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       # taz.de -- US-Kulturinstitutionen in der Kritik: Wut nach Solidaritätsadressen
       
       > New Yorker Kulturinstitutionen wollen Antirassismus-Proteste unterstützen
       > – und erhalten daraufhin wütende Anklagen.
       
   IMG Bild: Künstlerin Greta McClain hat dieses Wandgemälde von George Floyd in Minneapolis gestaltet
       
       Der Schwarze Kunstkritiker und Autor Antwaun Sargent musste am 3. Juni auf
       Twitter etwas loswerden. Er hat dafür ein quadratisches
       Fünf-Sekunden-Filmchen produziert. Es zeigt eine Google-Suchmaske, in der
       sich nach und nach der Satz „Wie kann ich Kunst von Schwarzen
       unterstützen?“ vervollständigt.
       
       Sargents Kommentar dazu: Die gesamte Kunstwelt scheint gerade diese Frage
       zu googeln. Er muss gar nicht sagen, dass er die Weiße Kunstwelt meint. Der
       Tweet bringt auch so das ganze Dilemma auf den Punkt, in dem sich die New
       Yorker Kulturszene gerade – nicht ganz überraschend – wiederfindet.
       
       Nachdem am 25. Mai der Afroamerikaner George Floyd Opfer brutaler weißer
       Polizeigewalt wurde, gehen seit Wochen [1][Hunderttausende Menschen in den
       USA auf die Straßen]. Sie haben den strukturellen Rassismus satt, der in
       ihrem Land an der Tagesordnung ist.
       
       Die meisten New Yorker Kulturinstitutionen solidarisieren sich mit den
       Protestierenden. Sie posten Unterstützungserklärungen in den sozialen
       Medien oder öffnen die Türen zu ihren wegen der Coronakrise geschlossenen
       Eingangshallen für Demonstranten, damit die dort die Toiletten benutzen
       können. Was sie aber dafür ernten, sind wütende Anklagen.
       
       Die Diversität, mit der sich New York so gerne schmückt, ist weder in den
       Museen und Galerien noch in den Theater-, Konzert-, Opern- und
       Verlagshäusern der Stadt angekommen. Zwei Drittel der New Yorker sind
       People of Color. Aber die Musentempel der Stadt werden zu 70 Prozent von
       Weißen geleitet, zeigt eine Studie aus dem Jahr 2019.
       
       ## Könntet ihr bitte alle damit aufhören?
       
       Viele Schwarze Künstler empfinden deshalb die Solidaritäts-Posts aus den
       Kulturinstitutionen als heuchlerisch. Kritiker Antwaun Sargent fragt in
       einem weiteren Tweet, ob für die Museen, „die jetzt ‚black lives matter‘
       posten“, diese „black lives“ in ihren „kuratorischen Teams, ihren
       Vorständen, ihren Kollektionen oder Ausstellungen genauso zählen“.
       
       Das Metropolitan Museum ist ein Beispiel dafür, wie gedankenlos einige
       Institutionen vorgehen. Sein Direktor, der Österreicher Max Hollein, hatte
       sein Solidaritätsschreiben mit einem Werk des Schwarzen Konzeptkünstlers
       Glenn Ligon geschmückt. Es trägt den Titel: „Untitled: Four Etchings“ und
       thematisiert die fehlende Sicht- und Hörbarkeit von Schwarzen in der
       US-amerikanischen Gesellschaft.
       
       Daran, sich das Einverständnis von Ligon zu holen, hatte Hollein offenbar
       nicht gedacht. Auf Instagram wütet Ligon: Er wisse, dass gerade
       „#nationalreachouttoblackfolksweek“ sei, aber „könntet ihr bitte alle damit
       aufhören? Oder wenigsten erst fragen? Oder euch entschuldigen, wenn ihre es
       verkackt?“
       
       Oder die Metropolitan Opera. Über ihren Account wurde dieser Tweet
       veröffentlicht: In der Kunst sei „kein Platz für Rassismus“. Die Antwort
       der Twittergemeinde: Bis jetzt sei keine einzige Oper von einem oder einer
       Schwarzen Komponist*in an der Met aufgeführt worden. Was zutrifft. Für die
       kommende Saison 2020/21 ist geplant, „Fire shut up in my bones“ von Terence
       Blanchard auf die Bühne zu bringen. 136 Jahre nach Gründung der Met wäre es
       das erste Stück eines Schwarzen Komponisten, das hier gespielt wird.
       
       Weiter geht es mit dem Guggenheim Museum. In einem Post des Museums auf
       Instagram heißt es, das Museum sei solidarisch mit denen, die
       „Gerechtigkeit und das Ende des Rassismus fordern“. Die Schwarze Kuratorin
       Chaédria LaBouvier reagiert mit Wut. „Haut verdammt noch mal ab hier“,
       twittert sie. Dabei hat sie im vergangenen Jahr die Guggenheim-Ausstellung
       „Basquiat’s ‚Defacement‘: The Untold Story“ kuratiert. Als erste Schwarze
       Kuratorin in der 80-jährigen Geschichte des Museums.
       
       In einem langen Thread beschreibt sie allerdings, dass die Museumsleitung
       sie in dieser Zeit zutiefst rassistisch behandelt habe. Sie wurde zum
       Beispiel für das Podiumsgespräch zu der von ihr kuratierten Ausstellung
       nicht als Diskutantin eingeladen.
       
       Am vergangenen Dienstag veröffentlichten über 300 Schwarze, indigene und
       People-of-Color-Theatermacher unter dem Titel „Wir sehen dich“ einen
       offenen Protestbrief an das weiße amerikanische Theater. Unter ihnen sind
       mehrere Pulitzer-Preis- und Tony-Award-Gewinner, die renommiertesten
       Auszeichnungen, die es für US-amerikanische Theatermacher zu gewinnen gibt.
       
       Zu lange, schreiben sie, hätten sie dabei zugesehen, wie weiße
       amerikanische Theater „ein Stück nach dem anderen ins Programm nehmen“, das
       von weißen Theatermachern „geschrieben, inszeniert, gecastet,
       choreografiert, entworfen, gespielt, dramaturgisch betreut und produziert
       worden ist“. Das amerikanische Theater sei „ein Kartenhaus“, das auf
       „weißer Vorherrschaft“ aufgebaut sei. Es sei ein Haus, „das nicht stehen
       bleiben wird“.
       
       Das passt zu Daten, die es aus den US-Verlagen gibt. Ein Studie aus dem
       Jahr 2019 zeigt: 76 Prozent der Verlagsmitarbeiter sind Weiße. Das hat auch
       Folgen für die Bezahlung der Autor*innen. Die junge Schwarze
       Schriftstellerin L. L. McKinney postete Anfang Juni auf Twitter die Aktion
       #PublishingPaidMe. Weiße und Schwarze Autor*innen sollten unter diesem
       Hashtag die Vorauszahlungen öffentlich machen, die sie für bisher nicht
       publizierte Bücher erhalten haben.
       
       Das Ergebnis war so erwartbar wie niederschmetternd. Die mit dem National
       Book Award preisgekrönte Schwarze Schriftstellerin Jesmyn Ward musste darum
       kämpfen, eine 100.000-Dollar-Vorauszahlung zu bekommen. Weiße Autoren
       bekommen schnell auch ohne Auszeichnung ein Vielfaches.
       
       ## Von reichen weißen Männern finanziert
       
       Ein großes Problem ist, dass die New Yorker Kulturinstitutionen zu
       bedeutenden Teilen von reichen weißen Männern finanziert werden, die im
       Gegenzug mit prestigeträchtigen und mächtigen Vorstandsposten bedacht
       werden. Was seit einiger Zeit auf lauter werdende Kritik stößt.
       
       Das Whitney Museum etwa sah sich im Frühjahr 2019 mit monatelangen
       Protesten gegen sein Vorstandsmitglied Warren B. Kander konfrontiert, bis
       dieser schließlich zurücktrat. Ihm wurde vorgeworfen, sein Vermögen unter
       anderem mit Tränengas gemacht zu haben. Das Gas seine Unternehmens
       Safariland wurde gegen Migranten an der Südgrenze der USA zu Mexiko
       eingesetzt. Und auch jetzt wurde mit „Safariland“-Gas gegen Demonstranten
       in den landesweiten George-Floyd-Protesten vorgegangen.
       
       Die vielstimmige Wucht der jetzigen Proteste aber ist neu. Sie zieht sich
       über alle Kunstsparten hinweg. Viele Institutionen hat das kalt erwischt.
       Sie reagieren mit Entschuldigungen und Besserungsversprechen. Adam
       Weinberg, Direktor des Whitney Museum, schreibt auf Instagram, dass das
       Whitney in den vergangenen fünf Jahren „Fehler gemacht“ habe. Das
       Metropolitan Museum schreibt, dass es noch „viel Arbeit“ vor sich habe.
       Chris Anagnos, Direktor der Association of Art Museums Directors, gesteht
       ein, dass Museen „priviligierte Orte“ seien. Um zu „Museen für jedermann“
       zu werden, müssten die Strukturen, die sie zu diesen Orten gemacht haben,
       untersucht und abgebaut werden.
       
       Wer tatsächlich „Wie kann ich Kunst von Schwarzen unterstützen?“ in die
       Google-Suchmaske eingibt, findet als ersten Eintrag eine Liste mit
       Organisationen, die Schwarze Künstler unterstützen und an die jeder spenden
       kann. Das geht auch, wenn nicht gerade landesweit protestiert wird.
       
       15 Jun 2020
       
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