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       # taz.de -- Neue Corona-Entwicklung: Mehr Kontakte, weniger Infektionen
       
       > Trotz Lockerungen sinken die Corona-Zahlen. Das Virus verbreitet sich
       > wohl anders als gedacht: Gefährlich sind Innenräume und „Superspreader“.
       
   IMG Bild: An der frischen Luft – wie hier im Biergarten – ist das Risiko einer Corona-Infektion eher gering
       
       Als sich Bund und Länder am 6. Mai [1][darauf einigten], Geschäfte und
       Schulen wieder zu öffnen und die Kontaktbeschränkungen zu lockern, hatten
       viele ExpertInnen Sorge vor zunehmenden Infektionszahlen. Drei Wochen
       später zeigt sich nun, dass das nicht der Fall ist: Die Zahl der täglichen
       Neuinfektionen ist im Mittel der letzten sieben Tage auf 480 am Tag
       gesunken. Vor drei Wochen war dieser Wert mit über 1.000 Fällen noch mehr
       als doppelt so hoch, Anfang April lag er bei rund 5.600 Neuinfektionen pro
       Tag.
       
       Ebenfalls rückläufig ist die Anzahl der IntensivpatientInnen und Toten.
       Wegen der größeren Zeitverzögerung war eine Auswirkung der Lockerungen auf
       schwere Krankheitsverläufe allerdings ohnehin noch nicht zu erwarten. Die
       Anzahl der aktuell auf einer Intensivstation behandelten CoronapatientInnen
       sank auf 821 – von 1.937 vor drei Wochen und knapp 3.000 Mitte April. Die
       Zahl der gemeldeten Corona-Todesfälle ging im Sieben-Tage-Mittel auf nur
       noch 37 am Tag zurück; vor drei Wochen waren es noch 126, der Höchstwert um
       den 20. April lag sogar bei über 230 Toten am Tag.
       
       Dass die Lockerungen sich nicht in den Infektionszahlen niederschlagen,
       liegt nach Ansicht verschiedener Experten an der Verbreitung des Virus: Die
       funktioniert offenbar anders als anfangs vermutet. Ein Großteil der
       Ansteckungen geht demnach auf wenige Menschen zurück, sogenanne
       Superspreader, die einerseits besonders viele Viren ausscheiden,
       andererseits mit vielen Menschen in engen Kontakt kommen.
       
       „Internationale Studien legen nahe, dass das Infektionsgeschehen in
       Clustern auftritt – zum Beispiel, dass etwa 10 Prozent der Infizierten für
       80 Prozent der Infektionen verantwortlich sind“, sagte der Bonner Virologe
       Hendrik Streeck der taz. „Das Verbot von Großveranstaltungen dürfte darum
       bei der Eindämmung eine entscheidende Rolle gespielt haben.“ Und diese
       gelten ja weiterhin. Daneben spiele auch das sommerliche Wetter eine Rolle
       bei der positiven Entwicklung, weil es die Verbreitung von Tröpfchen und
       Aerosolen verringere, so Streeck.
       
       Auch der Epidemiologe und SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach betont
       im Gespräch mit der taz die Bedeutung von Superspreadern und die des
       Wetters. Zudem hätten neue Studien gezeigt, dass das Virus sich vor allem
       in geschlossenen Räumen verbreite, weil sich Aerosole, also Wolken aus
       feinsten Tröpfchen, dort länger halten. „Drinnen ist die Ansteckungsgefahr
       18-mal so hoch wie draußen“, erklärt Lauterbach mit Verweis auf eine
       entsprechende Studie. Im Freien sei eine Lockerung der
       Kontaktbeschränkungen darum weitaus weniger problematisch als in
       Innenräumen.
       
       Zudem hätten Kontaktbeschränkungen in Deutschland „sehr gründlich gewirkt“,
       sagt Lauterbach. Die Infektionszahl sei dadurch so weit gesunken, dass ein
       neuer Ausbruch weniger wahrscheinlich werde. Dennoch kamen die Lockerungen
       aus Sicht des SPD-Politikers verfrüht. „Hätten wir drei Wochen länger
       durchgehalten, hätten die Neuinfektionen fast ganz ausgelöscht werden
       können“, so Lauterbach.
       
       ## Mehr Fälle im Herbst möglich
       
       Dass die Zahlen dauerhaft sinken, folgt allerdings nicht automatisch aus
       der bisherigen positiven Entwicklung. „Ich glaube schon, dass es im Herbst
       wieder mehr Fälle geben wird“, sagt Virologe Streeck. „Aber weil sich diese
       vermutlich auf einzelne Hotspots konzentrieren, sollten sie leichter
       einzudämmen sein.“
       
       Ähnlich äußerte sich der Berliner Virologe Christian Drosten im NDR: Wenn
       die Verbreitung des Virus vor allem über wenige Superspreading-Ereignisse
       erfolge, sei es leichter, alle Betroffenen zu isolieren. „Dann könnte man
       über solche Maßnahmen tatsächlich das Gesamtschicksal der Epidemie in der
       Bevölkerung unter Kontrolle bringen“, so Drosten.
       
       27 May 2020
       
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