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       # taz.de -- Besuchsregeln für Bremer Pflegeheime: Wie im Knast
       
       > Bundesweit gibt es nirgends so strenge Besuchsregeln für Pflegeheime wie
       > in Bremen. Die Sozialbehörde macht die Träger dafür verantwortlich.
       
   IMG Bild: Ein Altenheim in NRW. In Bremen sind Besuche von zwei Personen nicht erlaubt
       
       BREMEN taz | Die Corona-bedingten Besuchsregelungen in Bremens
       Altenpflegeheimen sind die restriktivsten in ganz Deutschland: Das
       behauptet eine an [1][die Bürgerschaft verfasste Petition], die eine
       Lockerung der Einschränkungen fordert. Und in der Tat: In Bremen darf
       lediglich eine feste Bezugsperson ihren Angehörigen besuchen und das auch
       bloß einmal in der Woche für 45 Minuten – so streng geht’s in keinem
       anderen Bundesland zu.
       
       Er könne die Besuchszeit nicht einmal selbst terminieren, sagt Kurt V.
       (Name ist der Redaktion bekannt): „Die Einrichtung, in der meine Mutter
       lebt, weist mir ein Zeitfenster zu, das mit meinen Arbeitszeiten oft nur
       sehr schwer zu vereinbaren ist.“ Die 45 Minuten verbringen er und seine
       Mutter dann mit vier bis fünf weiteren BewohnerInnen und deren Besuch im
       Speisesaal des Altenheims: „Es gibt keine Privatsphäre und wir stehen unter
       ständiger Aufsicht“, sagt V.
       
       Seine Mutter durfte nach dem Shutdown nicht einmal mehr im Innenhof der
       Pflegeeinrichtung spazieren gehen. „Mir wurde gesagt, es gebe ja alle zwei,
       drei Tage für eine halbe Stunde Hofgang, worauf ich mir nicht verkneifen
       konnte zu erwidern: Ich glaube, im Gefängnis ist es sogar eine Stunde“,
       sagt V. Weil er nicht locker ließ, habe die Einrichtung schließlich bei der
       [2][Wohn- und Betreuungsaufsicht] um Erlaubnis gefragt: „Seither darf sie
       in den Hof, mit Passierschein.“
       
       Das Pflegepersonal, sagt V., reibe sich auf für die alten Menschen, „aber
       dagegen stehen knallharte kommerzielle Interessen der Betreiber“. So müsse
       eine Pflegekraft eine Woche lang mit einer simplen OP-Maske zurechtkommen:
       „Zusätzliche Masken muss sie selbst bezahlen.“ Daneben fehle es massiv an
       Personal. Die restriktiven Heimregeln begründet V. kurz und bündig: „Es
       liegt am Geld.“
       
       ## Keine Konzepte
       
       An den strengen Besuchsregelungen in den Einrichtungen seien die Träger
       schuld, sagt hingegen Bernd Schneider, Sprecher der zuständigen
       Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne): „Wir hatten ja weitergehende
       Lockerungen schon vor über vier Wochen vorgeschlagen, waren aber von den
       Trägern ausgebremst worden.“
       
       Die Besuchsordnung sei auf deren Intervention in die Verordnung aufgenommen
       worden. „Die Träger hatten Sorge, dass sie weitergehende Regelungen nicht
       umsetzen können, schon allein aus personellen Gründen.“ Das
       Gesundheitsressort und das Ordnungsamt seien dem Willen der
       Pflegeheimträger gefolgt.
       
       Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien
       Wohlfahrtspflege (LAG), macht diese Behauptung wütend: „Wir sind damals
       erst gar nicht einbezogen worden und haben deswegen gesagt: So geht das
       nicht.“ In der Tat hatte Knigge Anfang Mai [3][moniert, dass es keine
       Konzepte für die Öffnung der Heime gebe], und schnelle Hilfen gefordert, um
       das für die Einhaltung der Hygienevorschriften notwendige zusätzliche
       Personal zu finanzieren. Und schon damals plädierte er für umfassende
       Testungen in den Einrichtungen.
       
       Das tut er nun mehr denn je, denn voraussichtlich wird der Senat am
       Dienstag deren weitere Öffnungen beschließen. „Künftig sollen dann täglich
       bis zu zwei Stunden Besuch ermöglicht werden, was wir auch ausdrücklich
       begrüßen, aber: Das muss auch personell geleistet werden!“, sagt Knigge.
       Dafür müsse dringend mit den Pflegekassen verhandelt werden, denn:
       „Momentan weiß noch niemand, wer das bezahlt.“
       
       Beim Thema Coronatests für Beschäftigte und Neuaufnahmen in
       Pflegeeinrichtungen liege Bremen ganz weit hinten, sagt Knigge und sieht
       auch darin einen Grund für die strengen Besuchsregeln. „Uns wird der
       Schwarze Peter zugeschoben, aber wenn wir künftig Corona-Hotspots werden,
       weil der Senat seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, dann werden wir wieder
       verantwortlich gemacht“, sagt er.
       
       ## 50-fach höhere Sterblichkeit
       
       Mit seiner Meinung steht Knigge nicht allein: Auch Karin Wolf-Ostermann,
       Leiterin der Abteilung für [4][Pflegewissenschaftliche Versorgungsforschung
       an der Uni Bremen], fordert regelmäßige Reihentests in den Einrichtungen.
       Sie leitet eine Studie, die bundesweit die Situation in Pflegeeinrichtungen
       und -diensten während der Coronapandemie analysiert. Danach ist die Hälfte
       aller Covid-19-bedingten Todesfälle in Pflegeheimen gezählt worden, obwohl
       nur ein Prozent der Bevölkerung dort lebt. Die Sterblichkeit unter
       Pflegebedürftigen ist damit mehr als fünfzig Mal so hoch wie im Rest der
       Bevölkerung.
       
       Zwar habe sich, so Wolf-Ostermann, die Versorgung von Pflegeeinrichtungen
       mit Schutzmaterialien verbessert, dennoch klage immer noch jeder vierte
       Pflegedienst und jedes sechste Heim über Engpässe. Zudem seien Tests
       teilweise noch schwer zugänglich. „Die Übermittlung der Ergebnisse erfolgt
       erst nach drei bis vier Tagen – zu spät, um ihr Potenzial als Teil eines
       wirkungsvollen Schutzkonzeptes voll zu entfalten.“
       
       Die Sozialbehörde sieht der weiteren Öffnung der Pflegeheime trotzdem
       zuversichtlich entgegen: „Wir sind der Auffassung, dass in der jetzigen
       Situation mit täglich sinkenden Fallzahlen an Infizierten die Restriktionen
       in der jetzigen Form auf keinen Fall mehr zu rechtfertigen sind“, so Bernd
       Schneider. „Sie bedeuten massive Einschnitte in die Freiheitsrechte der
       Betroffenen, die – aus unserer Sicht – mit der epidemiologischen Lage in
       der Bundesrepublik und in Bremen nicht mehr zu rechtfertigen sind.“
       
       Dass eine Ausweitung der Tests unumgänglich ist, scheint aber inzwischen
       angekommen zu sein: „Es wird präventive Testungen in systematischer Form
       geben“, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher von Gesundheitssenatorin Claudia
       Bernhard (Linke). Wie die aussehen, entscheidet sich am Dienstag.
       
       12 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://petition.bremische-buergerschaft.de/index.php?n=petitionsdetails&s=1&c=date_public&d=DESC&b=0&l=10&searchstring=&pID=3290
   DIR [2] https://www.soziales.bremen.de/soziales/aeltere_menschen/stationaere_angebote/bremische_wohn__und_betreuungsaufsicht-24798
   DIR [3] /Kontaktsperre-in-Bremen/!5680063/
   DIR [4] https://www.public-health.uni-bremen.de/abteilungen/pflegewissenschaftliche-versorgungsforschung/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schnase
       
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