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       # taz.de -- Kontaktverfolgung in Katar: Corona-App greift auf Fotos zu
       
       > Weltweit sorgen Corona-Apps für Angst vor Überwachung. Katars
       > Innenministerium geht im vermeintlichen Kampf gegen das Virus besonders
       > weit.
       
   IMG Bild: Plakat in Doha, Katar, April 2020
       
       Berlin taz | Allein im Google Play Store wurde sie in wenigen Tagen mehr
       als eine Million Mal heruntergeladen: „Ehteraz“, die Corona-Warn-App, mit
       der das kaum drei Millionen EinwohnerInnen zählende Katar dem Coronavirus
       den Kampf angesagt hat. Mit der unveröffentlichten Zahl an Apple-Downloads
       dürfte der Großteil der Menschen in Katar die App auf ihrem Smartphone
       installiert haben.
       
       Ganz Katar also im „Ehteraz“-Fieber? Nicht wirklich, denn neuerdings ist es
       gesetzliche Vorschrift, die App installiert zu haben. „Alle BürgerInnen und
       BewohnerInnen sind verpflichtet, die Ehteraz-App zu installieren, wenn sie
       das Haus aus irgendeinem Grund verlassen“, verkündete die staatliche
       Nachrichtenagentur vergangene Woche. Wer dagegen verstößt, dem droht eine
       Geldstrafe von 200.000 Katar-Riyal (50.800 Euro) oder bis zu drei Jahre
       Gefängnis.
       
       Weltweit sorgen Corona-Apps derzeit für Diskussionen. In Deutschland soll
       die Kontaktverfolgung per Smartphone ab Beginn der Sommerferien in etwa
       vier Wochen starten. In rund 40 Ländern weltweit sind bereits Apps im
       Einsatz, die eine Verfolgung von Infektionsketten erleichtern sollen.
       [1][In der chinesischen Metropole Hangzhou regt sich Unmut], weil die
       Lokalregierung die chinesische Corona-App mit ihrem Gesundheitscode auch in
       Post-Pandemie-Zeiten beibehalten möchte.
       
       „Ehteraz“, die von Katars Innenministerium entwickelte Pflicht-App, ist
       auch deshalb umstritten, weil sie offenbar einen massiven Eingriff in die
       Privatsphäre mit sich bringt. Medienberichten zufolge hat die App Zugriff
       auf private Dateien, auch auf Fotos und Videos. Android-NutzerInnen müssen
       demnach den Zugriff auf ihre Fotos nach der Installation erlauben, sonst
       laufe die App nicht.
       
       Auch ist es nicht möglich, „Ehteraz“ auszuschalten, im Hintergrund läuft
       sie ununterbrochen. Da die App nicht nur Bluetooth zur Kontaktverfolgung
       nutzt, sondern technisch auch in der Lage ist, den genauen Standort von
       NutzerInnen per GPS in Echtzeit zu tracken, und darüber hinaus mit der
       nationalen Identifikationsnummer verknüpft ist, könnte der Staat also zu
       jeder Uhrzeit nachverfolgen, wer sich in Katar wo mit wem aufhält.
       
       ## Amnesty deckt Sicherheitslücke auf
       
       Auf [2][Kritik] hat die Regierung mittlerweile reagiert, ohne aber die
       grundlegenden Bedenken auszuräumen. „In Katar Wohnhafte brauchen keinerlei
       Bedenken bezüglich ihrer Privatsphäre zu haben“, sagte Mohammed bin Hamad
       Al Thani, ein hochrangiger Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, der
       Zeitung Gulf Times. Warum es dafür des Zugriffs auf Fotos bedarf, erklärte
       er nicht schlüssig. Al Thani zufolge ist das zweitrangig, da die Daten
       ohnehin nicht in die Hände Dritter gelangen würden, sondern nur
       „relevanten, spezialisierten Teams“ zugänglich seien.
       
       Doch selbst wenn die Daten bei den Gesundheitsbehörden blieben und nicht
       mit anderen staatlichen Stellen – Polizei oder Geheimdiensten – geteilt
       würden sowie nach spätestens zwei Monaten gelöscht würden, bliebe ein
       Sicherheitsrisiko, sind sich KritikerInnen einig. IT-ExpertInnen von
       [3][Amnesty International machten am Dienstag] eine „riesige
       Sicherheitslücke und einen grundlegenden Fehler in Katars
       Kontaktverfolgungs-App“ öffentlich.
       
       Der Fehler sei am Freitag behoben worden, also erst an dem Tag, als die App
       für alle verpflichtend wurde. Er hätte, schreiben die ExpertInnen,
       „Cyber-Angreifern den Zugriff auf hochsensible Informationen ermöglicht,
       einschließlich des Namens, der nationalen Identifikationsnummer, des
       Gesundheitszustands und der Standortdaten von mehr als einer Million
       Benutzern“.
       
       ## Dezentrales Modell in Deutschland
       
       Claudio Guarnieri, Leiter von Amnestys „Security Lab“ in Berlin, warnte,
       das katarische Beispiel müsse ein „Weckruf“ für Regierungen weltweit sein.
       „Wenn Technologie eine wirksame Rolle bei der Bekämpfung des Virus spielen
       soll, müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass
       Kontaktverfolgungs-Apps ihre Privatsphäre und andere Menschenrechte
       schützen“, teilte er mit.
       
       Die deutsche Corona-App wird derzeit im Auftrag der Bundesregierung vom
       Softwarekonzern SAP und der Deutschen Telekom entwickelt.
       DatenschützerInnen, NetzaktivistInnen und Medien hatten ursprüngliche Pläne
       von Gesundheitsminister Jens Spahn kritisiert und eine Debatte über über
       zentrale oder dezentrale Speicherung losgetreten. Bei dem zentralen Modell
       sollten die Daten auf einem zentralen Server gespeichert werden.
       
       Mittlerweile ist die Bundesregierung umgeschwenkt und favorisiert ein
       dezentrales Modell, bei dem die Daten zunächst nur auf den Smartphones,
       also nicht bei einer staatlichen Stelle, gespeichert werden. SAP und
       Telekom haben versprochen, möglichst transparent zu arbeiten, und
       veröffentlichen nun regelmäßig Informationen zur App-Architektur auf der
       Open-Source-Plattform Github.
       
       27 May 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Corona-App-in-China/!5688707
   DIR [2] https://www.khaleejtimes.com/coronavirus-pandemic/combating-coronavirus-qatar-covid-19-tracing-app-stirs-rare-privacy-backlash
   DIR [3] https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/05/qatar-covid19-contact-tracing-app-security-flaw/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jannis Hagmann
       
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