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       # taz.de -- Kostenlose Bücher zu Umweltthemen: Umsonst, aber nicht vergeblich
       
       > Bei unserem Autor stapeln sich die Ökobücher bis zur Decke. In der
       > Zu-verschenken-Kiste vor seiner Haustür gehen sie weg wie warme Semmeln.
       
   IMG Bild: Bücher zum mitnehmen
       
       Berlin taz | Es gibt diese Momente, in denen ich mich als Freak fühle. Ich
       sitze am Schreibtisch, blicke in mein Regal und frage mich: Ist es normal,
       Bücher über „Intelligente Verschwendung“, den „African Energy Outlook“,
       „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“ oder den „Streitfall
       Klimawandel“ zu horten?
       
       Hat man eine Schraube locker, wenn man 1.435 Seiten „Mitigation of Climate
       Change“ sammelt und Angela Merkels Buch „Der Preis des Überlebens“ von 1997
       neben vier Bänden Al Gore steht? Habe ich mich da auf eine einsame
       Öko-Insel der Unseligen zurückgezogen?
       
       Nein, habe ich nicht. Das weiß ich seit zwei Wochen. Da habe ich
       aufgeräumt. Andere lernten in der Corona-Isolation Gitarre spielen oder die
       Primzahlen bis 500 auswendig.
       
       Ich beschloss, mein Bücherregel auszumisten. Und zog von den staubigen
       Brettern kiloweise Werke, die die letzten Jahre als Treibgut des
       Öko-Klima-Diskurses an meiner Küste gestrandet waren. Wichtiges,
       Abseitiges, Halbseidenes. Über manches ist die Zeit hinweggegangen. Anderes
       ist dummerweise so akut wie vor Jahren und Jahrzehnten.
       
       ## „Gaias Rache“ und „Plastic Planet“ im Sonderangebot
       
       Aber wohin mit dem Stapel, der mir immerhin bis zum Kinn ging? Nun, ich
       lebe in Berlin. Da stellt man schon mal gebrauchte Kühlschränke,
       durchgesessene Sofas oder ausgebrannte Kleinwagen auf den Bürgersteig und
       schreibt „Zum Mitnehmen“ dran. Das macht man gern nachts, damit niemand den
       edlen Spender erkennt.
       
       Einen Versuch war es wert. Scheu stellte ich am nächsten Nachmittag einen
       Schuhkarton auf die grüne Bank, die in der Straße vor unserem Haus steht.
       Im Angebot: Klassiker wie „Das Imperium der Rinder“, „Gaias Rache“,
       „Klimafakten“, „Plastic Planet“ oder „Der geplünderte Planet“.
       
       Als ich am nächsten Tag vorsichtig nachschaute, war ich platt: Alles weg.
       Sogar den Schuhkarton hatte jemand brauchen können. Die Nachfrage war da.
       Da sollte das Angebot nicht zurückbleiben. Zwei weitere Fuhren folgten. Ich
       steigerte die Dosis, legte auch mal echt harten Tobak dazu: „Climate
       Change, Justice and Sustainablilty“, „Livestock’s long shadow“, „Alerte“,
       „Energiewende nach Fukushima“ und „George P. Mitchell and the Idea of
       Sustainabilitiy“.
       
       Alles weg. Nächste Runde: „Kraftwerk Küste“, „Hard Green“, „Navigation zu
       den Ressourcen der Zukunft“, „Half Earth“ oder „Gesunde Füße für Ihr Kind“
       – ratzfatz verschwunden.
       
       ## Berlin-Friedenau hat Interesse an Klimaschutz
       
       Ich war begeistert. Mein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft wurde angenommen.
       In meiner Nachbarschaft in Berlin-Friedenau gibt es also anscheinend ein
       großes Interesse an der weltweiten Debatte um Klimaschutz, Nachhaltigkeit
       und abseitige Ökothemen. Die Menschen hungern offenbar nach umfassenden
       Darstellungen der Krisen, in denen wir uns befinden.
       
       Unser Nachbar holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. „Ich vermute
       mal, das stellt jemand für ein paar Euro alles auf Ebay“, sagte er. „Der
       nimmt einfach alles, was so rumliegt, und bunkert es zu Hause.“
       
       Das war eine kalte Dusche für meine Begeisterung. Aber immerhin, dachte
       ich. Auch dann muss es da draußen jenseits der Ökoblase von Friedenau einen
       Markt für das Recycling der großen ökologischen Welterklärung geben. Es
       gibt aber natürlich auch noch eine andere Möglichkeit, dachte ich dann in
       einem Anfall von zynischem Realismus: Jemand sucht einfach nichtfossilen
       Brennstoff für seinen Kamin. Irgendwie ja auch öko.
       
       24 May 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
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