti Smith ist stets zuerst Fan und dann Künstlerin
       gewesen, das konnte man nicht nur in der legendären Performance beobachten,
       die sie zu Ehren des frischgekürten Literatur-Nobelpreisträgers Bob Dylan
       gab und während der sie vor Aufregung den Text vergaß.
       
       Auch in ihren literarischen Werken offenbart sich beständig Smith’
       Musik-Nerdtum. So sinniert sie über die Song-Reihenfolge auf einem
       bestimmten Dylan-Album; Anspielungen auf literarische Vorbilder wie Allen
       Ginsberg oder Albert Camus fallen ohnehin auf jeder Seite.
       
       „Reich an [2][Pathos und Ausschmückung]“ sei ihr Roman „Hingabe“, urteilte
       die taz vor einem Jahr. Auch „Im Jahr des Affen“ ist nicht frei von
       esoterisch angehauchtem Dekor, obendrein haben ihre Analogien, die das
       Geschehen stets auf antike Denker und moderne Literaten beziehen, zuweilen
       etwas von altklugen Philosophie-Erstsemestern.
       
       ## „Ich sehe jung und alt aus“
       
       Doch immer wenn sie spontane Assoziationen auflistet und scheinbar banale
       Alltäglichkeiten beschreibt, weiß Smith zu berühren: „Als ich mein Bild auf
       der silbrigen Fläche des Toasters anstarrte, fand ich, dass ich zugleich
       jung und alt aussah.“
       
       Ihr 70. Geburtstag steht bevor, die Autorin ertappt sich dabei, die vielen
       Toten in ihrem Leben stärker zu vermissen. Humorvoll wird es, wenn sie von
       dem schrägen Paar berichtet, das sie nur unter der Bedingung als
       Mitfahrerin mitnimmt, während der Fahrt kein Wort zu sagen und sie dann an
       der Tankstelle stehen lässt. Smith hatte sich dazu hinreißen lassen, die
       geschmackvolle Playlist zu loben.
       
       Am schwächsten ist „Im Jahr des Affen“ immer dann, wenn es sich um Politik
       dreht. Donald Trumps Amtseinführung, die Smith auf einer Leinwand am Times
       Square verfolgt, vergleicht sie mit einer biblischen Heuschreckenplage,
       aber ihr Zorn ist eben nur das: ungefilterte, religiös verschwurbelte
       Erregung ohne poetischen Mehrwert.
       
       ## Der pöbelnde Grobian
       
       Trump wird nie mit Namen erwähnt, er ist der „pöbelnde Grobian“, der
       „tatendurstig die Zügel an sich“ reißt. Bessere Worte findet sie für den
       just verstorbenen Sandy: „Ein Freund, den ich seit vierzig Jahren kannte,
       der in kurzen, schnellen Sätzen Wagners Ring-Zyklus oder ein Riff von
       Benjamin Britten zerlegte, war immer da, wenn wir im Fillmore spielten, saß
       in seiner schlabbrigen Lederjacke vor einem Glas Gingerale an seinem
       gewohnten Tisch.“
       
       Am Ende sitzt Patti Smith in einer drittklassigen Bar und diskutiert mit
       einem Fremden über „Apocalypse Now“. Und begehrt angesichts der Ereignisse
       des Katastrophenjahres 2016, in dem sie auch Muhammad Ali und Prinzessin
       Leia betrauert, ein anderes Getränk: „Eigentlich wollte ich Kaffee, aber
       ich bestellte einen Wodka.“
       
       27 May 2020
       
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