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       # taz.de -- Fische aus norddeutschen Gewässern: Quecksilber im Körper
       
       > Der Zustand vieler Gewässer im Norden ist schlecht, das reduziert den
       > Fischbestand. Und es ist fraglich, wie viel Flussfisch man überhaupt
       > essen sollte.
       
   IMG Bild: Zu wenig Gewässerschutz: Der Würmsee bei Hannover im Juli 2019
       
       Neumünster taz | Rund 50 Fischarten, von Aal bis Zander, leben in den
       Gewässern Norddeutschlands. Dazu kommen die Neunaugen, die biologisch keine
       Fische sind und extra gezählt werden. Hamburgs Fisch-Atlas nennt sogar 57
       Arten, darunter allerdings einige, die nur als Elbwanderer oder
       Nordseegäste kurz in die Gewässer der Stadt eintauchen, und andere, die
       ausgestorben sind.
       
       [1][Einen Artenschwund verzeichnen alle Nord-Länder]: Seit Langem schwimmt
       kein Stör mehr in der Stör. Dabei sollten eigentlich bis 2015 alle Gewässer
       in einem guten ökologischen Zustand sein, so verlangt es die Europäische
       Wasserrahmenrichtlinie.
       
       Tatsächlich aber geht es vielen Flüssen und Bächen schlechter als
       gefordert. Laut dem Ideal der Wasserrahmenrichtlinie sollte ein Bach so
       dahinplätschern, wie die Natur ihn einstmals geformt hatte. Diese Idee
       scheitert in Norddeutschland bereits daran, dass vieles, was aussieht wie
       ein Bach, gar nicht natürlich ist. So bestehen die 30.000 Kilometer an
       Fließgewässer, die es allein in Schleswig-Holstein gibt, zu einem Großteil
       aus einem „anthropogenen Entwässerungssystem“, wie es das Landesamt für
       Natur und Umwelt in einem Bericht nennt. Gemeint sind die zahllosen Gräben,
       die der Entwässerung der Felder dienen.
       
       Die Gründe für den Artenschwund sind vielfältig. Nicht nur Begradigungen
       und Baggerarbeiten an den großen Strömen lassen Lebensräume verschwinden,
       sondern bereits das Abmähen von Grabenrändern. Wenn sich durch den
       Klimawandel das Wasser erwärmt, wachsen mehr Algen, die auf dem
       Gewässergrund von Bakterien zersetzt werden, die Sauerstoff verbrauchen,
       der den Fischen fehlt. Sie ersticken unter Wasser.
       
       ## Stumme Katastrophe
       
       150 Kilo verendeter Fische kippten Mitglieder von Hamburger
       Umweltschutzgruppen im Juni 2019 der Wirtschaftsbehörde vor die Tür, um auf
       die stumme Katastrophe in der Elbe hinzuweisen. Trotz der in warmen
       Perioden auftretenden „Sauerstofflöcher“ hat sich zumindest in der Elbe die
       Lage in den vergangenen 30 Jahren verbessert. Es gibt mehr zu- als
       abnehmende Bestände und auch deren Gefährdung hat abgenommen. Zugleich ist
       ein neues erschreckendes Phänomen aufgetreten: Die Population des Stints,
       eines kleinen Fisches an der Basis der Nahrungskette, ist kollabiert.
       
       Ein Problem sind auch die Schadstoffe, die sich erst im Wasser und dann in
       den Fischen sammeln: chlorierte Kohlenwasserstoffe, Schwermetalle und
       Hormone, zählt Linda Kahl auf, Referentin für den Bereich Tideelbe beim
       BUND Hamburg. Quecksilber – das unter anderem aus Kohlekraftwerken stammt –
       ist in allen Gewässern so flächendeckend verbreitet, dass im aktuellen
       Elbe-Bewirtschaftungsplan „der chemische Zustand der Gewässer ohne
       Quecksilber betrachtet“ wird, damit sich Veränderungen überhaupt
       feststellen lassen. Quecksilber reichert sich an, sowohl im Fisch als auch
       im Menschen, daher warnt BUND-Expertin Kahl vor dem Verzehr zu vieler
       Elbfische.
       
       „Wenn die Fische sterben, bricht die Nahrungskette zusammen, das ist für
       Gewässer verheerend“, sagt Carsten Pusch, Fischfachmann des Nabu in
       Schleswig-Holstein. Besonders kleine Seen kippten schnell um – es fehlt
       dann der Sauerstoff. Um gegenzusteuern versuche der Naturschutz,
       Grundstücke an den Zu- und Abflüssen zu kaufen und zu renaturieren.
       Manchmal reiche das, um ein Gewässer zu retten, sagt Pusch.
       
       Doch die großen Probleme bleiben: Von den umliegenden Feldern werden mit
       Antibiotika belastete Gülle und Pestizide in die Gräben gespült. Auch aus
       Kläranlagen entweichen unfiltrierbare Giftstoffe, etwa aus den Rückständen
       von Medikamenten. „Man ist nicht so weit, wie man gern wäre“, bedauert
       Pusch.
       
       Die Wasserrahmenrichtlinie gebietet, alle Fließgewässer in den Blick zu
       nehmen und auf jeden Fall eine Verschlechterung zu vermeiden – faktisch
       aber konzentrierten sich die Maßnahmen in den vergangenen 20 Jahren auf
       größere Flüsse, sogenannte Vorranggewässer. Beliebt sind etwa Fischtreppen:
       „Das plätschert schön, man kann eine Kordel durchschneiden“, sagt Pusch.
       
       Andererseits seien durch die Richtlinie viele lokale Bündnisse entstanden,
       in denen Anlieger, Landwirtschaft, Politik und Naturschutz gemeinsam
       versuchten, die Konflikte zu lösen und die Lage der Gewässer und damit der
       Fische zu verbessern.
       
       8 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Warum-der-Oeko-Kollaps-droht/!5593118
       
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