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       # taz.de -- Corona-Pandemie in Spanien: Verdacht auf Triage in Altersheimen
       
       > Dokumente sollen belegen: In der Region Madrid wurden nur bestimmte
       > Senioren mit Covid-19 in Kliniken verlegt. Die Zuständigen sind in der
       > Defensive.
       
   IMG Bild: Als es am schlimmsten war: Nonnen in einem katholischen Altersheim in Madrid Ende April
       
       MADRID taz | „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr
       sowieso tot wären“, erklärte Boris Palmer mitten in der Covid-19-Krise. Die
       Regierungschefin der spanische Hauptstadtregion Madrid, Isabel Díaz Ayuso,
       teilt die Vision des grünen Tübinger Oberbürgermeisters und setzte sie gar
       um. Es verhärtet sich der Verdacht, dass ihr Gesundheitsministerium
       anordnete, nur ganz bestimmte Altersheimbewohner mit Covid-19-Symptomen
       überhaupt noch ins Krankenhaus verlegen zu lassen.
       
       Seit Freitagnachmittag liegt eine entsprechende Klage gegen Ayuso, Chefin
       einer [1][Koalition aus ihrer konservativen Partido Popular (PP) der
       rechtsliberalen Ciudadanos (Cs), die von der rechtsextremen Vox unterstützt
       wird], sowie gegen ihren Gesundheitsminister Enrique Ruiz Escudero und die
       Direktoren von zehn der insgesamt 474 Altersheime der Region beim Obersten
       Gerichtshof Spaniens vor. Sie wurde von 26 Familien, die ihre Angehörigen
       verloren haben, eingereicht.
       
       Der Beweis für die Aussonderung von alten Menschen wurde der online-Zeitung
       infolibre.es zugespielt. [2][Das Dokument] trägt den Wappen der Region und
       ist vom zuständigen Direktor für die Koordination von Sozialeinrichtungen
       und Krankenhäusern unterzeichnet. „Patienten die NICHT die folgenden
       Merkmale aufweisen werden verlegt. Es handelt sich um AUSSCHLUSSMERKMALE“
       heisst es zu Beginn einer Auflistung. Die Großbuchstaben stammen aus der
       Anordnung. Die Verlegung wird damit denjenigen verweigert, die neben
       Covid-19 weitere schwere Krankheiten, wie etwa Krebs, aufweisen oder
       degenerative geistige Erkrankungen im fortgeschrittenen Status haben.
       
       Die Statistik spricht Bände: 6.000 Heimbewohner starben in Madrid. Das ist
       ein Drittel aller [3][Corona-Opfer in den spanischen Altersheimen]. Und das
       obwohl die Hauptstadtregion gerade einmal 13,1 Prozent der Altersheimplätze
       des Landes ihr Eigen nennt. In Madrid lebten vor der Krise rund 52.000
       Senioren in Heimen. In Spanien waren es rund 380.000.
       
       Offiziell handelt es sich bei einem Drittel der knapp 28.000 spanischen
       Covid-Opfer um Altersheimbewohner. Das sind allerdings nur jene 9.000, die
       auf den Virus getestet wurden. Recherchen des meistgehörten spanischen
       Radiosenders Cadena Ser reden von weiteren 9.700 Tote mit
       „Covid-19-kompatiblen Symptomen“. Da sie ohne Test beerdigt wurden, tauchen
       sie in der Statistik nicht auf.
       
       Ayuso hat sich mittlerweile eine Erklärung zurechtgelegt. Bei der
       vermeintlichen Anordnung handle es sich nur „um einen durchgesickerten
       Entwurf“, der zudem „versehentlich“ verschickt worden war, aber nie in
       Kraft trat. Warum das Dokument mit der digitalen Unterschrift des
       zuständigen Direktors versehen ist, will Ayuso nicht beantworten.
       
       Mittlerweile rumort es in der Madrider Regierung. Der für Altersheime
       zuständige Sozialminister Alberto Reyero nennt Ayusos „Entwurf“ ein
       „Protokoll“. Der Rechtsliberale erklärte sowohl vor dem Regionalparlament
       als auch in Interviews, dass er gegen die Anordnung gewesen sei. Er habe
       seinen für Gesundheit zuständigen Kollegen Escudero (PP) mehrmals
       angeschrieben und ihn gewarnt, dass die Betroffenen „unwürdig sterben
       werden“.
       
       Die Regionalregierung griff zu weiterten Maßnahmen, die den Heimbewohnern
       geschadet hat. Mehrmals kündigte Ayuso an, die Heime mit einer ärztlichen
       Abteilung ausrüsten zu lassen. Umgesetzt wurde das nie. Ausserdem warb das
       regionale Gesundheitsministerium am Höhepunkt der Covid-Krise ganz gezielt
       Personal aus den Altenpflege für die Krankenhäuser ab. „Sie riefen an und
       boten bis zu 50 Prozent mehr Lohn“, bestätigte ein Sprecher des zuständigen
       Unternehmerverbandes in der Cadena Ser.
       
       Nur 25 der 474 madrilenischen Heime sind öffentliche Einrichtungen. Der
       Rest ist entweder von der konservativen Regionalregierung privatisiert oder
       gleich von privaten Unternehmen errichtet worden.
       
       6 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Machtkaempfe-in-Coronazeiten/!5683538
   DIR [2] https://www.infolibre.es/noticias/politica/2020/05/27/el_documento_que_prueba_que_gobierno_ayuso_fijo_criterios_exclusion_para_no_trasladar_enfermos_desde_las_residencias_los_hospitales_107130_1012.html
   DIR [3] /Covid-19-Epidemie-in-Spanien/!5670978
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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