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       # taz.de -- EU-Programm gegen Corona-Krise: Madame Flexible
       
       > 2008 wollte Kanzlerin Angela Merkel keine Schulden in der EU. Jetzt ist
       > das anders. Die Rolle Deutschlands hat sich mit der Coronakrise
       > verändert.
       
   IMG Bild: Heimst stets die Lorbeeren anderer ein: Kanzlerin Angela Merkel
       
       Angela Merkel macht, was SpitzenpolitikerInnen in Europa-Debatten fast
       immer tun: Sie zieht den historischen Bogen und zitiert das Pathos des
       Anfangs. Nach 1945, „der Katastrophe der Schoa und des
       Vernichtungskrieges“, sei Europa als Antwort entstanden, um nie wieder „dem
       rassistischen Wahn“ zu verfallen. Das ist ein eingeübter Refrain, mit einer
       kleinen Abweichung. Die Erwähnung des Vernichtungskriegs im Osten ist eher
       unüblich.
       
       Die Kanzlerin sagt überhaupt viel Richtiges. Sie redet viel von der
       Solidarität, die in der Pandemie nötig sei, und vom Klimaschutz, den es
       energischer anzugehen gilt: Schon 2030 soll in der EU weniger CO2
       ausgestoßen und dies vertraglich fixiert werden.
       
       Merkel zeigt sich in Maßen auch selbstkritisch. „Unsere Reflexe auf die
       Pandemie waren eher national. Das war vor allem unvernünftig.“ Der
       Schlüsselsatz lautet, die EU müsse die Krise gemeinschaftlich lösen.
       
       Am Freitag wird beim EU-Gipfel über die Pandemie-Hilfe beraten. [1][Merkel
       und Macron wollen ein 500-Milliarden-Euro-Programm], [2][von der Leyen
       möchte ein 750-Milliarden-Paket]. Eine Einigung, so Merkel, werde es
       frühestens beim nächsten EU-Gipfel geben, wenn man sich wieder ohne
       Videokonferenz treffe.
       
       Viel ist noch unklar. Vor allem [3][die Niederlande leisten hartnäckig
       Widerstand gegen Schulden in der EU]. In ein paar Tagen beginnt die
       deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Viel Bedeutung also.
       
       Die Rolle Deutschlands hat sich verändert. Berlin ist nicht mehr, wie nach
       2008, Flagschiff der Neinsager, die bloß kein EU-Geld für ärmere Länder
       lockermachen wollen. Damals hatte Merkel beteuert es werde keine
       EU-Schulden, für die Deutschland insgesamt haftet, geben, so lange sie
       lebe. Jetzt ist Deutschland die Macht, die den Kompromiss stiften kann.
       
       Wir müssen einen „dauerhafter Spalt in Europa“ verhindern, sagt sie. Die
       Rechtspopulisten würden ja „nur darauf warten, die Krisen auszunutzen“. Das
       ist ein Argument, das die Linke in der Eurokrise stets vorbrachte, als
       Merkel noch die kopfschüttelnde Madame Non gab.
       
       Ohne Initiative aus Paris gäbe es nun den Halbe-Billion-Euro-Vorschlag von
       Macron und Merkel nicht. Merkel hat Talent und viel Erfahrung darin, so
       tun, als wäre sie schon immer dafür gewesen – obwohl man sie zum Jagen
       tragen musste.
       
       ## Merkel heimst wieder das Lob ein
       
       Martin Schulz (SPD) lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen, die
       Bruchlinien im Bild der Kanzlerin aufzuzeigen. Zu Beginn der Pandemie habe
       Europa den Eindruck gehabt, Deutschland werde keine Euro lockermachen. „Das
       war ein kommunikatives Desaster“, so Schulz, der, was das angeht, über
       gewisse eigenen Erfahrungen verfügt.
       
       Das Copyright auf den Macron-Merkel-Vorschlag, der die Schockstarre der EU
       auflöste, gehöre zudem SPD-Finanzminister Olaf Scholz. Das ist richtig,
       wird der SPD allerdings wie immer nichts nutzen. Die Erfolge zahlen bei
       Merkel ein. Schulz nennt die Nein-Fraktion aus Österreich, Schweden,
       Niederlande, Dänemark „Reichstums-Separatisten“. Das ist moralisch
       verständlich. Klüger wäre es aber, Keile in diese Front zu treiben, anstatt
       sie zu betonieren.
       
       Zu den Erstaunlichkeiten der Pandemie gehört, dass die Unionsfraktion, die
       in weiten Teilen noch vor drei Monaten Sätze, in denen EU und Schulden
       vorkamen, für Teufelszeug hielten, scheinbar widerstandslos dem neuen Kurs
       folgt. Der CDU-Finanzpolitiker Eckhart Rehberg forderte zwar, dass alle
       Schulden zurückgezahlt werden, und Konditionalität. Will sagen: Berlin will
       kontrollieren, was in Spanien und Italien mit dem Geld passiert.
       
       So wird es kaum kommen. In der Union mäkeln manche an Macrons/Merkels und
       von der Leyens großformatigen Plänen herum. Aber das sind eher
       Rückzugsgefechte, rhetorische Versuche, den geräumten Platz als
       Sparkommissar nicht einfach so FDP und AfD zu überlassen.
       
       ## Verhuschte Opposition
       
       Eine Alternative haben auch die Skeptiker in der Union nicht. Die Industrie
       ist exportabhängig, Zwei Drittel gehen in die EU. Zusammenbrechende Märkte
       in der EU sind ein Desaster für Deutschland.
       
       Die Opposition wirkt in der Debatte überraschungsarm. AfD-Fraktionschefin
       Alice Weidel versuchte die Angst zu schüren, Habenichtse aus dem Süden
       würden deutschen Steuerzahler ausplündern. Weidel fordert, den EU-Haushalt
       zu kürzen. Das ist in der Krise ein Aufruf zum ökonomischen Selbstmord aus
       nationalistischer Verblendung.
       
       Amira Mohammed Ali, Chefin der Linksfraktion, wiederholte routiniert die
       üblichen Forderung der Linken wie Reichenabgabe, ohne mit einem Wort auf
       die neue deutsche Rolle in der EU einzugehen.
       
       Die Führerschaft in der Opposition können in der EU-Debatte am ehesten die
       Grünen für sich beanspruchen. Ihre Fraktionschefin Kathrin Göring-Eckhard
       mahnte entschlossenen Klimaschutz an und erinnerte für Vergessliche an
       einen wesentlichen Punkt. Wieso, fragt die Grüne, habe es eigentlich „drei
       Jahre und eine Pandemie gedauert“, bis Merkel endlich mal einen Vorschlag
       aus Paris aufgenommen habe.
       
       18 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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