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       # taz.de -- Vor der Rückkehr der Touristen: Mallorca atmet durch
       
       > Der Tourismus hatte der Natur der spanischen Urlaubsinsel Mallorca schwer
       > zugesetzt – insbesondere dem Naturpark Es Trenc. Dann kam Corona.
       
   IMG Bild: Am Strand von Es Trenc
       
       Amseln hüpfen über die Straße, ungestört von den am Rand parkenden
       Fahrzeugen, deren Motoren schon seit Wochen kalt sind. Und Turteltauben.
       Ausnahmsweise mal nicht mit blonden Haaren, bewaffnet mit Strandlaken und
       Kühlboxen, um ihre Liebe in den Dünen des Naturparks Es Trenc auszuleben,
       sondern mit grauen Federn und einem auffälligen schwarz-weiß gestreiften
       Fleck seitlich des Halses.
       
       „Normalerweise sieht man diese Vögel nicht auf der Straße“, freut sich
       Vicens Sastre, 67, Ornithologe, Illustrator und Naturführer. Doch da es
       sogar den Insulanern während des Lockdowns in den vergangenen drei Monaten
       untersagt war, sich allzu weit von ihrem Zuhause fortzubewegen, hat die
       Natur die Insel offenbar wieder für sich entdeckt.
       
       Der gut 3,5 Kilometer lange Sandstrand von Es Trenc, zwischen den
       Ortschaften Ses Covetes und Colònia de Sant Jordi, wo für gewöhnlich ab Mai
       Touristen im Adamskostüm Brathähnchen spielen, liegt golden in der
       strahlenden Sonne. Frei von Sonnenschirmen und Kiosken – und fast frei von
       Müll.
       
       Genau ein Jahr ist es her, dass ich dort mit Handschuhen und Müllsack durch
       den karibisch anmutenden Sand stapfte und Plastik, Dosen, Zigarettenstummel
       und benutzte Kondome aufsammelte. Gemeinsam mit Catalina Puich Prohens,
       Direktorin des am 27. Juni 2017 gegründeten Naturparks Es Trenc, mit María
       Estrella Rodríguez Gómez, einer Mitarbeiterin der Parkverwaltung und neun
       Angestellten der globalen Bettenbank HotelBeds.
       
       ## Auswirkungen des Lockdowns
       
       Manche der Freiwilligen nahmen sich des Mikroplastiks an, andere
       schulterten in den Dünen entsorgte Sonnenschirme. „Die werden oft billig
       gekauft und vorm Heimflug in der Natur entsorgt“, berichtete Rodríguez.
       Abfalleimer gebe es am Strand nicht, damit die Urlauber ihren Müll
       mitnähmen und in den Containern bei den Parkplätzen entsorgten.
       
       Im Mai 2020 hat sich unter anderem das Sonnenschirmdebakel von selbst
       erledigt. „Eigentlich hätte die Touristensaison am 1. Mai, begonnen, aber
       aufgrund der Ausnahmesituation wegen Covid-19 haben wir noch nicht mit dem
       Aufbau der saisonalen Einrichtungen begonnen“, erzählt Rodríguez.
       
       Illegal gebaute chiringuitos, die zuvor die Strandlandschaft dominierten,
       wurden zwar bereits 2017 abgerissen, doch mobile Strandkioske waren
       zwischen Mai und Oktober weiterhin erlaubt. „Dieses Jahr waren die Strände
       bis 4. Mai komplett geschlossen, seitdem dürfen wir sie wieder nutzen, um
       spazieren zu gehen oder Sport zu treiben.“ Bis zum 25. Mai sei es sogar
       noch untersagt gewesen, im Meer zu baden.
       
       „Da gerade alles erst wieder öffnet, liegen uns noch keine Untersuchungen
       vor, welche Auswirkungen der Lockdown im Detail auf den Naturpark hatte“,
       so Rodríguez. Jedoch müsse der Sandverlust sehr viel geringer ausgefallen
       sein: Sand, der sonst an Schuhen kleben bleibt, in den Duschen der Hotels
       versickert oder in Deutschland, Großbritannien oder anderen Ländern mit den
       Handtüchern in der 90-Grad-Wäsche landet, liegt zumindest zu Beginn dieses
       Jahres, wo er hingehört – am Meer. Außerdem bedeute der Menschenmangel eine
       Erholung für im Sand lebende, wirbellose Tiere und für Seevögel wie
       Sumpfläufer und Steinwälzer.
       
       Statt Reifenspuren von Lkws, die in anderen Jahren an den Strand von Es
       Trenc rollen, um nach dem Winter aufzuräumen und Bretter für die Kioske
       heranzukarren, lassen sich im weißen Sand lediglich Rillen vom Wind
       erkennen. Müll, den das Meer herangeschwemmt hat, liegt noch immer
       mancherorts herum, vor allem aber Neptungras – jede Menge Neptungras.
       
       Ich erinnere mich, wie ich vor einem Jahr Pau Vich Arrom vom Lernzentrum Es
       Palmer begleitete, das sich der Umwelterziehung von Mallorcas Nachwuchs
       annimmt. Mit einer Gruppe Erstklässler gingen wir an den Strand von Ses
       Covetes und blieben vor haufenweise schwarzem Gras stehen. „Ist das Müll?“,
       testete Vich die Schüler. Die meisten stimmten für Nein, und der Pädagoge
       gab ihnen recht. „Das ist Neptungras und für die Umwelt wichtig, dort leben
       Fische und Schnecken, und es schützt den Sand vor Wellen.“
       
       Das Neptungras wachse im Frühjahr und werde im Sommer mit steigender
       Wassertemperatur dunkler, bis die Blätter abstürben und im Herbst an den
       Strand trieben. „In den Augen der Touristen ist es Dreck und wird entfernt,
       damit der Sand weiß ist und das Meer türkisfarben wie auf den Postkarten“,
       klingen die Worte von Naturparkdirektorin Puich in meinen Ohren nach.
       
       ## Die Wasserqualität hat sich verbessert
       
       Während der Strandsäuberung beteuerte sie, dass sich die
       Naturparkverwaltung dafür einsetze, das Neptungras liegenzulassen, um der
       Stranderosion entgegenzuwirken, dass aber ein Interessenkonflikt mit Hotels
       und Restaurants bestünde. Nun, ein Jahr später, hat Corona in aller Ruhe
       Gras über die Sache wachsen lassen. Vorerst.
       
       Zertrampeltes Gestrüpp und Fußstapfen waren gestern – im Mai 2020 recken
       sich prächtig wuchernde Dünenpflanzen gen Himmel. Die Dünenlandschaft
       entfaltet sich hinter dem Strand von Es Trenc, vor menschlichen
       Eindringlingen nur durch eine schlappe Schnur geschützt. „Die Pflanzen in
       erster Reihe müssen Wind und Wellen standhalten und die beiden hinteren
       Dünenschichten schützen“, erklärte Vich seiner Schülergruppe.
       
       Ich denke an seine Worte, dass Touristen das größte Problem für die Dünen
       seien, die sie als Toilette oder Liebesnester missbrauchten. „Dadurch
       entstehen Pfade, wo der Wind freies Spiel hat und die Dünen abträgt.“
       Derzeit gibt es keine solcher Pfade mehr, es ist, als hätten nie Menschen
       an diesem Strand existiert. Der Wind und das Meer säuseln zu zweit um die
       Wette, niemand quatscht oder ruft ihnen dazwischen. Doch wie lange noch?
       
       Laut dem Ornithologen Sastre sollen bereits ab Juni die ersten Flieger
       Touristen auf die Insel bringen. „Dabei hatte sich die Wasserqualität
       gerade um einiges verbessert“, sagt er bedauernd und hat dabei sicher das
       karibische Türkis des Meeres von Es Trenc vor Augen, unter dessen
       schillernder Oberfläche sich der helle Meeresboden erkennen lässt. Bereits
       vor einem Jahr sah Sastre das Thema der Tourismusentwicklung auf Mallorca
       skeptisch: „Bevor der Tourismus einzog, war die Küste für uns wertlos,
       durch die Urlauber bekam sie Bedeutung, aber der Tourismus wurde schlecht
       geplant.“
       
       Strände wie Es Trenc würden im Sommer stets überrannt, und selbst der
       Agrotourismus verbrauche viele Ressourcen wie Wasser und Elektrizität. „Man
       sollte schon am Flughafen ein Limit an täglichen Flügen einführen und nicht
       immer mehr Hotels bauen. Wenn Mallorca so weitermacht, sind wir in 100
       Jahren erledigt!“ Ob die Erfahrung zu Beginn des Jahres 2020 ein
       langfristiges Umdenken mit sich bringen wird, lässt sich laut Sastre und
       Rodríguez noch längst nicht absehen.
       
       Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit ließen sich bereits 2019 erkennen,
       beginnend mit Mallorcas eigenem Nachwuchs, wie der von Vich zu
       Umweltproblemen sensibilisierten Schulklasse. Was manche Besucher gerne
       vergessen, bekommen mallorquinische Kinder von klein auf eingeimpft: „Schon
       Erstklässler lernen Materialien wie Plastik, Papier und Batterien kennen
       und deren Auswirkung auf die Umwelt“, verkündete Vich. Heute übersäen den
       Strand noch mehr tote Segelquallen als vor einem Jahr – kleine,
       transparente Flöße mit Segel.
       
       ## Strandsäuberung gegen Paella
       
       Die Kinder und ich hielten sie auf den ersten Blick für Plastik und wollten
       sie in Mülltüten verfrachten, doch Vich belehrte uns eines Besseren: „Nur,
       was die Menschen produzieren, ist schmutzig, was die Natur abgibt, kann
       bleiben.“ Wir lernten schnell: Schmutzig waren Plastikbecher mit arabischen
       Schriftzeichen, die wohl übers Meer aus Nordafrika angetrieben waren,
       sauber unter anderem auch pets de monja, Nonnenfürze – eiförmige, filzige
       Seebälle, die aus Seegras entstehen und der katalonischen Keksspezialität
       tatsächlich sehr ähneln.
       
       Ich denke daran, wie sehr sich Vich über den Eifer der Schüler freute, und
       dass er mir zuraunte: „Erwachsene beteiligen sich meistens nur an
       Strandsäuberungen, wenn es Paella gibt.“
       
       Das haben die erwachsenen Mallorquiner vermutlich mit vielen Touristen
       gemein. Dabei könnten auch die, wenn die Flugzeuge denn wieder fliegen,
       etwas für ihre Lieblingsinsel tun: „Jeder Urlauber kann einen Beitrag zum
       Naturschutz leisten, indem er die Absperrungen respektiert und sich einfach
       mal eine Mülltüte schnappt, um etwas Müll am Strand und in den Dünen
       aufzusuchen“, gab mir Rodríguez schon vor einem Jahr mit auf den Weg.
       Außerdem wollte man neue Informationsschilder aufstellen und verdeutlichen,
       dass Es Trenc ein Naturschutzgebiet sei.
       
       Wahrscheinlich müssen auch 2020 wieder sogenannte Naturagenten früher oder
       später nach dem Rechten schauen und beim Dünenliegen oder Dronenflug
       ertappte Urlauber verwarnen. Die Parkplätze in Strandnähe wolle man im
       Vergleich zu 2019 ebenfalls weiter reduzieren, damit die Touristen
       Shuttlebusse statt des Mietwagens nähmen. Außerdem sei die Einrichtung
       eines Vogelbeobachtungspunkts und eines Informationszentrums zum Naturpark
       Es Trenc geplant, wo sich Urlauber über Flora und Fauna informieren
       könnten.
       
       ## Eine Welt fernab der Massen
       
       Es Trenc-Salobrar de Campos gilt als eines der ökologisch wichtigsten
       Küstengebiete Mallorcas, doch es dauerte lange, bis aus dem 1984
       deklarierten „Naturgebiet von besonderem Interesse“ ein Naturpark wurde.
       „Wir sollten der erste Naturpark Mallorcas sein, wurden aber der letzte –
       nach 25 Jahren Kampf“, so Direktorin Puich. Sowohl heimische
       Wissenschaftler und Naturschützer als auch Touristen, darunter Deutsche,
       hätten sich dafür eingesetzt.
       
       Wenn es jemals eine Chance gibt, den Naturpark Es Trenc mit seinen
       gefiederten Bewohnern und Besuchern durch Vicens Sastres Augen
       kennenzulernen, dann ist es am Ende des Frühlings 2020. Schon zuvor waren
       es Naturliebhaber wie er, die Besucher zu seltenen Gelegenheiten tief in
       die Natur des Parks führten, der kein klassischer Naturpark mit Wegen durch
       die Landschaft ist.
       
       Sein Großteil besteht nämlich aus privaten Ackerflächen und
       Viehzuchtbetrieben, doch er hat ein Herzstück: den Salobrar de Campos, ein
       großes Feuchtgebiet hinterm Sanddünenwall mit salzhaltigen Seen, Teichen
       und Sümpfen, wo der Normaltourist nicht hinkommt. Diese Welt fernab der
       Massen ist Sastres.
       
       „Die Salzseen ziehen viele heimische und Zugvögel an.“ An die 170 Arten
       habe man gesichtet, darunter Kormorane, die sich stets mit
       exhibitionistisch ausgebreiteten Flügeln zeigen. Auch Stockenten gehören zu
       den Hauptbewohnern des Feuchtgebietes, ebenso wie Jungadler, Fischadler und
       Flamingos, die zwischen September und April, teilweise aber auch den Sommer
       über im Naturpark bleiben.
       
       ## Kompensation des Massentourismus
       
       Ich denke daran, wie ich vor einem Jahr unbedingt Flamingos sehen wollte,
       die ebenfalls heimisch im Park sind. Im Winter 2019 wurden an die 425 im
       Naturpark gesichtet, und man versuchte gemeinsam mit einer
       Naturschutzorganisation, künstliche Nester zu schaffen, um die Vögel zum
       Bleiben zu bewegen. Doch die pinken Langbeiner hatten absolut keine Lust
       darauf.
       
       Und jetzt? Das weiß noch niemand. Weil die Menschen ausnahmsweise mal
       weggesperrt waren und gerade erst wieder hervorkriechen. Doch bald werden
       sie wieder Gast der Natur sein. Brav die am 1. Juli 2016 auf Mallorca
       eingeführte Touristen-Ökosteuer zahlen, die als wichtige Maßnahme im
       Ausgleich zu den Auswirkungen des Massentourismus eingeführt wurde und
       unter anderem in Projekte wie den Dünenschutz im Naturpark Es Trenc fließt.
       
       Orte, wo die Natur auch nach Corona wieder großzügig für die Menschen
       zugänglich ist. Ob sich die Hoffnung vieler Naturschützer erfüllen kann,
       dass manch einer dieser Natur nach der Krise von 2020 künftig auch ohne
       Warntafeln und Absperrungen und Ordnungshüter endlich ein wenig mehr
       Respekt entgegenbringt?
       
       14 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernadette Olderdissen
       
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