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       # taz.de -- Historikerin über Hadsch und Seuchen: „Zehntausende Tote“
       
       > Die Pilgerfahrt nach Mekka wurde immer wieder von Seuchen bedroht.
       > Historikerin Ulrike Freitag spricht über Cholera, Quarantäne und
       > imperiale Hygienepolitik.
       
   IMG Bild: Vor dem Ölboom und der Modernisierung: Mekka-Pilger in Saudi-Arabien 1964
       
       Frau Freitag, wegen [1][Corona] droht die islamische Pilgerfahrt nach Mekka
       auszufallen, die Ende Juli beginnen würde. Als Historikerin haben Sie in
       ihrem neuen Buch über Seuchen während der [2][Hadsch] geschrieben. Ein
       altes Problem also? 
       
       Gewissermaßen schon. In den 1820er Jahren kam die Cholera erstmals auf die
       Arabische Halbinsel. 1831 gab es die erste große Pandemie, bevor in den
       1860er Jahren erneut starke Wellen kamen. Das geht so weiter bis ins frühe
       20. Jahrhundert.
       
       Was hat man dagegen gemacht? 
       
       Es gab internationale Sanitätskonferenzen, zum Beispiel 1865 in
       Konstantinopel, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs, zu dem die
       Pilgerstätten im heutigen Saudi-Arabien damals gehörten. 1850 hatten die
       Osmanen erstmals versucht, Quarantäne speziell für Pilger zu verordnen. Das
       Problem hatte sich verschärft, weil sich die Reisezeiten im 19. Jahrhundert
       durch die Dampfschifffahrt stark verkürzten. Die natürliche Quarantäne auf
       den Segelschiffen und den Kamelkarawanen fiel auf einmal weg.
       
       Wie sahen die Hygienemaßnahmen damals aus? Gab es einen osmanischen
       Lockdown? 
       
       Nach 1865 wurden auf den Pilgerrouten Quarantänestationen gebaut, im Norden
       auf der ägyptischen Seite sowie im Süden auf der Kamaran-Insel vor der
       Küste des heutigen Jemen. Dort mussten Schiffe, auf denen Cholera vermutet
       wurde, zehn bis vierzehn Tage anlegen. Es gibt fürchterliche Berichte über
       den Zustand in diesen Lagern. In Zeiten von besonders schweren Epidemien
       wurden auch Kontrollstationen zwischen der Hafenstadt Dschidda und Mekka
       gebaut. Berichten zufolge ist es oft allerdings nicht gelungen, Infizierte
       davon abzuhalten, nach Mekka zu gelangen.
       
       Und dann? 
       
       Teilweise gab es Zehntausende Tote. 1865 starben 30.000 Menschen, das waren
       mindestens 20 Prozent der Pilger.
       
       Auch das British Empire, das über Millionen von Muslimen weltweit
       herrschte, mischte damals mit. Welche Rolle spielten die Briten? 
       
       Zunächst ging es ihnen um Gesundheitskontrolle. Aber die imperialen Mächte
       haben das mit anderen Interessen kombiniert. Die Briten etwa haben
       versucht, dem Reiseunternehmen Thomas Cook die alleinige Durchführung der
       Pilgerfahrt zu übertragen. Thomas Cook sollte drei Jahre lang das Monopol
       für die Pilgerfahrt zwischen Indien und Dschidda haben. In politischer
       Hinsicht boten die Kontrollen, die mit den Hygienemaßnahmen einhergingen,
       die Möglichkeit zu prüfen, wer überhaupt nach Mekka reist. Vor allem die
       Briten und Holländer hatten Angst, dass sich in Mekka Muslime aus aller
       Welt über die politische Lage austauschen und pan-islamische,
       anti-imperiale Pläne schmieden.
       
       Mitte der 1920er Jahre übernahmen die Saudis die Kontrolle über die
       heiligen Stätten. Wie ging es weiter? 
       
       Die Saudis haben sich weiter intensiv um die hygienischen Umstände bemüht.
       Die Lage verbesserte sich mit der Wasserversorgung und mehr medizinischen
       Einrichtungen. Wenn irgendwo Gelbfieber oder andere Krankheiten ausbrachen,
       durften nur Pilger einreisen, die entsprechend geimpft waren. Da sind die
       Saudis immer sehr strikt gewesen. Saudi-Arabien sieht es als Teil der
       islamischen Legitimität, dass man eine sichere Pilgerfahrt gewährleistet,
       dazu gehört auch die gesundheitliche Sicherheit.
       
       Glauben Sie, dass die Pilgerfahrt dieses Jahr stattfindet? 
       
       Ich hoffe es für alle, die sie schon gebucht haben, aber auch für die
       Saudis, weil die Pilgerfahrt wirtschaftlich sehr wichtig ist. Noch ist sie
       nicht abgesagt, doch seit mehr als zwei Monaten schon ist die kleine
       Pilgerfahrt, die Umra, verboten. Auch im Ramadan durfte man nicht in der
       Großen Moschee in Mekka beten. Ich glaube, dass die Saudis davon ausgehen,
       dass eine abgesagte Hadsch weniger Imageschaden bedeutet als eine, bei der
       sich Zehntausende oder Hunderttausende infizieren. Es gab ja immer wieder
       Katastrophen, die in der muslimischen Welt sehr intensiv wahrgenommen
       worden sind, zuletzt die [3][Massenpanik 2015, bei der Hunderte Menschen
       starben].
       
       31 May 2020
       
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