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       # taz.de -- Panne beim Verfassungsschutz: Den Falschen ausspioniert
       
       > Die Vizepräsidentin des niedersächsischen Verfassungsschutzes muss nach
       > einer Verwechselung gehen. Es ist nicht der erste Fehler dieser Art.
       
   IMG Bild: Niedersachsens Verfassungsschutz-Chef Bernhard Witthaut räumte Fehler ein, ohne Details zu nennen
       
       Hannover taz | Am Wochenende sickerte durch, dass der niedersächsische
       Verfassungsschutz offenbar einen unbescholtenen Bürger überwacht hat – weil
       er ihn mit einem Rechtsradikalen verwechselt hat. Der Mann soll über einen
       längeren Zeitraum abgehört worden sein, [1][berichtete zuerst der NDR].
       Schuld war offenbar eine fehlerhafte Datenübermittlung durch eine andere
       Behörde.
       
       Die Angaben zu dem Fall sind allerdings wie immer bei dieser Behörde
       dürftig und werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Unklar bleibt
       beispielsweise, ob es um eine Namensverwechselung ging, wie lange der
       Betreffende belauscht wurde und warum der Fehler erst so spät auffiel.
       
       Er könne und wolle sich zu Details nicht äußern, teilte
       Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut mit. Man sei dabei, den Fall
       intern aufzuarbeiten, die vorgeschriebenen Arbeitsabläufe würden in allen
       Abteilungen überprüft. Er selbst sei auch erst Wochen später informiert
       worden und habe dann umgehend das parlamentarische Kontrollgremium in einer
       Sondersitzung unterrichtet. Für diese Verzögerung wird die Vize-Präsidentin
       Martina Schaffer verantwortlich gemacht, die nun gehen musste.
       
       Diese Art von Fehler hat beim niedersächsischen Verfassungsschutz Tradition
       und die letzten Personalwechsel an der Spitze der Behörde haben daran nicht
       viel geändert.
       
       „Das ist nur ein weiterer Vorfall in einer ganzen Serie von Pannen beim
       niedersächsischen Verfassungsschutz. Es reicht daher nicht aus, immer nur
       von bedauerlichen Fehlern einzelner Mitarbeiter zu sprechen“, ätzt
       folgerichtig Stefan Birkner (FDP) für die Opposition. „Es ist die
       politische Verantwortung von Minister Pistorius, die Strukturen
       systematisch zu verbessern. Das ist ihm offensichtlich in der Vergangenheit
       nicht gelungen und auch jetzt taucht er wieder lieber ab, als zu handeln.“
       
       Eine peinliche Namensverwechselung hatte es 2013 schon einmal gegeben.
       Damals informierte der Verfassungsschutz den Sportjournalisten Ronny
       Blaschke, er sei unrechtmäßig beobachtet worden. Später stellte sich dann
       heraus, dass man ihn mit Ronald Blaschke, dem Mitarbeiter der
       Linken-Politikerin Katja Kipping, verwechselt hatte.
       
       Diese peinliche Posse war allerdings nur ein Ausläufer einer viel größeren
       Affäre. Unter der CDU-FDP-Regierung und ihrem Innenminister Uwe Schünemann
       (CDU) waren gleich reihenweise Journalist:innen ausspioniert worden, die
       über die rechte Szene oder auch über Atommüllproteste berichteten – und
       deshalb des Linksextremismus verdächtigt wurden. Darunter auch taz-Autorin
       Andrea Röpcke.
       
       Nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün versuchte der gegenwärtige
       Innenminister Boris Pistorius (SPD) einen Neuanfang. Mit Maren
       Brandenburger berief er die erste Frau in das Amt der
       Verfassungsschutzpräsidentin. Brandenburger hatte dem Verfassungsschutz
       zuvor zehn Jahre als Pressesprecherin gedient. Im Gegensatz zu ihren
       Vorgängern war sie Politologin, keine Juristin und kam nicht aus dem
       Polizeiapparat. Sie sollte für mehr Transparenz sorgen und den Fokus
       stärker auf Rechtsextremismus und Islamismus richten.
       
       Fünf Jahre hielt sie sich auf dem Schleudersitz, ihre Vorgänger waren
       bereits nach drei beziehungsweise zwei Jahren weggelobt worden. 2018
       stolperte Brandenburger dann über die sogenannte V-Mann-Affäre. Damals
       enttarnte die Behörde versehentlich selbst einen V-Mann in der linken Szene
       Göttingens. Man hatte bei einem Auskunftsersuchen die Unterlagen für das
       Gericht nicht sorgfältig genug geschwärzt.
       
       Brandenburger soll damals freiwillig die Verantwortung übernommen haben und
       auf einen schlechter bezahlten Posten im Sozialministerium gewechselt sein.
       Allerdings hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch das politische Klima in
       Niedersachsen geändert: Die Große Koalition regierte seit 2017.
       
       Auch die jetzt geschasste Martina Schaffer, schon damals unter
       Brandenburger Vize-Präsidentin, stand 2018 vorübergehend mit auf der
       Abschussliste, blieb dann aber doch im Amt.
       
       Rücktrittsforderungen gegen sie hatte es auch 2017 schon einmal gegeben:
       Damals wurde klar, dass sie die Beobachtung von Safia S. hatte einstellen
       lassen – jener 15-jährigen Salafistin, die kurze Zeit später im
       Hauptbahnhof in Hannover einen Polizisten niederstach. Im Vergleich dazu
       wirkt der aktuelle Fall eher wie eine Petitesse – was den Verdacht
       verstärkt, es könnte sich um ein politisches Bauernopfer handeln.
       
       Die Grünen nutzten die Gelegenheit ihre alte Forderung nach einer stärkeren
       parlamentarischen Kontrolle und einer aktiven Innenrevision für den
       Verfassungsschutz zu erneuern. „Gerade bei Grundrechtseingriffen braucht es
       immer ein Mehr-Augen-Prinzip. Ob das hier eingehalten worden ist, ist
       zumindest fraglich“, sagte Helge Limburg, parlamentarischer Geschäftsführer
       und Sprecher für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes der Grünen im
       Landtag.
       
       Auch mit den Betroffenen müsse man anders umgehen, forderte er – denkbar
       wäre zum Beispiel ein Schmerzensgeld. „Mit einer einfachen Entschuldigung
       ist es nicht getan“, sagt Limburg.
       
       Allerdings ist im aktuellen Fall nicht einmal klar, ob der Betroffene
       überhaupt von der Verwechslung erfährt und somit Ansprüche erheben kann.
       Medienberichte zufolge will der Verfassungsschutz die Daten lieber einfach
       so löschen – weil er sonst Rückschlüsse auf aktuelle Einsätze fürchtet.
       
       16 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weser-leinegebiet/Verfassungsschutz-Panne-Ablaeufe-werden-geprueft,verfassungsschutz702.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Conti
       
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