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       # taz.de -- Randale in Stuttgart: Bierflaschen und Steine fliegen
       
       > In Stuttgart sorgen offenbar Partygänger für eine stundenlange Randale.
       > Die Politik überschlägt sich und fordert hartes Durchgreifen.
       
   IMG Bild: Aufräumarbeiten nach Randale in der Stuttgarter Innenstadt
       
       Stuttgart/Berlin taz | Am Sonntag bleiben Scherben. Zersplitterte
       Schaufensterschreiben in der Stuttgarter Innenstadt sind mit Holzplatten
       verrammelt, an anderer Stelle haben Müllabfuhr und Technisches Hilfswerk
       schon in den Morgenstunden ganze Arbeit geleistet und aufgeräumt. Es
       herrscht wieder Ruhe. Umso lauter aber diskutiert die Politik, was in der
       Nacht zuvor geschah. Und das bundesweit.
       
       Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht
       von einem „brutalen Ausbruch von Gewalt“, den er scharf verurteile.
       „Erschütternde Gewaltausbrüche“ konstatiert auch CDU-Generalsekretär Paul
       Ziemiak. SPD-Chefin Saskia Esken kritisiert eine „sinnlose, blindwütige
       Randale“. Für die AfD ist man bereits bei „ethnischen Unruhen“.
       
       Was war geschehen? Klar ist: [1][In der Nacht zum Sonntag war es zu
       heftigen Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt gekommen].
       Handyvideos, die schnell in sozialen Medien zirkulierten, zeigen einige
       Szenen. Darin schlagen einige vermummte, zumeist offenbar junge Leute
       Schaufensterscheiben ein, attackieren Polizeiautos mit Steinen, Stangen
       oder Mobiliar. Ein Polizist, der eine Person festnimmt, wird von einem
       heraneilenden Angreifer mit voller Wucht umgetreten. All dies unter dem
       Johlen von Umstehenden.
       
       ## „Wahllose Attacken“
       
       Augenzeugen der sich über Stunden hinziehenden Krawalle berichten von einer
       anfangs äußerst zurückhaltenden Polizei. Dagegen hätten vor allem junge
       Männer Bierflaschen und Steine geworfen, andere diese durch Beifall oder
       Handyaufnahmen angeheizt. In mehreren Einkaufsstraßen seien Mülleimer und
       Betonplatten in Fensterscheiben geflogen, wurden PolizistInnen und deren
       Autos attackiert.
       
       „Wahllos“, wie ein Fotograf berichtet, „ohne politischen Hintergrund, denn
       Parolen wurden nicht skandiert“. Tatsächlich blieb etwa eine breite Fassade
       des Mode-Riesen Primark völlig heil, während die Schaufenster des
       Traditionsbetriebs von „Wolle Rödel“ oder der Wohlfühlschuhmarke „Geox“ zu
       Bruch gingen.
       
       Noch in der Nacht erklärte ein Polizeisprecher: „Die Situation ist völlig
       außer Kontrolle.“ Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage.
       
       Am Sonntagnachmittag dann sitzen Polizeipräsident Frank Lutz, sein Vize
       Thomas Berger und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) auf einer
       Pressekonferenz, allesamt mit ernsten Mienen. „In 46 Jahren Dienstjahren
       habe ich so etwas noch nicht erlebt“, sagt Lutz. Er spricht von einer „nie
       dagewesenen Eskalation von offener Gewalt gegen die Polizei und massiver
       Sachbeschädigungen“, eine „einmalige Eskalation“. Auch Kuhn sagt: „So eine
       Nacht hat Stuttgart noch nicht erlebt. Das darf sich in unserer Stadt nicht
       wiederholen.“
       
       Ausgangspunkt sei eine Polizeikontrolle eines 17-jährigen Deutschen wegen
       eines Drogendelikts 23.30 Uhr am Eckensee gewesen, erklärt Berger. Darauf
       hätten sich 200 bis 300 Personen aus der sich dort regelmäßig treffenden
       „Partyszene“ solidarisiert und „massiv“ Steine und Flaschen geworfen. Die
       Gruppe sei angewachsen, Richtung Schlossplatz gezogen und habe sich von
       dort in der Innenstadt verteilt. Dabei seien Streifenwagen beschädigt,
       Polizisten „äußerst aggressiv“ angegriffen, Ladengeschäfte „wahllos“
       beschädigt und Auslagen entwendet worden. Erst gegen 4.30 Uhr die Lage
       wieder im Griff gewesen.
       
       ## 24 Festgenommene, 19 verletzte PolizistInnen
       
       Die Bilanz laut Polizei: 24 Festgenommene, 12 davon Deutsche, 12 mit
       anderer Staatsangehörigkeit. Sieben von ihnen sollten in U-Haft. Dazu 19
       verletzte PolizistInnen. Und 40 beschädigte Geschäfte, neun davon mit
       Plünderungen, und 12 kaputte Polizeifahrzeuge. Eine 40-köpfige
       Sonderkommission ermittelt.
       
       Die Frage ist: Warum kam es zu der Gewalt? Polizeipräsident Lutz sieht
       keinen politischen Hintergrund. Einen solchen könne er bisher
       „ausschließen“, sagt er. Lutz spricht von einer „Partyszene“, die ein Event
       gesucht habe und eine Inszenierung, nun auch über Onlinevideos.
       
       Andererseits läuft aktuell ja auch hierzulande eine Debatte über
       Polizeigewalt und „Black Lives Matter“. Gibt es einen Zusammenhang? Auf
       einem Video hört man den Ruf „Fuck da police“. Sonst aber sind politische
       Bekundungen nicht wahrnehmbar. Auch Kuhn sagt, er könne nicht erkennen, das
       es bei den Ausschreitungen um das Thema Polizei und Rassismus gegangen sei.
       „Da ging es um was anderes.“
       
       Unisono aber erfolgt am Sonntag der Ruf nach harten Konsequenzen. „Es darf
       keine rechtsfreien Räume in Stuttgart geben“, bekräft Kuhn. Kretschmann
       fordert eine „konsequente“ Verfolgung der „kriminellen Akte“. Auch
       SPD-Chefin Esken erklärt, „die Gewalttäter müssen ermittelt und hart
       bestraft werden“.
       
       ## Scharfe Töne der CDU – auch gegen links
       
       Vor allem die CDU aber schlägt scharfe Töne an.
       Baden-Württemberg-Generalsekretär Manuel Hagel nennt die Randalierer
       „Kriminelle“. Und er versucht den Bogen zu SPD und Grünen zu schlagen.
       „[2][Die zunehmende Gewalt gegen unsere Polizeibeamten ist auch eine Folge
       der ständigen Anfeindungen der politischen Linken].“ Die Verbalattacke
       überrascht nicht. Zwei wichtige Wahlen stehen bevor, die OB-Wahl in
       Stuttgart im November und die Landtagswahl im kommenden März. Die CDU will
       dabei beide Chefsessel von den Grünen zurückerobern.
       
       Auch Innenminister Thomas Strobl (CDU) kündigt „die volle Härte des
       Rechtsstaats“ an. Am Mittwoch soll der Innenausschuss im Landtag zu einer
       Sondersitzung zusammenkommen. Und Polizeichef Lutz kündigt für die
       nächsten Tage und Wochenenden ein „massives Kräftekonzept“ in Stuttgart an,
       eine starke Polizeipräsenz.
       
       In der Innenstadt sammeln sich am Sonntag bereits wieder Gruppen junger
       Leute, betrachten gemeinsam Videos aus der Nacht. „Stuttgart“, erklärt ein
       Mädchen strahlend, „ist jetzt weltberühmt“.
       
       21 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Randale-in-Stuttgart/!5696564
   DIR [2] /Debatte-ueber-Rassismus-in-Polizei/!5692129
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johanna Henkel-Waidhofer
   DIR Konrad Litschko
       
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