# taz.de -- Konsumkritik und CO₂-Kompensation: Nicht gut, aber ein Anfang
> CO₂ zu kompensieren ist besser als nichts und beruhigt das Gewissen. Aber
> warum nur beim Fliegen? Es könnte Vorbild für andere Ökosünden sein.
IMG Bild: Fly me to the moon … „Klima-Ablasshandel“ – Heilmittel gegen das schlechte Gewissen?
Alle Jahre wieder, kurz vor Weihnachten, ist mein schlechtes Gewissen
garantiert: Klimakonferenz, meist irgendwo weit weg, und im Zweifel steige
ich ins Flugzeug. Das schlechte Gewissen, das sich neben mir auf dem
Economy-Sitz breitmacht, knebele ich mit folgenden Überlegungen: Jemand
muss von den Konferenzen berichten, sonst schaffen die da noch weniger.
Privat fliege ich kaum. Und: Ich zahle ja eine Kompensation. Übrigens
privat, nicht auf Kosten der taz.
Beim „Kompensieren“ über Anbieter wie „[1][myClimate]“ oder
„[2][Atmosfair]“ werden Projekte finanziert, die anderswo CO2 in der Höhe
vermeiden, wie ich sie anteilig durch meinen Flug erzeuge. Konkret: Einmal
Lima zur COP 24 im Jahr 2014: 6,1 Tonnen CO2, 142 Euro. Manche nennen das
„Klima-Ablasshandel“. Soll heißen: Das funktioniert wie die Praxis der
katholischen Kirche im Mittelalter, den Menschen ihre Sünden gegen Geld zu
vergeben. Wer genug Geld hatte, konnte fröhlich weitersündigen.
Bei mir klappt das nicht. Ein gutes Gewissen stellt sich nicht ein, wenn
ich aus dem Kabinenfenster die Turbinen sehe und an das verbrannte Kerosin
denke. Ich weiß auch: Nicht alle Anbieter sind so seriös wie meine Auswahl,
deren Arbeit überprüft wird. Heute pflanzt ja noch der letzte Onlineshop
irgendwo Bäume, um sein Paket „klimaneutral“ zu nennen. Atmosfair nicht, da
fließt das Geld etwa in Biogasanlagen in Afrika, um CO2 zu vermeiden und
den Menschen vor Ort ein besseres Leben zu garantieren.
Alle Kompensationen haben ihre Probleme: Erst einmal ist mein CO2 in der
Luft – bis ein neuer Ofen oder ein Baum über seine Lebenszeit so viel
Treibhausgase bindet, wie ich in 12 Stunden ausstoße, war ich schon bei
Dutzenden anderen Konferenzen. Der Baum kann gefällt werden, der Ofen kann
kaputtgehen. Das Geld kann irgendwo versacken. Die Strukturen, die die
Emissionen verursachen, ändern sich nicht.
## Kompensieren ist besser als nichts
Nur reiche Menschen, weltweit höchstens 10 Prozent der Weltbevölkerung,
gönnen sich den Luxus, die Atmosphäre durch Fliegen zu versauen und durch
das Bezahlen dafür ein bisschen weniger zu schädigen. Dadurch greift ein
Denken um sich, man könne auch den Umweltsch(m)utz ökonomisieren: Wenn es
was kostet, verschwindet das Problem, lautet diese Scheinlösung.
Und trotzdem bin ich für das Kompensieren. Erst einmal ist es besser als
nichts. Zweitens setzt es das Prinzip um, dass der Verursacher von
(Umwelt-)Schäden sie wieder ausgleichen soll – zumindest ein bisschen.
Drittens macht es latent ein schlechtes Gewissen, was bei anderen
Entscheidungen (SUV oder E-Mobil) helfen kann. Es bringt zumindest ein
bisschen Geld in Regionen und Projekte, die es nötig haben.
Vor allem aber kann hier das Fliegen zum Vorbild werden. Wir sollten uns
daran gewöhnen, auch andere Ökosünden auszugleichen. Wer mit seinem
Straßenpanzer 20.000 Kilometer im Jahr fährt, sollte sich auf eine saftige
Rechnung gefasst machen. Denn diese Schäden werden keineswegs durch Steuern
ausgeglichen, die er zahlt. Wer Fleisch isst, wer im Garten Heizpilze
entzündet, wer immer noch keinen Ökostrom bezieht – kommt alles auf die
Rechnung. Wenn wir denken, alles sei eine Frage des Geldes, dann bitte
konsequent. Mal sehen, wie grün uns der Geldbeutel machen kann. Wenn das
Kompensieren beim Fliegen dafür ein Anfang ist, kann auch ein schlechtes
Gewissen Gutes bewirken.
19 Jun 2020
## LINKS
DIR [1] https://de.myclimate.org/de/
DIR [2] https://www.atmosfair.de/de/
## AUTOREN
DIR Bernhard Pötter
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