URI: 
       # taz.de -- Recht auf Individualität: Lernt, unsere Namen auszusprechen
       
       > Wer Migrant*innen ihre Namen aberkennt, erkennt ihnen einen Teil ihrer
       > Identität ab. Ist es wirklich so schwer, die richtige Aussprache zu
       > lernen?
       
   IMG Bild: Wenn ihr Daenerys Targaryen aussprechen könnt, könnt ihr auch unsere Namen richtig aussprechen
       
       Früher habe ich Menschen nicht korrigiert, wenn sie „Melisa“ wie Lisa
       ausgesprochen haben, obwohl es schrecklich klingt. No offense an jene, die
       Melisa wie Lisa heißen, wobei ich nicht glaube, dass irgendjemand wirklich
       so heißt, habe zumindest noch nie davon gehört, was es noch komischer
       macht, dass Österreicher*innen mich ständig Melisa wie Lisa nennen.
       
       Sie erfinden lieber einen Namen, der nicht existiert, als meinen einfach
       richtig auszusprechen. Kommt mir jetzt nicht mit einer grammatikalischen
       Ausrede, bei Philipp schafft ihr es doch auch, ihn immer gleich
       auszusprechen, egal ob er Phillip, Philip oder Philipp geschrieben wird.
       
       Heute korrigiere ich alle schon beim leisesten Anflug eines Rose-„s“.
       Melisa ist wohl der leichteste „ausländische“ Name, den es gibt, trotzdem
       fällt es den Menschen, auch nach mehrmaliger Korrektur schwer, ihn wie
       Melissa auszusprechen.
       
       Migrant*innen und ihre Namen – ein sensibles Thema. Jedes Mal, wenn ich
       darüber spreche oder schreibe, erhalte ich so viel Rückmeldung wie zu kaum
       einem anderen Thema. Die Geschichten, die mir die Menschen dann erzählen,
       überwältigen mich immer wieder aufs Neue.
       
       Entwurzelt und entmenschlicht 
       
       Von Raife, einer Austro-Türkin, deren österreichische Freundinnen
       beschlossen haben, sie Ayşe zu nennen. Von Edin, einem gebürtigen Bosnier,
       der auf der Arbeit in Edith, einen deutschen Frauennamen, umgetauft wurde.
       Von Parya, mit iranischen Wurzeln, die Maria genannt wird. Hrvoje, der zu
       Rudi wurde, Zlatko zu Karli, Farhad zu Toni, Cvijeta zu Susi – indem man
       Migrant*innen ihre Namen aberkennt, erkennt man ihnen einen Teil ihrer
       Identität ab.
       
       Man entwurzelt und entmenschlicht sie – wenn Raife zu Ayşe wird, weil Ayşe
       zu einem abwertend gemeintem Synonym für türkische Frauen geworden ist, ist
       das zutiefst rassistisch. Indem man Migrant*innen auf klassisch deutsche
       Namen wie „Susi“ umtauft, zwangsassimiliert man sie nicht nur, man macht
       sie zu einem Kollektiv, nimmt uns unsere Individualität.
       
       Unsere Eltern haben sich etwas dabei gedacht, als sie uns unsere Namen
       gegeben haben. Oft steckt dahinter eine Geschichte, eine tiefere Bedeutung.
       In meinem migrantischen Freundeskreis wählen werdende Eltern die Namen
       ihrer Kinder aber immer öfter nicht mehr nach Geschichte, Bedeutung oder
       danach aus, welcher ihnen gefällt, sondern ob Österreicher*innen ihn
       aussprechen können.
       
       Ich kann sie irgendwo verstehen, ich habe als Lehrerin oft genug
       Kolleg*innen bei der Aussprache der Schüler*innen-Namen korrigiert. Die
       Schüler*innen selber haben sich oft nicht getraut – wie ich damals. „Bei
       uns hat die Lehrerin alle Schüler mit Migrationshintergrund A-met, B-met,
       C-met gerufen“, erzählt mir jemand – nein, an solche Geschichten werde ich
       mich niemals gewöhnen.
       
       Um es mit den Worten einer klugen Person aus dem Internet zu sagen: Wenn
       ihr Daenerys Targayren aussprechen könnt, könnt ihr auch unsere Namen
       richtig aussprechen.
       
       22 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Melisa Erkurt
       
       ## TAGS
       
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Namen
   DIR Sprache
   DIR Österreich
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Kolumne Nachsitzen
   DIR Kolumne Nachsitzen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schwächen des Bildungssystems: Sei dankbar, Migrant!
       
       Ich habe mich lange mit der Benachteiligung von Kindern mit
       Migrationshintergrund im Bildungswesen beschäftigt. Viele sind zum
       Scheitern verurteilt.
       
   DIR Nach dem ersten Corona-Lockdown: Keine veränderten Strukturen
       
       Die Menschen kehren aus dem Home Office zurück, die 30-Stunden-Woche
       scheint weiterhin Utopie. Corona hat keine äußeren Veränderungen gebracht.
       
   DIR Fetisch und Rassismus: Hinterfragt euren Fetisch!
       
       Frauen of Color oder Schwarze Frauen kennen das Phänomen: Sie werden zum
       Fetischobjekt von Männern. Das ist ein Problem.
       
   DIR Was Schüler:innen lesen müssen: Weiß und autochthon
       
       Die Pflichtlektüre in deutschen und österreichischen Schulen ist nicht nur
       sehr männlich – es fehlen auch Autor:innen mit Migrationshintergund.
       
   DIR Masken und Ausgrenzung: Wir sind aber nicht so!
       
       Mund und Nase bedecken ist nicht gleich Mund und Nase bedecken. Aber ob
       Verschleierung oder Mundschutz, beides wird rasch zur „Kultur“ erklärt.
       
   DIR Schulöffnung in Österreich: Ein Zufluchtsort fehlt
       
       In der Coronakrise bleiben in Österreich die Schulen noch weiter
       geschlossen. Für sozial benachteiligte Kinder ist das besonders schwer.
       
   DIR Pflege und Arbeit in Zeiten von Corona: Meine Mutter erhält das System
       
       Die Arbeit meiner Mutter ist anstrengend und schlecht entlohnt. Klatschen
       hilft ihr wenig, fairer Lohn und Pension dagegen schon.