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       # taz.de -- Adoptionen in Regenbogenfamilien: Ungleichbehandlung festgeschrieben
       
       > Der Bundestag reformiert das Adoptionshilfegesetz. Dabei wird für
       > lesbische Partnerinnen eine Zwangsberatung eingeführt.
       
   IMG Bild: Unbeschwert im Urlaub, aber Stress mit der Stiefkindadoption
       
       Diese Woche hat der Bundestag das Adoptionswesen modernisiert. Am
       Donnerstag beschloss das Parlament mit den Stimmen der Großen Koalition das
       entsprechende Adoptionshilfegesetz. Was toll daran ist: Die Strukturen der
       Adoptionsvermittlung werden gestärkt und unbegleitete Adoptionen aus dem
       Ausland verboten. Pro Jahr kommt es in Deutschland zu mehreren Tausend
       Adoptionen, darunter mehrere Hundert Auslandsadoptionen – und wenn sich für
       diese Kinder und Familien nun die Situation verbessert, sollte es ja keinen
       Grund zum Klagen geben. Oder?
       
       Leider ändert das Gesetz – ganz en passant – aber auch die Situation
       weiterer Familien, und zwar nicht zum Besseren. Der Zweimütterfamilien. Für
       die wird es nun noch schwieriger werden, als es ohnehin schon ist.
       
       Frauen, die mit Hilfe einer Samenspende miteinander Kinder bekommen, werden
       nämlich nicht, wie man annehmen könnte, automatisch beide Mütter. Bei
       Heteros ist das so. Bei verheirateten Hetropaaren gelten beide automatisch
       als Eltern, auch wenn der Ehemann gar nicht der leibliche Vater ist. Bei
       unverheirateten Paaren muss der Partner derweil nur ein Papier
       unterschreiben, die Vaterschaftsanerkennung.
       
       Lesben und bisexuelle Frauen hingegen müssen trotz Ehe für alle den
       langwierigen Weg der sogenannten [1][Stiefkindadoption] gehen, das bedeutet
       Kontrollen und Eignungsprüfung durch das Jugendamt. Dazu kommt nun mit dem
       neuen Adoptionshilfegesetz auch noch eine Beratungspflicht obendrauf.
       
       ## „Quatsch“ im Bundestag
       
       In der Parlamentsdebatte wurde deutlich, dass die CDU/CSU eine
       fortschrittlichere Regelung verhindert hatte. Die Familienministerin
       Franziska Giffey (SPD) erklärte bei ihrer Präsentation des Gesetzentwurfs,
       für sie seien Zweimütterfamilien keine Adoptions-, sondern
       Herkunftsfamilien, deswegen habe sie eine Ausnahme für lesbische Paare
       befürwortet. Die SPD-Abgeordnete Susann Rüthrich bezeichnete die
       Beratungspflicht für Zweimütterfamilien in der Debatte sogar als „Quatsch“.
       
       Was in einer solchen Beratung geklärt werden müsste, ist wahrscheinlich
       nicht einmal der CDU klar. Und so ist auch gerechtfertigt, dass die
       links-grünen Oppositionsparteien den dicken Hammer des
       Diskriminierungsvorwurfs auspacken. Andererseits: So eine Beratung mag zwar
       belastend sein und stellt ohne Zweifel eine Ungleichbehandlung dar. In der
       Realität des oft monatelang dauernden, nervigen Adoptionsprozesses wird ein
       weiterer Beratungstermin aber möglicherweise gar nicht groß auffallen.
       
       Die große Ungleichbehandlung, die Stiefkindadoption, könnte hingegen nur
       durch eine Reform des Abstammungsrechts abgeschafft werden. Dieses Brett
       ist jedoch zu dick für die Koalitionsparteien. Der entsprechende
       Gesetzesentwurf aus dem Justizministerium liegt seit März vergangenen
       Jahres herum, passiert ist seither nichts. Stattdessen Stückwerk: Das vom
       Bundesverfassungsgericht eingeforderte Recht auf Stiefkindadoption auch für
       nicht verheiratete oder verpartnerte Paare wurde Mitte Februar, immerhin
       anderthalb Monate vor Ablauf der Frist, verabschiedet. Hier geht es in der
       Regel nicht um Babys, sondern um größere Kinder und neu zusammenwachsende
       Familien.
       
       Und so gerne wahrscheinlich alle, außer ein paar ultrakonservativen
       CDU/CSU-Abgeordneten und der AfD-Fraktion, den lesbischen und bisexuellen
       Müttern die bürokratischen Irrwege ersparen würden: das Abstammungsrecht
       wirft Fragen auf, über die in den meisten Parteien keine Einigkeit besteht,
       wie zum Beispiel die der Anerkennung und Legalisierung bisher verbotener
       reproduktiver Technologien.
       
       Wenn das Abstammungsrecht wirklich so reformiert werden soll, dass
       tatsächlich alle damit verbundenen Fragen von Verwandtschaft, Anerkennung
       und Rechten gelöst würden, muss die Anerkennung von Kindern geregelt
       werden, die im Ausland durch Leihmütter ausgetragen wurden. Regelungen für
       das Ausland würden auch Weichen für die Anwendung der Technologien im
       Inland stellen – und außer der FDP will glücklicherweise keine Partei
       Leihmutterschaft in Deutschland zulassen.
       
       Um lesbische Mütter zumindest nicht weiter zu diskriminieren, hätte man
       auch einfach ein Recht auf Beratung statt einer Pflicht einführen können –
       Zwangsberatung gilt unter Expert*innen der sozialen Arbeit sowieso als
       nutzlos bis schädlich.
       
       29 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Wenn-zwei-Lesben-ein-Kind-erwarten/!5656867
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kirsten Achtelik
       
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