URI: 
       # taz.de -- RKI zu Corona in Flüchtlingsunterkünften: Massenquarantäne vermeiden
       
       > In einem unveröffentlichten Papier gibt das RKI Hinweise zu Corona in
       > Sammelunterkünften. Der Inhalt deckt sich mit den Forderungen von
       > Geflüchteten.
       
   IMG Bild: Wie man es laut RKI nicht machen sollte: abgeriegelte Sammelunterkunft in St. Augustin
       
       Berlin taz | Hunderte Menschen in Quarantäne, zusammengepfercht in
       Mehrbettzimmern: Seit dem Beginn der [1][Coronapandemie] fordern
       Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen, die Unterbringung in
       Sammelunterkünften zu beenden. Zu hoch sei das Risiko, sich mit dem Virus
       zu infizieren. Beim Robert-Koch-Institut (RKI) sieht man das offenbar
       ähnlich. In einem bisher unveröffentlichten Entwurf zu ebendiesem Thema
       listet das RKI viele der Forderungen auf, die auch von den Geflüchteten
       gestellt werden.
       
       Das Papier liegt der taz vor. Es ist auf den 7. Mai datiert und trägt den
       Titel „Hinweise zu Prävention und Management von COVID-19-Erkrankungen in
       Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete“. Darin heißt es, das
       Übertragungsrisiko sei in Gemeinschaftsunterkünften „besonders hoch, da
       hier viele Menschen auf engem Raum zusammenleben und Wohn-, Ess- und
       Sanitärräume gemeinsam nutzen“. In dem Papier spricht das RKI sich
       entschieden dagegen aus, ganze Unterkünfte unter Quarantäne zu stellen, und
       fordert, die Belegung in den Einrichtungen deutlich zu entzerren.
       
       Konkret erklärt das RKI in dem Entwurf, schon bevor eine Infektion
       auftrete, müssten Bewohner*innen „so untergebracht sein, dass eine
       physische Distanzierung (mind. 1,5 m Abstand) und Kontaktreduzierung auch
       innerhalb des Gebäudes möglich ist“. Außer bei Familien und Paaren solle
       „idealerweise eine Einzelzimmerunterbringung angestrebt werden“.
       
       Statt Massennutzung sollten kleine Wohneinheiten von maximal zehn Personen
       Zugang zu einem eigenen Sanitär- und gegebenenfalls Küchenbereich haben.
       Außerdem müsse es ausreichend Seife, Desinfektionsspender,
       Mund-Nasen-Bedeckungen sowie Informationen geben.
       
       ## Viele Fehler durch die Behörden
       
       Im Fall eines Ausbruchs müssten die Betroffenen, ihre Kontakte,
       Verdachtsfälle sowie nicht Betroffene räumlich in drei verschiedene
       Bereiche getrennt werden. Eine „kleinteilige Kohortierung“ von maximal
       zehn Personen sei „notwendig, um lange und immer wieder zu verlängernde
       Quarantänedauern zu verhindern“. Risikopersonen sollten evakuiert und
       gesondert untergebracht werden. „Eine Quarantäne der gesamten
       Gemeinschaftsunterkunft sowie das Errichten von physischen Barrieren
       (Zäunen) sind zu vermeiden. Durch eine Massenquarantäne wird eine
       vermeidbar hohe Exposition mit daraus resultierenden Risiken für alle
       BewohnerInnen in Kauf genommen, die den RKI-Empfehlungen zu
       Infektionsmaßnahmen widerspricht.“
       
       Doch genau zu solchen Situationen war es seit Ausbruch der Coronapandemie
       immer wieder gekommen. In Sachsen-Anhalt standen im April 839
       Bewohner*innen einer Unterkunft unter Quarantäne, die Wohnblocks auf dem
       Gelände waren durch Zäune getrennt. [2][Bis zu sechs Personen teilten sich
       dort ein Zimmer.] Im thüringischen Suhl wurden im März mehr als 530
       Menschen unter Sammelquarantäne gestellt.
       
       Im baden-württembergischen Engelsbrand wurde Ende Mai eine Unterkunft mit
       34 Bewohner*innen unter Quarantäne gestellt, als drei Personen positiv
       getestet wurden. Immer wieder kritisierten Geflüchtete mangelnde Aufklärung
       und Abstandsmöglichkeiten sowie eine unzureichende Versorgung mit
       Desinfektionsmitteln.
       
       Das RKI bestätigt auf Nachfrage der taz, ein Papier zu diesem Thema befinde
       sich derzeit im Stellungnahmeprozess zwischen Bund und Ländern. Auf Inhalt
       oder Details wollte das RKI nicht eingehen. Auch das Bundesinnenministerium
       erklärt, die Beratungen dauerten an, „weshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt
       keine konkreten Ausführungen über den Inhalt der Empfehlungen erfolgen
       können“. Mehrere Landesministerien bestätigen der taz, das Papier zu
       kennen.
       
       ## „Auch Geflüchtete haben ein Recht auf Gesundheit“
       
       Das Staatsministerium des Inneren (StMI) in Bayern erklärt, dort sei „das
       gegenständliche Papier bekannt“, weil die Länder Möglichkeit zur
       Stellungnahme hatten. „Mittlerweile wurden die Hinweise nochmals
       überarbeitet und befinden sich in der Abstimmung auf Bundesebene.“ Auch die
       Landesaufnahmebehörde in Niedersachsen betont, bei dem Papier handle es
       sich um einen Entwurf. „Möglicherweise ist dieser nicht mehr aktuell. Eine
       endgültige Fassung ist unserem Kenntnisstand nach bisher nicht
       veröffentlicht worden.“
       
       Pro Asyl fordert, dass Bund und Länder „sofort Konsequenzen aus dieser
       Beurteilung ziehen“. Das RKI bestätige, dass die Forderungen von Pro Asyl
       und Flüchtlingsräten im Kern richtig seien. „Auch Geflüchtete haben ein
       Recht auf Gesundheit. Wir fordern die Auflösung der Sammellager“, sagte
       Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt der taz. „Wir erwarten, dass die
       Innenminister die Ratschläge ernst nehmen und eine Einflussnahme auf den
       Inhalt des Papiers aus ordnungspolitischen Gesichtspunkten unterlassen.“
       
       Burkhardt forderte zudem, das Papier schnell zu veröffentlichen. „In den
       vergangenen Wochen waren mehrfach Klagen von Geflüchteten gegen diese Art
       der Unterbringung erfolgreich. Ein solches Dokument würde Betroffenen vor
       Gericht den Rücken stärken.“
       
       Wie überall in Deutschland sind auch in Geflüchtetenunterkünften die
       Coronafälle in den vergangenen Wochen zurückgegangen. In Bayern gebe es
       derzeit unter etwa 90.000 Bewohner*innen in Unterkünften rund 160
       Coronafälle, berichtet das Staatsministerium des Inneren. 1.473 Personen
       seien inzwischen genesen. Auch habe man in Abstimmung mit dem RKI bereits
       Maßnahmen ergriffen – und etwa die Belegung entzerrt. Dazu sei „nicht die
       absolute Größe einer Unterkunft maßgeblich, sondern die Belegungsdichte“,
       so das Ministerium. Eine entzerrte Unterbringung sei auch deshalb möglich,
       weil „der Zugang an neuen Asylbewerbern in Bayern seit Beginn der
       Coronakrise massiv zurückgegangen ist“.
       
       11 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
   DIR [2] /Schutz-vor-Corona-fuer-Gefluechtete/!5673786
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dinah Riese
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Flüchtlinge
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Unterbringung von Geflüchteten
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Risiko
   DIR Flüchtlinge
   DIR Schwerpunkt Coronavirus
   DIR Seenotrettung
   DIR Seebrücke
   DIR Schwerpunkt Flucht
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Corona in Unterkunft für Geflüchtete: Ausbruch mit Ansage
       
       70 Geflüchtete, die in Hamburgs Ankunftszentrum lebten, haben sich mit dem
       Coronavirus infiziert. Flüchtlingsorganisationen kritisieren den Senat.
       
   DIR Diskussion Geflüchtete und Coronakrise: Sammelunterbringung mit Abstand
       
       Pro Asyl beklagt auf dem Online-Podium der taz, Geflüchtete würden
       entrechtet. Die zuständige Behörde aus Rheinland-Pfalz zeigt, was
       funktioniert hat.
       
   DIR Migrations-Papier der Linkspartei: Ab sofort mit einer Stimme
       
       Partei- und Fraktionsspitze der Linken einigen sich auf ein Papier zum
       Thema Geflüchtete. In der Vergangenheit hatte es darum stets Streit
       gegeben.
       
   DIR Corona-Lage weltweit: Kein Ende in Sicht
       
       Global gesehen ist die Coronapandemie nicht vorbei, sondern auf ihrem
       Höhepunkt. Dabei ist nicht Armut das Problem – vielmehr politisches
       Versagen.
       
   DIR Seenotrettung im Mittelmeer: „Neuer moralischer Tiefpunkt“
       
       Im März reformierte das Verkehrsministerium die Sportbootverordnung. Die
       Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer wird so nahezu unmöglich.
       
   DIR Senatorin begrüßt Pläne aus Potsdam: Eigene Wohnungen für Flüchtlinge
       
       Potsdam möchte bald Gemeinschaftsunterkünfte aufzulösen. Auf die Situation
       in Berlin ist dies laut Sozialsenatorin aber nicht übertragbar
       
   DIR Pläne der Landesregierung Thüringen: 500 Flüchtlinge sollen kommen
       
       Thüringen will Flüchtlinge aus den griechischen Lagern aufnehmen. Der Plan
       der Minderheitsregierung stößt bei der Opposition auf Ablehnung.