URI: 
       # taz.de -- Ausstellung „Image Ballett“: Zuckrige Farbgebung
       
       > Bernhard Martins kombiniert Verfahren aus Surrealismus und Pop-Art. In
       > Berlin-Zehlendorf sind Werke der vergangenen 20 Jahre zu sehen.
       
   IMG Bild: „Le Mot“ von Bernhard Martin, 2017, Öl auf Rohleinwand
       
       Sonntag [1][im Haus am Waldsee], ich denke, ich höre nicht richtig:
       „Surrealismus getankt, Pop-Art gesoffen!“, [2][nuschelt neben mir eine
       junge Frau in ihre Coronamaske]. Sie meint damit die Malerei von Bernhard
       Martin, der bei seiner Ausstellung „Image Ballet“ zahlreiche große und
       kleine Formate zeigt, alle entstanden in den letzten 20 Jahren.
       
       So ganz falsch liegt die Frau mit ihrer Bemerkung nicht, denn Martin (geb.
       1966) bedient sich der Verfahren beider Kunstrichtungen – dem
       surrealistischen Prinzip hemmungsloser Kombinatorik und der Bildmontage,
       und, wie in der Pop-Art, dem freien Verwenden von Zitaten, Trivialem und
       Populärem.
       
       Aber da ist noch Weiteres, das er zu bieten hat, darunter eine sehr
       persönliche Dimension bei der Annäherung an die Wirklichkeit, etwas
       Unverwechselbares in der seltsam zuckrigen Farbgebung und ebenfalls bei den
       Themen, die in seiner Malerei zur Sprache kommen und sichtbar werden. Es
       sind Themen und Fragen unserer Zeit, und sie werden, wie kann es anders
       sein, in Martins Malerei entworfen und formuliert zu den Bedingungen des
       digitalen Zeitalters und seiner Rechnerrealitäten, wo ein Tsunami an
       Bildern alles überflutet.
       
       Und dennoch steht auch seine Kunst in einer Tradition, die mit der modern
       werdenden Malerei in der Romantik begonnen hat und seitdem in allen
       möglichen Formen, Facetten und Auswüchsen Gestalt angenommen hat und von
       der Kraft des Individuellen und der Energie des Subjektiven berichtet.
       
       ## Fantastisches Eigenes, Eigensinniges und Neues
       
       An dieser großen Geschichte der Moderne hat auch Bernhard Martins Malerei
       Anteil, der nun zu bereits bekannten Narrativen des Fantastischen Eigenes,
       Eigensinniges und Neues hinzufügt: Da ist der Teil, den man heute gerne als
       Sampling bezeichnet, also die montageartige Verwendung von grafischen und
       gestalterischen Elementen, die von Computeroberflächen oder ihren
       Zeichenprogrammen auf uns gekommen sind.
       
       Auch sind mit Öl und Acryl gemalt immer wieder Anleihen bei Graffiti- und
       Street-Art erkennbar, und so wirken viele Lichteffekte und die schummrigen
       Farbverläufe wie mit der Spraydose hergestellt.
       
       Mit seiner Fähigkeit, Technisches zu malen und Psychologisches darzustellen
       – etwa das Allein- oder Zusammensein von Menschen –, entsteht eine
       Bildwelt, die sich auf die unsere bezieht, eine Welt des Scheins und der
       Blendung, ein Potpourri von Oberflächen, Fakes und Vexierbildern. Sichtbar
       gemacht wird die Künstlichkeit vorgetäuschter Fülle, die Lebendigkeit
       suggeriert, dabei aber kaum mehr ist als ein gut gemachter Trick, eine
       spaßige Ablenkung und die Verschleierung harter Tatsachen im Hintergrund.
       
       Doch Vorsicht, bei dieser [3][Kunst geht es nicht um
       Verschwörungsvermutungen] oder Esoterik, vielmehr um Beobachtungen über den
       Zustand einer Kultur, wo jeder mit Juwelen überhäuft wird, wenn er ein
       Spiel wie „Jewels“ liebt, selbst wenn es für ihn monatlich nur Hartz IV
       gibt. Bei Bernhard Martin geht es zu wie im Märchen – alle können
       wunderschöne Ringlein am Finger tragen, man muss nur in der Abteilung für
       Kinder-Kitsch fündig werden oder am Wochenende die richtigen Drogen nehmen.
       
       ## Schillernde Farben im Künstlerkopf
       
       Bernhard Martins Kunst bringt die infantile Lust an buntem Talmi, billigem
       Glitzer und Flitter ins Spiel. Er tut dies als Maler auf hohem technischem
       Niveau, wenn er bei einer Art von Selbstbildnis bunt schillernde Farben auf
       eine Leinwand schüttet, die zugleich auch den Künstlerkopf füllen.
       
       Es sind die leuchtenden Farben des Jewels-Spiels, die er immer wieder in
       seinen Bildern kombiniert – Smaragdgrün, Rubinrot, Citringelb und
       Saphirblau wirken hier gläsern, unecht, stehen für Künstlichkeit, Illusion
       und das Schöne, das diese Malerei unserer Gegenwart anscheinend auch
       attestieren will.
       
       Martin malt keine Idyllen, selbst wenn es oberflächlich so scheinen mag, so
       ist die Idylle bereits vergiftet oder verseucht. Damit stellt sich die
       Frage, ob solche Kunst in ihrer grellen Verspieltheit einen aufklärerischen
       oder sogar moralischen Impetus behaupten will. Im Interview äußert sich der
       Künstler zurückhaltend bescheiden, ihm gehe es vor allem um die Form der
       Malerei, denn sie allein bleibt: „Der Inhalt ist immer nur aus der Zeit
       geboren.
       
       Aber es ist natürlich trotzdem mein Blick auf die Welt in mir und um mich,
       der möglicherweise aus meinen Bildern spricht, meine Art des Vagabundierens
       … es geht darum, dass meine Bilder neben diesem Potpourri auch immer zwei
       andere Elemente enthalten. Unverschämte Verschwendung und Großzügigkeit.“
       
       26 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Fotoausstellung-in-Berlin/!5644287
   DIR [2] /Wiederoeffnung-von-Museen-in-Berlin/!5681666
   DIR [3] /Rapper-Sido-und-Verschwoerungen/!5684413
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Funken
       
       ## TAGS
       
   DIR Kunst
   DIR Ausstellung
   DIR Surrealismus
   DIR Pop Art
   DIR Museum
   DIR Kiel
   DIR Malerei
   DIR Theater
   DIR Kunst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rachel Maclean-Ausstellung in Kiel: Heldin, Antiheldin, Opfer
       
       Die schottische Künstlerin Rachel Maclean erschafft in Kiel einen surrealen
       Kosmos aus vermenschlichten Tieren, dem Brexit und sich selbst.
       
   DIR Realistische Malerei von Hans Baluschek: Bilder wie bei Zola
       
       Seine Aufmerksamkeit galt den Außenseitern: Im Berliner Bröhan-Museum wird
       der Maler Hans Baluschek zu seinem 150. Geburtstag gewürdigt.
       
   DIR Theaterfestival im Netz: Die Stimme zurückerhalten
       
       Das Kölner Sommerblut-Festival findet dieses Jahr online statt. Mit
       berührenden Begegnungen mit Seniorinnen und Recherchen über rechte
       Netzwerke.
       
   DIR Berlins Museen öffnen: Mönch am Meer mit Mundschutz
       
       Die Lage der Kunst bleibt auch mit offenen Museen prekär. Vielleicht birgt
       das die Chance, Dinge anzugehen, die in der Kunstwelt schief hängen.