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       # taz.de -- „Black Lives Matter“-Demonstrationen: Hamburgs Jugend gegen Rassismus
       
       > 14.000 junge Menschen protestieren gegen rassistische Polizeigewalt. Am
       > Abend kommt es zu Angriffen auf die Polizei – und zu rabiaten Reaktionen.
       
   IMG Bild: Von der Menge überwältigt: Demo-Anmelderin Audrey B
       
       Hamburg taz | Schwarz gekleidet, mit Pappschildern und Mundschutz – so
       strömen tausende Menschen Richtung Jungfernstieg. „Wir sind hier, um zu
       zeigen, dass wir gegen Rassismus einstehen“, sagt eine 16-jährige
       Schülerin. Sie nimmt zum ersten Mal an einer Demonstration teil. So wie ihr
       geht es vielen jungen Menschen, die am Samstag zusammenkommen, um des
       schwarzen US-Amerikaners [1][George Floyd] zu gedenken, den Polizisten in
       Minneapolis getötet hatten.
       
       Schon vor dem offiziellen Beginn erklärt die Polizei die Versammlung für
       aufgelöst, denn statt der angemeldeten 525 seien 9.000 Menschen vor Ort.
       Der Jungfernstieg ist voll, die vorgeschriebenen Corona-Sicherheitsabstände
       sind nicht einhaltbar. Die Polizei versucht, den Zustrom von Menschen zu
       begrenzen. „We won’t move“, brüllen die Demonstrant*innen. Die
       Teilnehmer*innen knien sich auf den Boden und halten eine Schweigeminute
       ab. Dann stehen sie auf und rufen „Black Lives Matter“ und „No justice no
       peace“.
       
       Audrey B., die die Demonstration als „Silent Demo“ angemeldet hat, sagt,
       sie sei überwältigt von der Menge. „Uns war schnell klar, dass wir die
       Demonstration nicht so abhalten können wie geplant“, sagt die 20-jährige
       Schauspielerin. Am Ende ist es alles andere als „silent“: Es wird gerufen,
       getanzt und getrommelt. Die Stimmung ist zeitweise ausgelassen, die Polizei
       lange kaum zu sehen.
       
       Währenddessen füllt sich wenige hundert Meter weiter der Rathausmarkt. Dort
       ist ab 15 Uhr eine Kundgebung der [2][Lampedusa-Gruppe] und der [3][Black
       Community] angemeldet. Am Freitag, einen Tag zuvor, hatten beide Gruppen
       bereits zu einer Kundgebung vor dem US-Konsulat aufgerufen. Statt den
       angemeldeten 250 Teilnehmer*innen waren etwa 4.500 gekommen.
       
       Auch am Rathausmarkt teilt die Polizei über Lautsprecher mit, die
       Versammlung sei beendet, da sich zu viele Menschen versammelt hätten. Doch
       die Kundgebung geht wie geplant weiter. Redner*innen fordern Gerechtigkeit
       für die Opfer rassistischer Polizeigewalt – auch in Deutschland.
       
       Die Polizei zählt 14.000 Demonstrierende im Bereich der beiden
       Kundgebungen. Unter ihnen sind Menschen aller Hautfarben und jeden Alters.
       Doch es fällt auf, dass besonders viele People of Color und junge Menschen
       da sind, die sonst weniger auf Demos anzutreffen sind.
       
       Die Polizei hatte zuvor getwittert: „Rassismus darf in unserer Gesellschaft
       keinen Platz haben. Wir sind an eurer Seite.“ Daraus wird am Abend
       schließlich doch noch die Gegenseite: Demonstrierende bedrängen am
       Jungfernstieg Polizisten, bis die komplett eingekesselt sind. Fast schon
       verzweifelt kommt aus dem Lautsprecherwagen der Polizei immer wieder die
       Aufforderung: „Wenn Sie es schon untereinander nicht schaffen, halten Sie
       Abstand von den Einsatzkräften!“
       
       Die Polizei twittert von mehreren hundert Personen, die „aggressiv und
       vermummt“ seien. Schließlich setzen die Beamt*innen Pfefferspray ein. Als
       Antwort fliegen Flaschen und andere Gegenstände, Böller werden gezündet.
       Die Polizei rückt mit Wasserwerfern und Hundertschaften an. Die
       Demonstrant*innen werden aufgefordert zu gehen, da sie Teil einer
       unangemeldeten Versammlung seien.
       
       Kurz nach 18 Uhr kommen dann die Wasserwerfer zum Einsatz, die Polizei
       stürmt in die Menge. Hunderte Menschen rennen in alle Richtungen. Eine
       Gruppe Jugendlicher rennt in die Europapassage, viele sind panisch. „Dass
       die Polizei so eingreift, hätte ich nicht gedacht“, sagt ein 15-Jähriger.
       Auch er ist zum ersten Mal demonstrieren.
       
       In der Innenstadt versucht die Polizei weiterhin, Demonstrierende zu
       zerstreuen. Dabei werden 36 Menschen am Hauptbahnhof festgehalten. Videos
       zeigen, dass überwiegend Jugendliche mit erhobenen Händen an der Wand
       stehen. [4][Emily Laquer] von der Interventionistischen Linken berichtet,
       die Polizei habe sie fast zweieinhalb Stunden so stehen gelassen, bevor sie
       auf Polizeiwachen abtransportiert wurden. „Das waren überwiegend
       migrantisch gelesene Kids“, sagt sie. Es sei skandalös, dass Jugendliche,
       die gegen rassistische Polizeigewalt auf die Straße gegangen sind, diese am
       Ende selbst erfahren müssten.
       
       Laut Polizei wurden elf Menschen vorläufig festgenommen, weitere 36 kamen
       in Gewahrsam. Darunter seien ein 13-jähriges Kind und 19 Jugendliche
       gewesen. Alle seien wieder freigelassen worden, der letzte Jugendliche um
       1:45 Uhr.
       
       Audrey B. bezeichnet das Eingreifen der Polizei als „unnötig“. Die Mehrheit
       habe nur ein Zeichen setzen wollen und sei nicht an den Ausschreitungen
       beteiligt gewesen. Weitere Demonstrationen seien noch nicht geplant. „Aber
       das ist nicht das Ende“, kündigt sie an.
       
       7 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rassistische-Polizeigewalt-in-den-USA/!5688834
   DIR [2] /Polizeieinsatz-am-Hamburger-Hauptbahnhof/!5686601
   DIR [3] /Psychiatriepatient-William-Tonou-Mbobda/!5607926
   DIR [4] /Emily-Laquer-ueber-Proteste-gegen-G20/!5426419
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Zaheer
       
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